Übersichtsarbeiten - OUP 10/2016

Berufskrankheit Gonarthrose (BK 2112)

Grad 4: Ausgeprägte Osteophyten, starke Verschmälerung des Kniegelenkspalts, ausgeprägte Sklerose und definitive Verformung der Tibia und des Femurs.

Nach übereinstimmender Auffassung der Konsensusgruppe ist der Verweis auf die Klassifikation nach Kellgren für die gutachterliche Umsetzung allerdings nicht hinreichend. So wird die Verschmälerung des Gelenkspalts als Korrelat des Knorpelschadens in der Klassifikation nach Kellgren nur ungenau in qualitativen Begriffen beschrieben, auch die Unterscheidung zwischen „möglichen“ und „definitiven“ Osteophyten ist nicht klar definiert. Definitive Gelenkspaltverschmälerungen ohne Osteophyten können nicht unter die Klassifikation nach Kellgren subsumiert werden, da sie darin nicht vorgesehen sind. Auch die Ergebnisse kernspintomografischer und arthroskopischer Untersuchungen lassen sich nicht subsumieren. Es bestand daher Konsens, dass die Klassifikation präzisiert und erweitert werden muss.

Basisdiagnostik

Als Basisdiagnostik sollten zur Begutachtung Röntgenaufnahmen beider Kniegelenke in 2 Ebenen (a.p. Röntgenstandaufnahme nach Rosenberg) und beider Patellae axial in 60° vorliegen bzw. angefertigt werden, bedarfsweise ergänzend auch Patella-Defilee-Aufnahmen.

Definition definitiver Osteophyt

Nach dem Ergebnis der Konsensusgruppe zeichnet sich ein „definitiver“ Osteophyt durch folgende Merkmale aus:

Größe der Ausziehung ? 2 mm ab ursprünglicher Knochenform

Ausziehung grenzt an die Gelenkfläche an (Abgrenzung z.B. von Sehnenansatzverkalkungen)

An der Patella ist das Augenmerk auf seitliche Osteophyten zu legen (knöcherne Ausziehungen am oberen und unteren Patellapol sind häufig Normvarianten).

Definition Gelenkspaltverschmälerung

Lanyon et al. [20] maßen in ap-Standaufnahmen die Weite des patellofemoralen Gelenkspalts und des tibiofemoralen Gelenkspalts jeweils lateral und medial bei 86 Frauen und 39 Männern ohne Kniebeschwerden und ohne Osteophyten aus. Die Probanden waren zwischen 40 und 75 Jahre alt mit einem durchschnittlichen Alter von 58 Jahren. Von der Konsensusgruppe wurde – ausgehend von den Ergebnissen von Lanyon – unter Berücksichtigung der Standardabweichungen das Vorliegen einer Gelenkspaltverschmälerung im Konsens wie folgt definiert (Tab. 2)

Diese Definition der Gelenkspaltverschmälerung ist für die Begutachtung bei der BK 2112 besonders geeignet, da sie auf der Messung von Absolutwerten beruht.

Bei grenzwertigen Gelenkspaltverschmälerungen gilt:

Bereits vorhandene Untersuchungen mit MRT und/oder Arthroskopie sind als aussagekräftigere Methoden als die Projektionsradiographie zu werten und in die Entscheidung einzubinden.

Falls eine Klärung durch bereits vorhandene Untersuchungen nicht möglich ist, ist zur Verifizierung des Knorpelschadens ein MRT angezeigt.

Definitive Gelenkspaltverschmälerungen ohne
Osteophyten

Definitive Gelenkspaltverschmälerungen ohne Osteophyten sind in der Klassifikation von Kellgren nicht vorgesehen. Hier bestand in der Konsensusgruppe Übereinstimmung, dass definitive Gelenkspaltverschmälerungen ohne Osteophyten je nach Ausprägung analog Kellgren Grad 3 bzw. – im Falle einer starken Gelenkspaltverschmälerung und einer definitiven Verformung von Tibia und Femur – analog Kellgren Grad 4 zu werten sind.

Klassifikation der Knorpelschäden

Die Klassifikation der arthroskopisch nachgewiesenen Knorpelschäden sollte nach ICRS (International Cartilage Repair Society) [3] erfolgen, einer Weiterentwicklung der Outerbridge-Klassifikation [23]:

Grad 0: normal

Grad I: fast normal (oberflächliche Läsionen, Erweichung, Fissuren)

Grad II: anormal (Knorpeldefekte bis < 50 % der Knorpeltiefe)

Grad III: stark anormal (Knorpeldefekte > 50 %)

Grad IV: kompletter Knorpeldefekt mit offen liegendem subchondralem Knochen

Für kernspintomografisch nachgewiesene Knorpelschäden eignet sich die Klassifikation nach Valloton [28], welche an die arthroskopische Klassifikation angelehnt ist.

In der Konsensusgruppe bestand Konsens, das kernspintomografisch und/oder arthroskopisch nachgewiesene Knorpelschäden auch ohne pathologischen Röntgenbefund als Gonarthrose analog Kellgren Grad ? 2 zu werten sind, wenn die nachfolgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

In der Tiefenausdehnung zum subchondralen Knochen reichende Knorpelzerstörung bzw. kompletter Defekt („Knorpelglatze“) und/oder der Nachweis intraartikulärer Osteophyten. Hierunter sind schwere Knorpelschäden (deep cartilage lesions) zu verstehen, bei denen der Knorpel Rissbildungen bzw. Flakes aufweist, die bei der Palpation mit dem Tasthaken bis zum subchondralen Knochen hin reichen (Grad IIIb nach IRCS) sowie das höchste Stadium der Knorpelschädigung, der komplette Knorpeldefekt (complete defect) mit offen liegendem subchondralem Knochen (Grad IV nach IRCS).

Isolierte Ostophyten innerhalb der interkondylären Notch sind nicht zu berücksichtigen. Diese sind nahezu ausschließlich bei älteren Kreuzbandverletzungen zu beobachten und sprechen daher für eine durchgemachte Majorverletzung des Kniegelenks.

Der Knorpelschaden weist innerhalb des betroffenen Kompartiments eine großflächige Ausdehnung auf. Die Mindestgröße der schweren Läsion bzw. des Defekts sollte 2 cm2 betragen. Außerdem sollte auch ein entsprechender Schaden an der korrespondierenden Gelenkfläche (kissing lesion) vorliegen.

Funktionseinschränkungen

Ein Krankheitsbild im Sinne der BK 2112 setzt neben dem strukturellen Befund einer Gonarthrose vom Grad Kellgren ? 2 auch Funktionseinschränkungen voraus. Es muss mindestens eine der 6 Funktionsstörungen vorliegen, welche in der ergänzenden Stellungnahme des Ärztlichen Sachverständigenbeirats vom 24.10.2011 (s.o.) ausgeführt sind.

Zusammenhangsbeurteilung

Berufliche Belastungen

Hiermit musste sich die Konsensusarbeitsgruppe nicht befassen, da die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2112 vom Verordnungsgeber einschließlich quantitativer Angaben vorgegeben sind.

Zeitlicher Verlauf

Grundvoraussetzung ist eine ausreichende berufliche Belastung, wobei diese eine plausible zeitliche Korrelation zur Entwicklung der Gonarthrose aufweisen muss. Der Erkrankung (? Kellgren 2) muss eine ausreichende Exposition (13.000 Stunden) vorangegangen sein. Eine Latenz zwischen dem Ende der Exposition und der erstmaligen Diagnose der Erkrankung von ? 5 Jahren hat nach übereinstimmender Auffassung der Konsensusarbeitsgruppe keine wesentliche negative Indizwirkung. Bei Latenzen von > 5 Jahren wird der Ursachenzusammenhang umso unwahrscheinlicher, je länger die Latenz ist. Bei Latenzen von > 5 Jahren ist unter Berücksichtigung der Ausprägung der Gonarthrose zum Zeitpunkt der erstmaligen Diagnosestellung zu prüfen, ob es durch Extrapolation wahrscheinlich gemacht werden kann, dass innerhalb von 5 Jahren nach dem Ende der Exposition bereits eine Gonarthrose mindestens vom Grad Kellgren 2 vorlag.

Belastungskonformität

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