Wissenschaft - OUP 02/2019

Das Tarsaltunnelsyndrom
Kompressionssyndrome am Fuß

Die Schmerzen werden in Ruhe, aber auch ggfs. zunehmend bei Belastung des Fußes empfunden. Circa ein Drittel der Patienten beklagen eine Ausstrahlung nach proximal zum medialen Unterschenkel. (Valleix’sches Phänomen) [8].

Nachtschmerzen können auftreten, u.U. mit einer Zunahme der Missempfindungen.

In der Regel treten die Beschwerden einseitig auf, was eine Differenzierbarkeit zur peripheren Polyneuropathie ermöglicht.

Diagnostik

Patienten können, wie oben gezeigt, ein Potpourri an unterschiedlichen Symptomen bieten. Die Diagnose eines Tarsaltunnelsyndroms beruht auf der genauen Anamnese, der klinischen Untersuchung und der Auswertung weiterführender Untersuchungen. Es gibt keinen Test der spezifisch für das Tarsaltunnelsyndrom ist.

Klinische Untersuchung

Die klinische Untersuchung beginnt mit der Inspektion im Liegen und im Stand. Gelegentlich finden sich bereits hierbei Zeichen einer durchgemachten Verletzung. Im Stand wird besonders auf eine Varus- oder Valgusdeformität des Rückfußes geachtet. Es wird die Beweglichkeit des oberen und unteren Sprunggelenks sowie in der Lisfranc’schen Gelenkreihe dokumentiert.

Die Perkussion des N. tibialis posterior entlang seines Verlaufs kann einen positiven Hinweis ergeben (Tinel-Zeichen).

Bei lokalen Raumforderungen kann gelegentlich auch bereits durch die Palpation ein raumfordernder Prozess dokumentiert werden. Die Sensibilität der Fußsohle ist je nach befallenem Nervenast unterschiedlich gestört (Abb. 2).

Deutlich ist häufig die gestörte Hauttrophik der Fußsohle. Initial erscheint die Haut dann aufgrund der beeinträchtigten sympathischen Innervation trocken, später wird sie glatt und dünn.

Auch motorisch findet sich ein uneinheitliches Bild. Erst in Spätstadien kann das aktive Spreizen der Zehen abgeschwächt oder unmöglich sein. Hierbei ist der Vergleich zur Gegenseite besonders wichtig. Auch die Abduktion der Großzehe kann vermindert sein. In diesen Fällen ist wiederum im Vergleich zur Gegenseite die Kontraktion des M. abductor hallucis palpatorisch abgeschwächt. Eine Kompression des Tarsaltunnels durch Eversion bzw. Inversion des Rückfußes kann versucht werden, ist in der Regel jedoch ebenfalls wenig konklusiv.

Ein mögliches Werkzeug, um den klinischen Befund zu objektivieren, besteht im Rahmen der Skala für den Schweregrad des Tarsaltunnelsyndroms (Tab. 3). In diesem Score können 10 Punkte erreicht werden. Je niedriger der Score desto symptomatischer der untersuchte Fuß. 2 Punkte werden für eine unauffällige Untersuchung vergeben, 1 Punkt für eine auffällige und 0 Punkte für eine sehr auffällige Untersuchung.

Bildgebende Diagnostik

Zunächst sollten Röntgenaufnahmen des OSG in 2 Ebenen sowie des Fußes unter Belastung in 2 Ebenen erfolgen, um ossäre Veränderungen, Achsfehlstellungen etc. auszuschließen. Unter Umständen kann ein CT sinnvoll sein, um die ossäre Situation vor allem im Bereich des distalen Tarsaltunnels darzustellen [7]. Ein Ultraschall kann sinnvoll sein, wenn ein Weichteilprozess vermutet wird. Gegebenenfalls kann hier eine Kernspintomografie sinnvoll sein [2].

Neurophysiologische
Untersuchung

Da es sich um eine Nervenkompression handelt, sind neurophysiologische Untersuchungen sinnvoll. Das Problem ist jedoch, dass in der Literatur wenig eindeutige diagnostische Kriterien aufgezeigt werden und die Messungen nicht immer eindeutig ausfallen bzw.z.T. keine verwertbaren Ergebnisse liefern.

Die empfindlichste Methode besteht in der Messung der sensiblen Leitgeschwindigkeit des N. plantaris medialis und lateralis, welche zugleich die anspruchsvollste darstellt. Bei Messung mit Oberflächenelektroden sind die Reizantworten niedrig, sodass sich Nadelelektroden anbieten.

Die in der Literatur beschriebene Stimulation des Abductor hallucis und des Abductor digiti quintus mit Ringelektroden bietet in der Praxis nur geringe Reizantworten und ist daher von fragwürdigem diagnostischem Nutzen.

Die Messung muss immer im Seitenvergleich erfolgen, da es für die verschiedenen Altersgruppen keine sinnvollen Referenzdaten gibt. Entscheidend bei der Nervenleitmessung ist also der signifikante Seitenunterschied. Die Elektromyografie ist bei Nachweis eines axonalen Schaden im Seitenvergleich hinweisend. Bei Gesunden können falsch positive Befunde erhoben werden, hier ist immer der Seitenvergleich entscheidend [5].

LA-Test
(Lokalanästhesie-Test)

Als wichtiger klinischer Hinweis hat sich in unserer Klinik ein Lokalanästhesie-Test herausgestellt. Bei auffälligem klinischem Befund, Auffälligkeiten in der Neurografie oder Bildgebung kann eine Testinfiltration in den Tarsaltunnel ein weiterer Baustein zur Diagnosesicherung sein. Hierbei werden 1 ml Carbostesin von proximal kommend in den Tarsaltunnel injiziert. Wenn hierdurch die Beschwerden vollständig beseitigt werden, kann u.U. eine OP sinnvoll sein.

Therapie

Das Tarsaltunnelsyndrom kann sowohl konservativ sowie chirurgisch behandelt werden. Können definitive Ursachen – wie etwa Raumforderungen – gesichert werden, erscheint die chirurgische Therapie sinnvoll. Ebenso kann eine chirurgische Therapie bei Versagen der konservativen Maßnahmen erwogen werden.

Konservativ

Bei nicht raumfordernden Prozessen sollte die konservative Therapie bevorzugt werden. Diese kann verschiedene Maßnahmen umfassen. Ein typischer Therapieansatz ist hier die Applikation von NSAID. Diese können sowohl topisch aufgetragen als auch systemisch appliziert werden. Auch neuropathische Medikamente wie Gabapentin, Pregabalin und trizyklische Antidepressiva können die Symptomatik verbessern.

Des Weiteren können Infiltrationen des Tarsaltunnels mit einem Lokalanästhetikum und Kortikoiden erwogen werden. Dies ist bei gesicherten Tenosynovitiden der Flexorensehnen indiziert [8].

Zusätzlich können bei Fußfehlstellungen entsprechende Schuhzurichtungen den Rückfuß stabilisieren und so den Patienten ggfs. entlasten. Tapeverbände zur Stabilisierung des Fußgewölbes können erfolgversprechend sein. Nachtschienen können, ähnlich zum Karpaltunnelsyndrom, versucht werden [10].

Physikalische Therapien wie Iontophorese, Ultraschall oder eine transkutane elektrische Nervenstimulation können Beschwerden lindern [10].

Operativ

Die operative Therapie erscheint erfolgversprechend bei raumfordernden Prozessen, bei deutlichem Unterschied der Nervenleitgeschwindigkeit im Seitenvergleich sowie positivem Tinel-Zeichen.

Operativ erfolgt die Operation in unserem Haus unter Blutleere. Es erfolgt eine ca. 8–10 cm lange Hockeyschläger-förmige Inzision ausgehend vom Talonavikulargelenk über die Hinterkante des Malleolus medialis nach proximal. Anschließend erfolgt die weitere Präparation auf das Retinaculum flexorum. Anschließend Identifikation der im Kanal verlaufenden Strukturen, d.h. Vene, Arterie, Flexor-Sehnen und des N. tibialis posterior. Darauf wird das Retinaculum von proximal nach distal gespalten. Wie oben in der Anatomie beschrieben, gibt es verschieden Varianten, sodass die Endäste, der N. plantaris lateralis sowie medialis sorgfältig verfolgt und dekomprimiert werden müssen. Gegebenenfalls ist hier der Einsatz einer Lupenbrille sinnvoll.

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