Übersichtsarbeiten - OUP 04/2017

Zement in der Hüftendoprothetik – ein Update

Ralf Schönherr1, Philipp Hansen1, Rainer Lorch1, Dominik Parsch1

Zusammenfassung: Trotz vergleichbar guter Ergebnisse der zementierten und zementfreien Verankerung von Hüftprothesen ist in den vergangenen Dekaden ein deutlicher Trend zur zementfreien Implantation zu beobachten. Diese Tendenz wird durch die aktuelle Datenlage nicht gestützt. Beide Prinzipien haben kurz- und langfristige Vor- und Nachteile. Für bestimmte Patientengruppen besteht vor allem bei der zementfreien Schaftverankerung ein vergleichsweise hohes Risiko für intra- und frühe postoperative Komplikationen. Dieses Risiko muss in Verhältnis gesetzt werden zu potenziellen Vorteilen, um eine individuelle Entscheidung treffen zu können. Entgegen dem derzeitigen Trend zur
zementfreien Verankerung hat die Implantation einer (teil-) zementierten Prothese ihre Berechtigung bei bestimmten
Patientengruppen und sollte nicht vernachlässigt werden.

Schlüsselwörter: Hüftendoprothetik, Verankerungsprinzip,
periprothetische Fraktur, Revisionsrisiko

Zitierweise
Schönherr R, Hansen P, Lorch R, Parsch D: Zement in der
Hüftendoprothetik – ein Update.
OUP 2017; 4: 202–206 DOI 10.3238/oup.2017.0202–0206

Summary: Despite comparable results in cemented and
cementless total hip arthroplasty there has been a remarkable trend towards cementless fixation in the past decades. This tendency is not well supported by literature. Both principles have short- and long-term advantages and drawbacks. For certain patient-populations there is a relevant risk for intra- and early postoperative complications especially concerning cementless stem fixation. This risk has to be set into relationship with potential advantages of each method of fixation in order to make an individual decision. Hybrid or cemented fixation of total hip arthroplasty is a valuable option for certain patients and should not be neglected.

Keywords: hip arthroplasty, fixation method, periprosthetic
fracture, risk of revision

Citation
Schönherr R, Hansen P, Lorch R, Parsch D: Cement in total hip
arthroplasty – an update.
OUP 2017; 4: 202–206 DOI 10.3238/oup.2017.0202–0206

Einleitung

Die Implantation einer Hüfttotalendoprothese ist eine der erfolgreichsten Operationen in Bezug auf Schmerzreduktion und Wiederherstellung der Gelenkfunktion. Beides führt zu einer deutlichen Steigerung der Alltagsaktivität und Lebensqualität.

Die Erfolgsgeschichte der Hüftendoprothetik begann 1960 mit der Einführung der Zementfixation von Prothesenkomponenten durch Sir John Charnley. Durch stetige Verbesserungen des Implantatdesigns und der Operationstechnik können, insbesondere bei Beachtung der modernen Zementiertechnik mit Anwendung von Jet-Lavage, Markraum-Stopper, Vakuum-Mischsystem, retrograder Zementapplikation und Druckzementierung, sehr gute Langzeitergebnisse mit 10 Jahren Standzeit in 95,2 % der Fälle erzielt werden [38].

Anfang der 80er Jahre wurden zementfreie Verankerungskonzepte entwickelt, da zementierte Prothesen teilweise mit ausgedehnten Resorptionssäumen und hohen aseptischen Lockerungsraten einhergingen [25]. Dieses Problem wollte man mit zementfreien Implantaten lösen, die biologisch im Knochen fixiert werden. Nach anfänglichen Misserfolgen steht mittlerweile eine Vielzahl von bewährten zementfreien Implantaten mit unterschiedlicher Oberflächenstruktur und -beschichtung und verschiedenen Verankerungsprinzipien (diaphysär, metaphysär, epimetaphysär) zur Verfügung. Unabhängig vom Prothesendesign ist für alle zementfreien Implantate die primärstabile Fixation mit Elimination von Relativbewegungen die wesentliche Voraussetzung für die knöcherne Integration [10]. Unter diesen Voraussetzungen sind in 94,6 % der Fälle Standzeiten von 10 Jahren zu erwarten [38].

Sowohl zementierte als auch zementfreie Prothesen weisen sehr gute Langzeitresultate auf. Vergleichsstudien beider Verankerungsprinzipien zeigen in der Mehrzahl der Fälle keine eindeutige Überlegenheit einer bestimmten Fixationsmethode. [2, 13, 27, 28, 32, 34]. Dennoch ist seit Jahren eine deutliche Zunahme der zementfreien Verankerung zu verzeichnen. Dieser Trend ist nahezu weltweit zu beobachten. Die Registerdaten von Schweden, Norwegen, Dänemark, Australien, Kanada und England/Wales zeigen zwischen 2006 und 2010 in allen Altersgruppen einen deutlichen Anstieg zementfreier Implantate [40]. In Skandinavien, wo traditionell die zementierte Verankerung deutlich überwiegt, nahm die Anwendung zementfreier Implantate zwischen 1995 und 2011 von 9,6 % auf 39,4 % zu [31]. Gleichzeitig sank die Zahl der zementierten Prothesen im gleichen Zeitraum auf etwa die Hälfte [3, 17, 31]. Diese Daten stehen in scheinbarem Widerspruch zu den höheren Revisionsraten für zementfreie Implantate, die in manchen nationalen Registern dokumentiert sind [31].

Im Folgenden sollen die Vor- und Nachteile sowie spezifische Risiken beider Verankerungsprinzipien diskutiert werden. Diese Kriterien sollen eine Entscheidungshilfe für ein individuell angepasstes Vorgehen anbieten.

Allgemeine Vor- und Nachteile

Kosten

Zementierte Implantate sind in der Regel kostengünstiger als zementfreie [23, 20]. Dennoch unterscheiden sich die Gesamtkosten für den stationären Aufenthalt bei der Primärimplantation zementfreier und hybrid verankerter Prothesen nicht signifikant [23]. Da die Implantatkosten nur einen relativ geringen Anteil der Gesamtkosten für den stationären Aufenthalt ausmachen, sind die Preisunterschiede bei den Implantaten nicht so relevant wie beispielsweise die Dauer des Krankenhausaufenthalts [26]. In einer anderen Studie untersuchte Pennington die Kosteneffektivität von zementierten, hybriden und zementfreien Hüfttotalendoprothesen inklusive Revisionsoperationen bezogen auf die Gesamtlebenszeit der Patienten und kam zu dem Schluss, dass zementierte und hybride Prothesen kostengünstiger sind als zementfreie [33].

OP-Dauer, thrombembolische Komplikationen

Im Vergleich zur zementierten Verankerung ist die Operations- und damit auch die Narkosedauer bei zementfreien Implantaten kürzer [23, 26]. Durch die fehlende Zementpenetration in den Markraum ist das Risiko für kardiovaskuläre und thrombembolische Komplikationen geringer [18, 9]. Das Embolierisiko lässt sich jedoch auch bei der zementierten Verankerung durch Verwendung einer Jetlavage deutlich reduzieren [11].

Mobilisierung

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