Übersichtsarbeiten - OUP 03/2023

Degenerative zervikale Myelopathie
Pathogenese, Bildgebung und Therapie

Die Kernspintomographie (MRT) ist die Standarddiagnostik bei einer DZM. Beurteilt werden können die direkte Rückenmarkskompression und das Signalverhalten des Rückenmarks, wobei hier besonders ein hyperintenses Signal im T2-gewichteten Bild relevant ist [18], welches häufig als „Myelopathiesignal“ bezeichnet wird. Diese Veränderung entspricht zunächst wohl einem Ödem, welches noch reversibel ist, kann aber auch Zeichen einer Gliose sein. Findet sich im T1-gewichteten Bild ein hypointenses Signal, so korreliert dies mit einer Myelomalazie und dem Verlust von grauer Substanz [22]. Die sichtbare Kompression des Rückenmarks ist sehr sensitiv für eine Myelopathie (> 99 %), hat aber nur eine sehr geringe Spezifität (< 10 %). Auch bei ca. 25 % asymptomatischer Patientinnen und Patienten ist eine Rückenmarkskompression erkennbar. Hingegen ist ein intramedulläres, hyperintenses Signal im T2-gewichteten Bild relativ spezifisch (> 90 %) aber nicht sehr sensitiv [21]. Aus dem MRT-Befund allein ist kein Rückschluss auf die Schwere der klinischen Symptomatik möglich.

Es wurde versucht, die Prognose einer OP anhand der Befunde im MRT vorherzusagen. Generell scheint das Vorhandensein eines hypointensen T1-Signals oder hyperintensen T2-Signals mit einem schlechten Ergebnis assoziiert zu sein. Das hypointense T1-Signal zeigt eine zunehmende Beeinträchtigung des Rückenmarks [18]. Qualitative Messungen der Rückenmarkskompression im MRT korrelieren nur schlecht mit der klinischen Funktion, die Ergebnisse der Studien sind kontrovers [18]. Der Stellenwert eines dynamischen MRT (Flexion und Extension) wird in aktuellen Studien untersucht [23]. Es scheint möglich, Stenosen in Extension zu erkennen, die in Flexion oder Neutralposition nicht sichtbar sind [24].

Zunehmend werden neuere MRT-Techniken zur Diagnostik verwendet. Diffusion Tensor Imaging (DTI) beruht auf der Messung der Diffusionseffekte von Wassermolekülen auf zellulärer Ebene. DTI liefert Bilder, aber auch quantitative Messungen. Es ermöglicht eine Kartierung der Rückenmarksfasern und eine Quantifizierung der Diffusionseigenschaften des Rückenmarks. Es kann so die Integrität der weißen Rückenmarkssubstanz beurteilt werden [25]. Zur Quantifizierung werden 2 Parameter bestimmt. ADC (apparent diffusion coefficient) stellt ein Maß für die mittlere Diffusität dar und FA (fractional anisotropy) bestimmt den Grad der Richtungsabhängigkeit entlang der Gradientenachse. Typisch für eine DZM ist die Abnahme der FA-Werte bei Zunahme der ADC-Werte. DTI korreliert mit der Schwere der Erkrankung und den mJAO-Scores, jedoch nicht so gut mit dem Therapie-Outcome [25]. Problematisch ist DTI bei langstreckigen Stenosen.

Eine vielversprechende Technik ist die MR-Spektroskopie, die die Konzentration spezifischer Moleküle misst, die am neuronalen Zelltod beteiligt sind wie z.B. N-Acetylaspartat (NAA), Cholin (Cho), Kreatinin (Cr) und Laktat (Lac). Untersucht wurde z.B. das NAA/Cr Verhältnis [18]. Weitere Techniken, die in Bezug auf ihre Verwendung bei einer DZM untersucht werden, sind das funktionelle MRT, Perfusions Imaging oder die Positronen Emissions Tomographie (PET).

Therapie

Um eine Therapieentscheidung zu treffen und Patientinnen und Patienten gut zu beraten, ist es notwendig, den Spontanverlauf einer DZM zu kennen. So lassen sich die Erwartungen der Patientinnen und Patienten steuern und Risiken und Nutzen der unterschiedlichen Therapien können abgewogen werden. Es ist zu erwarten, dass sich zwischen 20 % und 62 % der Patientinnen und Patienten mit einer symptomatischen Myelopathie im Verlauf von 3–6 Jahren verschlechtern werden [26]. Dies bedeutet, dass nicht alle symptomatischen Patientinnen und Patienten eine progrediente Symptomatik haben. Es lässt sich allerdings nicht vorhersagen, welche Patientinnen und Patienten von einer Verschlechterung betroffen sein werden. Dieses schlecht vorherzusagende Risiko bei konservativer Therapie muss mit den Ergebnissen einer operativen Therapie verglichen werden, die nicht nur eine Verschlechterung verhindern kann, sondern auch zu einer Verbesserung neurologischer Symptome führt [26]. Von den asymptomatischen Patientinnen und Patienten mit einer Rückenmarkskompression werden 8 % innerhalb eines Jahres symptomatisch werden. Nach 4 Jahren werden 23 % der Patientinnen und Patienten Symptome zeigen [26].

Eine Reihe von Faktoren kann den natürlichen Verlauf der Erkrankung beeinflussen. So spielt der Ausgangs mJOA-Score eine Rolle, eine konservative Therapie wird nur bei Patientinnen und Patienten mit hohen Werten in Betracht gezogen. Auch die Dauer der Beschwerden korreliert mit einem schlechteren Therapieergebnis. Die Signalveränderungen im MRT korrelieren mit der Schwere der Erkrankung (insbesondere die Kombination aus einem hyperintensen Signal im T2-gewichteten Bild mit einem hypointensen Signal im T1-gewichteten Bild). Der natürliche Verlauf der Erkrankung kann aber anhand des MRT-Befundes nicht vorhergesagt werden [2]. In einer prospektiven Studie wurde der Verlauf der Erkrankung von 56 Patientinnen und Patienten mit einer milden Myelopathie beobachtet. Elf Patientinnen und Patienten (19,6 %) zeigten im Verlauf eine klinische Verschlechterung, 9 von diesen Patientinnen und Patienten wurden operiert. Einzig eine zirkumferente Myelonkompression war ein Prädiktor für einen schlechten Verlauf [27]. Patientinnen und Patienten mit bestimmten genetischen Erkrankungen wie z.B. Down-Syndrom, Ehlers-Danlos-Syndrom und Morquio-Syndrom, sind anfälliger für eine DZM, da entweder eine kongenitale Spinalkanalstenose besteht oder eine Bindegewebsschwäche mit Hypermobilität. Bei einem Klippel-Feil-Syndrom kommt es zur Fusion mehrerer Wirbel, was zu einer mechanischen Überlastung benachbarter Segmente führen kann. Auch ein Diabetes mellitus und Rauchen kann den Spontanverlauf der Erkrankung negativ beeinflussen [2].

Bei der Entscheidung, ob ein konservatives Vorgehen oder eine Operation empfohlen wird, ist die Schwere der Myelopathie gemessen mit dem mJAO-Score wichtig. In einer prospektiven Multicenter-Studie der AOSpine Nordamerika haben Fehlings et al. 2013 die Operationsergebnisse von Patientinnen und Patienten mit Myelopathie nach einem Jahr untersucht [28]. 278 hatten eine milde Myelopathie (mJOA ? 15), 110 eine moderate (mJOA 12–14) und 83 Patientinnen und Patienten eine schwere Myelopathie (mJOA < 12). In allen Gruppen fand sich eine Verbesserung der funktionellen Ergebnisse und der Lebensqualität. Insgesamt verbesserte sich der mJOA nach 12 Monaten von 12,8 auf 15,7. Am meisten profitierten Patientinnen und Patienten mit einer schweren Myelopathie. Der mJOA-Score verbesserte sich um 4,91 Punkte. Bei Patientinnen und Patienten mit moderater Myelopathie betrug die Verbesserung noch 2,58 Punkte. Die Komplikationsrate wurde mit 18,7 % angegeben. In der anschließend durchgeführten internationalen Studie [29] wurden diese Ergebnisse bestätigt. Es wurden 479 Patientinnen und Patienten prospektiv untersucht. Nach 24 Monaten verbesserte sich der mJOA-Score von 12,5 auf 14,9. Die Häufigkeit neurologischer Komplikationen wurde mit 3,13 % angegeben.

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