Übersichtsarbeiten - OUP 05/2016

Chronische Rückenschmerzen – entzündlich, funktionell, psychosomatisch?

Die interdisziplinäre Diagnostik erfolgt über die umfangreiche Anamneseerhebung, Erhebung des psychischen Befunds, die neuroorthopädischen und funktionell manualmedizinischen Untersuchungen. Unterstützt werden die klinischen Verfahren durch die apparative Funktionsdiagnostik, die Einbeziehung aller Vorbefunde und spezieller Fragebögen einschließlich psychometrischer Skalen, z.B. dem Deutschen Schmerzfragebogen. Die Befunde werden im qualifizierten interdisziplinären Team zusammen getragen und in ihrer aktuellen Bedeutung für die Schmerzsymptomatik, das Beeinträchtigungserleben und die Bewegungsstörungen des Patienten bewertet.

Die klinische Umsetzung erfolgt auf der Basis einer standardisierten Untersuchung. In der Abbildung 3 wird das Expertenrating der einzelnen Subskalen (Morphologie, manualmedizinisch-funktionell, vegetativ-funktionell, psychologisch und sozial) dargestellt. Über die Einschätzung der Wertigkeit der spezifischen Ebenen entsteht das Störungsmuster, welches Grundlage für die befundgerechte Komplexbehandlung ist.

Stationäre interdisziplinäre Therapie des Bewegungssystems

Die multimodale interdisziplinäre Therapie des Bewegungssystems nach dem ANOA-Konzept ist befundorientiert, multimodal und multiprofessionell. Die Komplexbehandlungen werden im Rahmen von Therapieschwerpunkten (Behandlungspfade, Tab. 1) umgesetzt. Es wurden 4 Behandlungspfade erarbeitet und in den letzten Jahren auf klinische Praktikabilität und Wirksamkeit überprüft und für viele Patienten angewandt. Die Nutzung ermöglicht die Umsetzung der Therapie in Subgruppen.

So erfolgt die Therapiesteuerung und Gewichtung der Therapieverfahren.

Ärztliche, psychotherapeutische, physio- und trainingstherapeutische sowie pflegerische Verfahren werden abgestimmt.

Die Zielstellung der Behandlung ist individuell patientenzentriert.

Die Anwendung der therapeutischen Verfahren erfolgt mit regelmäßiger interdisziplinärer Verlaufsdiagnostik und Therapieanpassung.

Die therapeutischen Verfahren stammen aus den Bereichen:

Manuelle Medizin

Reflextherapie

Medikamentöse und interventionelle Therapie

Psychotherapie

Physiotherapie

Trainingstherapie

Physikalische Therapie/Naturheilverfahren

Entspannungsverfahren

In wissenschaftlichen Untersuchungen konnte die multimodale Komplexbehandlung des Bewegungssystems nach dem ANOA-Konzept positiv evaluiert werden [19]. Diese ist insbesondere durch die Berücksichtigung von komplexen Funktionsstörungen des Bewegungssystems neben den tagesklinischen Konzepten ein weiterer Baustein in der Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzerkrankungen des Bewegungssystems.

Zusammenfassung und Fazit für die Praxis

Patienten mit Rückenschmerzen stellen oft ein komplexes Problem dar und bedürfen einer strukturierten Diagnostik- und Therapiestrategie. Patienten mit einem chronischen, chronifizierungsgefährdeten oder rezidivierenden Rückenschmerz bedürfen einer interdisziplinären multimodalen Diagnostik. Im Rahmen dieser Diagnostik können die wesentlichen pathogenetischen Aspekte des Schmerzsyndroms herausgearbeitet und eine differenzierte mono- oder multimodale Therapiestrategie entwickelt werden.

Interessenkonflikt: Keine angegeben

Korrespondenzadresse

Dr. med. Kay Niemier

Klinik für Manuelle Therapie

Ostenallee 83

59063 Hamm

Kay.Niemier@KMT-Hamm.de

Literatur

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2. Watson PJ, Main CJ, Waddel G, Gales TF, Purcell-Jones G: Medically certified work loss, recurrence and costs of wage compensation for back pain: A follow up study of the working population of Jersey. British Journal of Rheumatology 1998; 37: 82–86

3. http://www.leitlinien.de/mdb/down loads/nvl/kreuzschmerz/kreuzschmerz- 1aufl-vers5-lang.pdf; Zugriff 22.01.2016

4. http://dgrh.de/fileadmin/media/Praxis_Klinik/Manual_QS_2007/kap3.pdf; Zugriff 22.01.2016

5. Niemier K: Multimodal, polypragmatisch und kostenintensiv – Rückenschmerzbehandlungen auf dem Prüfstand. Manuelle Medizin, 2012; 50: 16–27

6. Niemier K, Schmidt S, Engel K et al.: Reliabilität klinischer Tests zur funktionellen Schmerzdiagnostik. Ergebnisse einer Multicenterstudie zur Reproduzierbarkeit von funktionellen Befunden des Bewegungssystems. Der Orthopäde 2009; 38: 847–854

7. Niemier K, Seidel W: Der Einfluss von muskulo-skelettaler Funktionsstörung auf chronische Schmerzsyndrome des Bewegungssystems. Schmerz 2007; 21: 139–45)

8. Niemier K. Hogräfe HC: Chronische cervicale Schmerzsyndrome. Vorstellung eines multimodalen interdisziplinären stationären Behandlungskonzepts (ANOA-Konzept; Akt Rheumatol 2015; 40: 1–9

9. Niemier K, Seidel W (Hrsg.): Schmerzen des Bewegungssystems. Funktionell behandeln – Schmerzen lindern. Springer Verlag Heidelberg. 2. erweiterte und überarbeitete Auflage 2011).

10. Pfingsten M. Franz C, Hildebrandt J, Sauer P, Seeger D: Das Göttinger Rücken Intensiv Programm (GRIP) – ein multimodales Behandlungsprogramm für Patienten mit chronischen Rückenschmerzen, Teil 3. Psychosoziale Aspekte. Schmerz 1996; 10: 326–344

11. Nguyen TH, Randolph DC, Talmage J, Succop, P, Russel T: Long-term outcomes of lumbar fusion among workers compensation subjects. Spine 2011; 36: 320–331

12. Webster BS, Verma S, Pransky GS: Outcomes of workers compensation claimants with low back pain undergoing intradiscal electrothermal therapie. Spine 2004; 29: 435–441

13. Bessou P, Perl ER: Responce of cutaneous sensory units with unmyelated fibers to noxious stimuli. J. Neurophysiol 1969; 32: 533–544

14. Treede RD: Physiologische Grundlagen der Schmerzentstehung und Schmerztherapie. In Zenz M, Jurna I. (Hrsg.) Lehrbuch der speziellen Schmerztherapie. Wiss. Verl.-Ges. 2001; 2 Auflage: 39–63

15. Woolfe CJ, Salter MW: Neural plasticity: increasing the gain in the pain. 2000; 288: 1765–1768

16. Hildebrandt J, Pfingsten M, Lüder S et al.: Göttinger-Rücken-Intensiv-Programm (GRIP). Das Manual. Congress Compact 2C; Auflage: 1., Aufl. (10. November 2003)

17. www.anoa-kliniken.de, Zugriff 14.03.2016

18. Bitzer EM, Lehmann B, Bohm S, Priess HW: BARMER GEK Report Krankenhaus 2015, Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse Band 33

19. Derlien S, Danckwerth F, Alfter S et al: Outcomes einer stationären multimodalen Komplexbehandlung des Bewegungssystems. Ergebnisse der Pilotphase zur ANOA-Studie. Manuelle Medizin 2016; 54: 53–58

20. Loeser JD ISAP, Loeser JD, Melzack R. Pain: an overview. Lancet. 1999; 8; 353: 1607–1609

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