Übersichtsarbeiten - OUP 04/2017

Zement in der Hüftendoprothetik – ein Update

In einer Veröffentlichung von Mäkela waren im skandinavischen Prothesenregister 27 % aller Revisionen innerhalb der ersten 6 postoperativen Monate bei zementfreien Prothesen durch periprothetische Frakturen bedingt. Bei zementierten Implantaten waren es nur 4 % aller Revisionen [31]. Frühe postoperative Frakturen entstehen vermutlich auf dem Boden unerkannter, intraoperativ entstandener Fissuren oder durch Überlastung im Rahmen von Stolperereignissen bzw. Beinahe-Stürzen vor Abschluss der Osteointegration (Abb. 1 und 2) [1].

Im langfristigen Verlauf scheinen zementfreie Schäfte bei jüngeren Patienten bis etwa 65 Jahren bessere Standzeiten als zementierte Schäfte zu haben [16, 44], wenn aseptische Lockerungen als Revisionsgrund betrachtet werden. Im aktuellen australischen Register zeigen zementfreie Implantate langfristig in allen Altersgruppen unter 75 Jahren das niedrigste Revisionsrisiko [3].

Diskussion

Seit Jahren ist eine kontinuierlich steigende Anzahl von Hüftprothesenimplantationen zu beobachten. Proportional dazu steigt der potenzielle Bedarf an Wechseloperationen. Umso wichtiger ist es, ein Verankerungsprinzip mit größtmöglicher Revisionssicherheit anzuwenden.

Die Verwendung zementfreier Implantate hat in den letzten Jahren weltweit deutlich zugenommen, obwohl es in der Literatur und den Registern kaum Daten gibt, die diesen Trend eindeutig rechtfertigen. In den meisten Studien, in denen die Langzeitergebnisse zementierter und zementfreier Hüftprothesen verglichen werden, zeigen zementierte Implantate zumindest in den höheren Altersgruppen die besseren Resultate. Interessanterweise ist im dänischen Register gleichzeitig mit der Zunahme zementfreier Implantate ein Anstieg der Revisionsraten von zementierten Prothesen dokumentiert, die zwischen 2007 und 2011 implantiert wurden, verglichen mit dem Zeitraum zwischen 1995–1998 [17, 40]. Troelsen führt dies zumindest teilweise darauf zurück, dass durch die seltenere Anwendung die Fähigkeit verloren geht, eine zementierte Prothese optimal zu implantieren [40].

Bei differenzierter Betrachtung von Schaft und Pfanne zeigt sich in der Literatur keine eindeutige Überlegenheit für eine bestimmte Verankerungsform der Pfannenkomponente [16, 32]. Allerdings erschwert die große Heterogenität der verwendeten zementfreien Pfannensysteme die Vergleichbarkeit der Ergebnisse.

Zementfreie Schäfte zeigen im Langzeitverlauf, insbesondere bei Patienten unter 65 Jahren, mehrheitlich bessere Standzeiten als zementierte [3, 16, 31, 44]. Allerdings besteht für zementfreie Schäfte, insbesondere bei Frauen und Patienten über 65 Jahren, ein höheres Risiko für intraoperative Frakturen. Neben der notwendigen Erweiterung des Primäreingriffs mit Verlängerung der Operations- und Narkosedauer und allen damit verbundenen negativen Begleiterscheinungen, führen periprothetische Frakturen erfahrungsgemäß zu einer verzögerten Rehabilitation und bergen das Risiko für weitere Komplikationen [8]. Das Frakturrisiko sollte dem Operateur bei der Operationsplanung bewusst sein und im Zweifelsfall bei entsprechenden Risikopatienten die Entscheidung zugunsten einer zementierten Verankerung getroffen werden. Eindeutige Vorteile bezüglich des Revisionsrisikos bestehen für zementierte Schäfte nur in der Altersgruppe über 75 Jahre [3, 40].

Auch postoperativ besteht bei zementfreien Schäften ein erhöhtes Frakturrisiko. Der Zeitraum, in dem diese Schäfte häufiger wegen Frakturen revidiert werden müssen, beträgt je nach Studie 6 Monate [31], 2 Jahre [21] bzw. 20 Jahre [1]. Um Frührevisionen in den ersten Monaten nach Primärimplantation zu vermeiden, sollte intraoperativ besonders auf feinste Fissuren in der Kortikalis der Resektionsfläche geachtet werden. Insbesondere dort, wo der Prothesenschaft Kontakt zur Kortikalis aufnimmt, kann es zu hohen Punktbelastungen mit Frakturgefahr kommen. Im Zweifelsfall sollte eine Sicherungscerclage angelegt, und die Belastung in den ersten postoperativen Wochen eingeschränkt werden. Ebenso sinnvoll erscheint es, junge, übermotivierte, schwergewichtige Patienten und ältere Patientinnen über 65 Jahre für die Belastung der operierten Extremität zu sensibilisieren und deren Bewusstsein für die Vermeidung von Überlastungen der Prothese durch Stolperereignisse oder ähnliches in der Einwachsphase des zementfreien Implantats zu wecken. Für bestimmte Kollektive bedingt die zementfreie Schaftverankerung ein vergleichsweise hohes Risiko für intra- und postoperative Komplikationen. Dieses Risiko muss in Verhältnis gesetzt werden zu potenziellen Vorteilen, um eine individuelle Entscheidung treffen zu können. Aufgrund der oben beschriebenen Ergebnisse und spezifischen Risiken der jeweiligen Verankerungsmethode kann folgende Empfehlung als Orientierungshilfe für die praktische Anwendung gegeben werden.

Je jünger der Patient, umso größer sind die Vorteile zementfreier Implantate, wenn intra- und frühe postoperative Komplikationen vermieden werden können. Deshalb ist bis zum 65. Lebensjahr die zementfreie Verankerung zu bevorzugen. In der Altersgruppe zwischen 65 und 75 Jahren ist das Verankerungsprinzip hinsichtlich Alter und Geschlecht des Patienten sowie Knochenqualität, aber auch Vertrautheit mit dem jeweiligen Implantat, vom Operateur sorgfältig abzuwägen. Ab dem 75. Lebensjahr sollte die Hürde für hybrid oder zementiert verankerte Implantate niedrig sein, um das frühe Revisionsrisiko für diese Patientengruppe zu minimieren. In einer Phase mit deutlichem Trend zur zementfreien Implantation, sollte, nicht zuletzt aus Gründen der ausgewogenen Ausbildung jüngerer Kollegen, die (teil-)zementierte Verankerungsform nicht vernachlässigt werden.

Interessenkonflikt: Keine angegeben

Korrespondenzadresse

Dr. med. Ralf Schönherr

Baumann-Klinik Orthopädie

Karl-Olga-Krankenhaus GmbH

Hackstraße 61

70190 Stuttgart

ralf.schoenherr@sana.de

Literatur

1. Abdel MP, Watts CD, Houdek MT, Lewallen DG, Berry DJ: Epidemiology of periprosthetic fracture of the femur in 32 644 primary total arthroplasties. Bone Joint J 2016; 98-B: 461–467

2. Abdulkarim A, Ellanti P, Motterlini N, Fahey T, O´Byrne JM: Cemented versus uncemented fixation in total hip replacement: a systematic review and meta-analysis of randomized contolled trials. Orthop Rev 2013; 22; 5: e8

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