Übersichtsarbeiten - OUP 06/2014

Behandlungsalgorithmus der Ellenbogenluxation

Radiale Säule: Radiuskopf, Capitulum, LCL.

Ulnare Säule: Coronoid, Trochlea, MCL

Die Stabilisatoren werden von O’Driscoll et al. in statische und dynamische Stabilisatoren eingeteilt, die als primäre und sekundäre Stabilisatoren einen doppelten Verteidigungsring analog zu einer Festung bilden. Den ersten Verteidigungsring bilden die primären Stabilisatoren – das Humeroulnargelenk, das AML des MCL und das LUCL des LCL. Die sekundären Stabilisatoren – der Radiuskopf, die Unterarmbeuger- und Streckermuskulatur – bilden den zweiten Verteidigungsring [22].

Unfallmechanismus

Von O´Driscoll wurde der Unfallmechanismus bei Ellenbogenluxation aufgrund von biomechanischen Versuchen als Sturz auf den im Ellenbogen ausgestreckten Arm beschrieben, der dabei unter der axialen Lasteinleitung leicht flektiert. Beim Auftreffen auf den Boden rotiert der Körper nach innen mit am Boden fixierter Hand und bewirkt dadurch Außenrotations- und Valgus-Kräfte auf den Ellenbogen, die schließlich zur Luxation führen [17, 19]. O´Driscoll beschreibt eine kreisförmigen Ruptur der kapsuloligamentären Stabilisatoren, die am LCL beginnt, gefolgt von einer Ruptur der ventralen und dorsalen Kapsel, die sich dann bis zum MCL fortsetzt, das potenziell intakt bleiben kann [22]. Allerdings legen klinische Erfahrungen nahe, dass auch andere Luxationsmechanismen in Betracht gezogen werden müssen, wie Ellenbogenluxationen mit rupturiertem MCL, aber intaktem LCL, zeigen. In unserem Patientenkollektiv der Ellenbogenluxationen aus den letzten 6 Jahren (ca. 50 Luxationen) zeigten sich retrospektiv bei ca. 60 % rein ulnare Seitenbandrupturen ohne Beteiligung der radialen Bänder.

Eine Einteilung klassifiziert nach der Luxationsrichtung:

posterior,

posterolateral,

posteromedial,

anterior,

divergierend.

Während die posterioren Luxationen (ca. 90–95 %) am häufigsten vorkommen, stellen die anteriore und die divergierende Luxation absolute Raritäten dar.

Erstbehandlung

Bei einer Ellenbogenluxation ist nach obligater Überprüfung von Nerven- und Gefäßstatus die rasche Reposition indiziert. Diese sollte aufgrund der meist massiven Schmerzen in Analgosedierung und bei muskelkräftigen Patienten evtl. sogar in einer zusätzlichen Relaxierung erfolgen. Die geschlossene Reposition ist praktisch immer möglich, insbesondere wenn keine knöcherne Beteiligung vorliegt. Dazu sollte bei fixiertem Oberarm ein Längszug in strecknaher Stellung auf den Unterarm erfolgen, ggf. kann bei zunehmender Beugung der eigene Ellenbogen als Hypomochlion in der Ellenbeuge eingesetzt werden [11, 16]. Eine offene Reposition ist fast nie erforderlich, zuvor wäre sicherlich eine weitere Abklärung mit MRT oder CT sinnvoll, um eine mögliche Ursache zu erkennen und die Wahl eines Zugangs für das offene Vorgehen zu erleichtern. Noch in Narkose sollte direkt im Anschluss an die Reposition die Stabilitätskontrolle durchgeführt werden. Insbesondere soll erfasst werden, ob die Bewegung des Gelenks über das gesamte Ausmaß ohne Reluxationstendenz erfolgen kann, bzw. ab welchem Extensionsgrad eine Reluxation auftritt. Zusätzlich werden unter Valgus- und Varus-Stress die Seitenbänder und die Hauptrichtung einer seitlichen Instabilität und unter Anwendung des Pivot-Shift-Tests [18] die posterolaterale Rotationsinstabilität. Zur visuellen Kontrolle und Dokumentation sollte die Stabilitätskontrolle unter Durchleuchtung erfolgen.

Diagnostik

Initial muss eine Röntgendiagnostik des Ellenbogens in 2 Ebenen durchgeführt werden, ggf. auch in Behelfstechnik. Bestehen zusätzlich Schmerzen am distalen Radioulnargelenk, sollte ein Röntgen des Handgelenks in 2 Ebenen erfolgen, um eine Essex-Lopresti-Verletzung (Ruptur der Membrana interossea mit Einbeziehung des distalen Radioulnargelenks) nicht zu übersehen.

Post repositionem schließen sich Röntgenaufnahmen in 2 Ebenen obligat zur Dokumentation und zur Stellungskontrolle an.

Bei Hinweisen auf eine komplexe knöcherne Begleitverletzung im Röntgen ist ein CT indiziert, um die Fraktur besser beurteilen zu können und abhängig vom Befund das Therapiekonzept festzulegen bzw. eine notwendige operative Versorgung zu planen.

Eine sehr sensible Untersuchung zur Erhebung von Verletzungsfolgen am Kapsel-Bandapparat ist die Kernspintomografie. Hinweise auf eine zurückliegende Luxation oder Subluxation lassen sich häufig im MRT darstellen. Typische Verletzungsmuster können ein Abscherfragment am ventralen Radiuskopf, am dorsalen Capitulum humeri oder an der Coronoidspitze sein. Im Schnittbildverfahren werden Subluxationsstellungen des Gelenks genauer dargestellt als im nativen Röntgen und zeigen trotz statischer Untersuchungstechnik indirekt eine vorliegende Instabilität. Insbesondere sollte auf eine Inkongruenz des Olecranon in der Trochlea im axialen Schnittbild geachtet werden. Im sagittalen Schnittbild kann der dorsale Versatz des Radiuskopfs in Relation zum Capitulum humeri auffällig sein. In der coronaren Schnittebene zeigen sich mediale oder laterale Gelenkspaltverschmälerungen bzw. Erweiterungen als Zeichen einer Subluxationsstellung.

Die statische Position des Ellenbogens stellt einen Nachteil dieser Untersuchungstechnik dar. Das MRT kann sehr sensitiv den Ort der Verletzung/Pathologie zeigen, eine direkte Aussage zum Schweregrad der Instabilität ist aber nur selten möglich.

Die im MRT erhobenen Befunde beeinflussen das weitere Behandlungskonzept maßgeblich und informieren den behandelnden Chirurgen über die Verletzungsschwere.

Konservative Therapie der „einfachen“
Ellenbogenluxation

So zügig wie möglich eine funktionelle Nachbehandlung mit rascher Mobilisierung zu erreichen, sollte das therapeutische Ziel nach einer Ellenbogenverletzung sein. Die Tendenz des Ellenbogengelenks, eine Gelenksteife bzw. Arthrofibrose zu entwickeln ist im Vergleich zu anderen Gelenken deutlich erhöht [3, 8, 13, 23, 24, 26]. Dies kann zu dauerhaften Bewegungseinschränkungen führen und dementsprechend einen enormen Leidensdruck für die Patienten bedeuten. Das Paradoxon beim Ellenbogen ist, dass trotz eingetretener Gelenksteife der Kollateralbandkomplex nach einer erlittenen Ellenbogenluxation instabil bleiben kann [1, 2, 9, 15]. Die Behandlung bei Kombination einer Gelenksteife mit einer begleitenden Instabilität ist ungleich schwieriger und aufwendiger als die Behandlung nur einer der beiden genannten Pathologien alleine.

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