Übersichtsarbeiten - OUP 10/2016

Zellfreie Implantate zur Behandlung von fokalen Knorpelschäden des Kniegelenks
Indikation, Technik und ErgebnisseIndications, techniques and results

Mit dem verbesserten Verständnis der zur endogenen Geweberegeneration notwendigen Prozesse ist die Anwendung bzw. Nachahmung dieser Prozesse zur iatrogenen Geweberegeneration im Bereich des Tissue Engineering, mit dem Ziel die zeit- und kostenaufwändigen zell-basierten Verfahren abzulösen, der nächste logische Schritt.

Allen Verfahren ist jedoch gemeinsam, dass ihre Indikation der fokale Knorpeldefekt ist. Die generalisierte Arthrose stellt, aufgrund des inflammatorisch veränderten Gelenkmilieus mit u.a. anderem Ausschüttung von Zytokinen (Interleukin 1,6 und 8, Tumornekrosefaktor) und Matrix-Metalloproteinasen und deren kataboler Wirkung, eine absolute Kontraindikation dar [35].

Knochenmarkstimulation

Streng genommen handelt es sich bei der Mikrofrakturierung (MFX) nicht um ein zellfreies Verfahren, da das Prinzip auf der Rekrutierung von mesenchymalen Stammzellen aus der subchondralen Spongiosa beruht. Allerdings kommt dieses einzeitige Verfahren ohne die Vermehrung von Knorpelzellen in vitro aus und soll daher mit berücksichtigt werden.

Entgegen der Darstellung von Bert et al. [5] sind die Autoren der Meinung, dass die Mikrofrakturierung bzw. Bohrung weiterhin ein Verfahren ist, welches bei korrekter Indikationsstellung auch langfristig gute Ergebnisse erzeugen kann. Allerdings müssen neben der korrekten Indikationsstellung auch einige technische Besonderheiten berücksichtigt werden. So geben tierexperimentelle Daten Hinweise darauf, dass die Qualität des Regeneratgewebes möglicherweise verbessert werden kann, wenn statt Mikrofrakturierungsahlen dünne Bohrer verwendet werden [9]. Auch die subchondrale Architektur der Spongiosa scheint weniger Störungen im Sinne von Zystenbildung zu erleiden, und das Auftreten von intraläsionalen Osteophyten scheint reduziert, wenn statt Ahlen dünne Bohrer verwendet werden [10]. Auf Grundlage dieser Daten findet aktuell eine neue Technik Anwendung, welche auf einen Perforationskanal mit kleinerem Durchmesser, jedoch tieferem Eindringen in den subchondralen Raum abzielt (Nanofracture®). Belastbare Daten insbesondere zu langfristigen klinischen Ergebnissen liegen aktuell jedoch noch nicht vor.

Bezüglich der Defektlokalisation sollte die Trochlea auf Grund der anspruchsvollen Biomechanik des patellofemoralen Gelenks nicht mittels Mikrofrakturierung versorgt werden [19]. Im Bereich der Patellarückfläche kommt zu der anspruchsvollen Biomechanik noch die Tatsache, dass die Menge an verfügbaren Stammzellen begrenzt ist, die technische saubere Durchführung der Mikrofrakturierung auf Grund des fehlenden orthograden Zugangs nicht möglich ist und der retropatellare Knorpel der dickste der menschlichen Gelenke ist [19]. Berücksichtigt man zusätzlich den Aktivitätsgrad der Patienten, sollten Patienten mit hohem Aktivitätsniveau auf Grund der begrenzten biomechanischen Belastbarkeit des Regeneratgewebes auch bei kleineren Läsionen eher nicht mittels Mikrofrakturierung versorgt werden [24].

Indikationen für die Mikrofrakturierung sind somit Patienten mit Knorpeldefekten der Femurkondylen bis maximal 2,5 cm2 Größe. In diesem Patientenkollektiv kann die Mikrofrakturierung jedoch gute und auch über 10 Jahre hinweg stabile Ergebnisse liefern [39].

Knochenmarkstimulation mit Augmentation
(zellfreie Biomaterialien)

Eine wesentliche Kritik, die der Mikrofrakturierung nach wie vor anhaftet, ist, dass die Zellen und Wachstumsfaktoren ungerichtet in das Gelenk abgegeben werden und das sich bildende Blutkoagel keinerlei mechanische Stabilität aufweist [32]. Einen Versuch, dieser Einschränkung entgegenzutreten und die Resultate der Mikrofrakturierung weiter zu verbessern und so für ausgedehntere Indikationen verfügbar zu machen, stellt die Augmentation mittels einer defektbedeckenden Membran oder einem Gel dar. Das Grundprinzip ist hierbei an die klassische autologe Chondrozytenimplantation (ACI) angelehnt, die sich eines eingenähten Periostlappens bedient, um die Zellsuspension im Defekt zu halten [3]. Ziel der Augmentation im Rahmen der Mikrofrakturierung ist es daher zum einen, die aus dem Knochenmark austretenden Stammzellen im Defektbett zu halten und zum anderen, durch die Eigenschaften des verwendeten Materials die chondrogene Differenzierung zu begünstigen, um so ein verbessertes Regeneratgewebe zu erreichen [4]. Dies kann je nach Verfahren sowohl auf arthroskopischem als auch auf offenem Weg erreicht werden. Neben der operativen Technik spielt auch die Wahl des Verfahrens eine bedeutende Rolle. Für die Augmentation existieren bereits verschiedene Verfahren und Produkte, die zum Teil auch bei osteochondralen Defekten Anwendung finden und sich mitunter in ihrer Anwendung und in ihren Eigenschaften deutlich unterscheiden. In Abhängigkeit vom verwendeten Verfahren bzw. Produkt kommen hier Kollagenmembranen, Hyaluronsäure, Polyglycolsäure, Chitosan oder Glycerolphosphat – teilweise auch in Kombinationen – zum Einsatz. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die zurzeit in Anwendung befindlichen Produkte und die bisher verfügbare Evidenz.

Klinisch zeigt sich kurz- bis mittelfristig in den verfügbaren Studien jeweils eine Auffüllung oder deutliche Verkleinerung der Defekte im MRT sowie eine signifikante Verbesserung der gängigen Funktionsscores und vor allem der Beschwerden [15, 27, 32]. Allen Verfahren ist außerdem gemeinsam, dass trotz der ermutigenden ersten Ergebnisse valide Daten auf wissenschaftlicher Basis zur Defektobergrenze und dem maximalen Patientenalter trotz präziser Herstellervorgaben bisher fehlen [20]. Auch die Frage nach der idealen biologischen Grundlage ist noch nicht abschließend beantwortet. Während kollagenbasierte Verfahren kurz- bis mittelfristig deutlich bessere MRT-Ergebnisse liefern als hyaluronsäurebasierte, zeigen insbesondere Membranen auf Basis von Polyglycolsäure biomechanisch deutlich höhere Versagenslasten als diese aus Kollagen [14, 43].

Zusammenfassend stimmen insbesondere die experimentellen Daten zu den Augmentationen der Mikrofrakturierung optimistisch, dass die Technik die Versorgung von größeren Defekten mit soliden Langzeitergebnissen ermöglicht. Der klinische Beweis insbesondere für die langfristige Haltbarkeit der Ergebnisse für größere Defekte steht aktuell jedoch noch aus.

Vollständig zellfreie
Verfahren

Ein Verfahren setzt sich von den bereits genannten augmentierten Mikrofrakturierungen ab, da es gänzlich zellfrei ist, also auch ohne Perforation der subchondralen Grenzschicht auskommt. Hierbei wird nach Débridement des Defekts dieser mit einer Kollagen-Typ-I-Hydrogelmatrix gefüllt (CaReS-1S®, Arthrokinetics, Krems/Donau), welche dann als Leitstruktur für eine Kolonisierung des Defekts durch Chondrozyten dient. Über eine Integrin-vermittelte Interaktion der Chondrozyten mit dem Kollagen wird sowohl Proliferation als auch die Produktion von Bestandteilen der extrazellulären Matrix vermittelt [45]. Zusätzlich sind die Chondrozyten über die Sekretion von Kollagenasen in der Lage, ein Remodelling und eine Transformation der Matrix zu ermöglichen [45]. Sowohl aus Tierversuchen als auch aus Fallberichten im Menschen konnte gezeigt werden, dass eine solche Kolonisierung mit Transformation der Matrix in das im hyalinen Knorpel vorherrschende Kollagen Typ II tatsächlich stattfindet [12, 33]. Bisher ist jedoch nach wie vor ungeklärt, woher die Zellen stammen, welche sich später in der Matrix finden. Mögliche Quellen sind die Synovia und die synoviale Flüssigkeit, der Hoffa’sche Fettkörper oder der umliegende Knorpel. Gerade der umliegende Knorpel erscheint auf Grund der Mobilität der Chondrozyten und der durch die Matrix zur Verfügung gestellte Kollagen-Leitstruktur eine der wahrscheinlichsten Quellen [23].

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