Übersichtsarbeiten - OUP 06/2014

Behandlungsalgorithmus der Ellenbogenluxation

B. Hollinger1, S. Franke1

Zusammenfassung: Aufgrund der unterschiedlichen Verletzungsformen mit variierender Schwere der Verletzung stellt die Ellenbogenluxation ein komplexes Trauma dar. Ausbildung und Erfahrung des behandelnden Arztes bestimmen das therapeutische Behandlungskonzept, welches sehr unterschiedlich sein kann. Bis heute gibt es kaum einheitliche Therapiekonzepte zur Behandlung der Ellenbogenluxation.

„Einfache“ Luxationen ohne knöcherne Begleitverletzungen werden von den Luxationsfrakturen, auch „komplexe“ Luxationen genannt, unterschieden. Für die knöchernen Verletzungen sind gute Klassifikationen erstellt worden, die die Richtung der Therapie vorgeben. Bei den rein ligamentären „einfachen“ Luxationen existieren keine allgemeingültigen Klassifikationen, aus denen sich ein Behandlungskonzept ergeben würde.

Ob eine Bandverletzung konservativ ausheilen oder in eine chronische Instabilität münden wird, ist ebenso unklar wie die Vorhersagbarkeit bzgl. einer möglicherweise eintretenden Gelenksteife. Als Kliniker die Verletzung bereits initial korrekt einzuschätzen und die richtige Therapie einzuleiten ist daher eine Herausforderung.

In diesem Artikel soll ein Behandlungspfad der „einfachen“ ligamentären Ellenbogenluxation aufgezeigt werden, der in Abhängigkeit der durchgeführten differenzierten Diagnostik zu repräsentativ zuverlässigen Ergebnissen führt und die Fallstricke der Behandlung berücksichtigt.

Schlüsselwörter: Ellenbogeninstabilität, Ellenbogenluxation,
primäre Bandnaht, Ellenbogenarthroskopie, Ellenbogensteife

Zitierweise
Hollinger B, Franke S. Behandlungsalgorithmus der Ellenbogenluxation. OUP 2014; 6: 292–299 DOI 10.3238/oup.2014.0292–0299

Summary: Elbow dislocations are complex traumas with varying severity. There are a variety of concepts for the treatment of elbow dislocations depending on the education and experience of the treating physician. Elbow dislocations are still challenging injuries and there are nearly no standardized therapy concepts.

Dislocations can be divided into “simple” – if there are no accompanying bony injuries – and fracture dislocations, also called “complex” dislocations. There are quite good classifications for fractures which provide management guidelines. A grading for simple dislocations with ligament damage has yet not been found and therefore problems of choosing the right treatment can occur.

Ligamentous injuries, which show good outcome with non-operative treatment, are hard to differentiate from those which lead to chronic instability and/or stiffness. The challenge is to initially judge the injury properly in order to start the correct treatment.

This article gives guidelines of treating simple elbow dislocations according to the diagnostic findings which lead to reliable results and considers the pitfalls.

Keywords: elbow instability, elbow dislocation, primary ligament repair, elbow arthroscopy, elbow stiffness

Citation
Hollinger B, Franke S. Management guidelines for elbow dislocations. OUP 2014; 6: 292–299 DOI 10.3238/oup.2014.0292–0299

Abkürzungen

LUCL: Laterales ulnares Kollateralband

LCL: Laterales Kollateralband

MCL: Mediales Kollateralband

AML: Anteriores Bündel des medialen Kollateralbands

Einleitung

Die Ellenbogenluxation ist mit einer Inzidenz von 6–13 pro 100.000 Einwohner nach der Schulterluxation die häufigste Gelenkverletzung mit Kontaktverlust der Gelenkpartner [9]. Patienten im jüngeren oder mittleren Alter nach Stürzen oder Sportverletzungen sind häufiger betroffen [7]. Da sich immer wieder Patienten beim Arzt vorstellen, deren bildgebend festgestellte Verletzungsfolgen auf einen Luxationsmechanismus mit sofort anschließender spontaner Reposition hinweisen, ist jedoch von einem deutlich häufigeren Vorkommen auszugehen. Da kaum epidemiologische Daten zum Vorkommen der chronischen Instabilitäten existieren, lassen sich zu diesen Verletzungsfolgen nur schwer Aussagen treffen [20, 21].

Am Schultergelenk kommt es nach Luxationen zu typischen Verletzungsfolgen (Labrumläsion, Hill-Sachs-Defekt, ggf. Rotatorenmanschetten-Defekt) mit deren ebenfalls typischen Folgeproblemen wie chronische Instabilität/Rezidiv-Luxation bzw. eventuell symptomatischem Rotatorenmanschetten-Defekt. Die Ellenbogenluxationen hingegen können in einer Vielzahl unterschiedlicher Verletzungsfolgen mit einer großen Bandbreite der knöchernen und ligamentären Verletzungsschwere resultieren. Durch den unphysiologischen Abschermechanismus der Gelenkflächen mit hohem Druck bei der Luxation oder Reposition finden sich oftmals Knorpelschäden, z.B. am dorsalen Capitulum humeri, in der Trochlea, am Radiuskopf oder an der Coronoidspitze [12, 14, 25, 26, 30]. Diese Knorpelschäden können der bildgebenden Diagnostik entgehen und geraten oft erst mit dem Einsatz der Arthroskopie zunehmend ins Bewusstsein.

Das Erreichen von anatomischen und stabilen Gelenkverhältnissen sollte das Ziel jeder Therapie sein, um eine frühfunktionelle Nachbehandlung und damit ein zu erwartendes gutes klinisches Ergebnis zu gewährleisten.

Anatomie

Das Humeroulnargelenk mit seiner guten knöchernen Führung und Stabilität übernimmt die Hauptbewegung in Extension und Flexion. Durch die Beuge- und die Streckmuskulatur wird insbesondere in Flexion die Incisura trochlearis der Ulna in die Trochlea gepresst. Erst bei zunehmender Extension ist in der Regel eine Luxation dieser beiden Gelenkpartner möglich. Das proximale Radioulnargelenk ermöglicht die Umwendbewegung des Unterarms, dabei ist der Radius über das Lig. anulare und die Membrana interossea mit der Ulna verbunden. Das ulnare Kollateralband sorgt medial für Stabilität gegen Valgus-Stress und der Radiuskopf dient hierbei als laterale Abstützung. Gegen die Kräfte bei Varus-Stress wirkt außer der knöchernen Führung des Humeroulnargelenks der laterale Kollateralband-Komplex. Das laterale ulnare Kollateralband (LUCL) ist der zur Ulna verlaufenden und hier in den Ansatz des Lig. anulare einstrahlende Anteil des lateralen Bandapparats, der insbesondere die Rotation der Ulna nach dorso-lateral verhindert und den Radiuskopf nach dorsal stabilisiert. Die Sehnenursprünge der Flexoren-Supinator-Gruppe am Epicondylus humeri ulnaris und die Extensorensehnen sorgen lateral für sekundäre, dynamische Stabilität und dienen als synergistische Stabilisatoren [4, 28].

Das Säulenmodell von Ring und Jupiter [27] zeigt schematisch die verschiedenen Stabilisatoren des Gelenks:

Anteriore Säule: Coronoid, M. brachialis, anteriore Gelenkkapsel

Dorsale Säule: Olecranon, M. triceps, posteriore Glenkkapsel

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