Informationen aus der Gesellschaft - OUP 09/2012

Der aufrechte Gang – Über die Zukunft der akademischen Bildung
60. Jahrestagung der VSOU 2012, Baden-Baden:
Festvortrag von Konrad Paul Liessmann

Darauf gründete auch der Wissenschaftsoptimismus der Moderne: Die ihrer eigenen Logik überlassene Forschung, die keinerlei Rücksicht nehmen muss, sollte der wesentlichste Garant für den zivilisatorischen Fortschritt sein. Der Gedanke, dass sich die Moderne einem Begriff des wissenschaftlichen Wissens verdankt, der erst in der Summe der Disziplinen und Richtungen seine entscheidende Gestalt erhält, vermag noch immer zu illustrieren, was Universität ihrem Begriff nach bedeutete: gerade nicht das beziehungslose Nebeneinander von Fakultäten und Fächern, Methoden und Projekten, Zielen und Gegenständen, sondern das durch ein gemeinsames Wissenskonzept gestiftete Miteinander derselben. Dass nur noch wenige große Universitäten auch nur vom Angebot her diesem Anspruch nachkommen können, ließe sich auch als eine Verpflichtung und Chance begreifen.

Gerade das Gegenteil ist der Fall: Auch große Universitäten reduzieren unter vordergründig ökonomischen Gesichtspunkten und um dem aus der Unternehmens-Ideologie stammenden Phantasma der Profilbildung zu gehorchen, ihre Forschungsschwerpunkte und ihre Studienangebote, und private oder auch öffentliche Universitätsneugründungen definieren diese ohnehin nur mehr als Ausbildungsstätte für einen extrem schmalen Bereich.

Der wichtigste Traditionsstrang der Universität der Moderne ist sicherlich die neuhumanistische, von Humboldt formulierte Einheit von Forschung und Lehre als das wesentlichste Bestimmungsmerkmal der Universität gegenüber anderen Stätten der Forschung und anderen Stätten der Ausbildung. In seinem Memorandum Über die innere und äußere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin von 1809/10 war es Humboldt, was oft übersehen wird, um eine Neuordnung der Wissenslandschaft überhaupt gegangen. Im wesentlichen unterschied er dabei 3 Institutionen: die „Akademien“ als reine Stätten der Forschung; die „Universitäten“ als Stätten der Forschung und Lehre und als Organisationen, die in „engerer Beziehung auf das praktische Leben und die Bedürfnisse des Staates“ stehen; und schließlich die von Humboldt so genannten „leblosen Institute“, also Archive, Museen, Bibliotheken etc., die sowohl von Akademien als auch von Universitäten benutzt und kontrolliert werden sollten.

Von diesen wissenschaftlichen Instituten sind dann nach Humboldt die Gymnasien und die Spezialschulen zu unterscheiden, welche für die humanistische Grundausbildung bzw. für gehobene berufliche Ausbildung zuständig sind. Trotz einer schon von Humboldt erkannten und auch beförderten Nähe der Universität zur Berufsausbildung lag der Sinn und das Wesen einer Universität für ihn nicht ausschließlich in der beruflichen Bildung, sondern vorrangig in der Arbeit an der Wissenschaft: in ihrer Entwicklung und in ihrer Vermittlung. Das und nur das unterscheidet die Universitäten von anderen Forschungseinrichtungen auf der einen und von allen anderen Schulen auf der anderen Seite: „Das Verhältnis von Lehrer und Schüler wird dadurch ein anderes als vorher. Der erstere ist nicht für den letzteren, Beide sind für die Wissenschaft da.“

Humboldt forderte also die gleichberechtigte Partnerschaft von Lehrenden und Studierenden im Geiste der Wissenschaft, wohl wissend, dass dazu „Freiheit und Einsamkeit“ ebenso notwendig sind wie „ein ununterbrochenes, sich immer selbst wieder belebendes, aber ungezwungenes und absichtsloses Zusammenwirken“ aller an diesem Prozess Beteiligter. Keine Frage: der ihm oft unterstellte weltfremde Gelehrte im Elfenbeinturm war nicht Humboldts Ideal. Aber welche der heute zu ergebnisorientierten Forschungsschwerpunkten und Vernetzungen abkommandierten Wissenschaftler könnten ihre Kommunikation mit den Kollegen noch als ungezwungenes und absichtsloses Zusammenwirken beschreiben? Die Voraussetzung universitärer Bildung – und damit war der Kreis der Studierenden selbstredend eingeschränkt – ist für Humboldt letztlich aber das aufrichtige Interesse an der Wissenschaft und ihrer Weiterentwicklung: „Sobald man aufhört, eigentlich Wissenschaft zu suchen, oder sich einbildet, sie brauche nicht aus der Tiefe des Geistes geschaffen, sondern könne durch Sammeln extensiv aneinandergereiht werden, so ist Alles unwiederbringlich und auf ewig verloren.“3 Durch Sammeln etwas extensiv aneinanderreihen – und Humboldt lebte in der Zeit vor Google.

Dass eine höhere Bildung und ein akademischer Abschluss nicht nur erstrebenswerte Güter, sondern Voraussetzungen für ein erfolgreiches Berufsleben sind und deshalb möglichst vielen zukommen sollen, hören wir immer wieder. Universitäten, die zu wenige Abschlüsse produzieren, werden gerügt, hohe Absolventenquoten angebetet wie steigende Börsenkurse. Anderseits – und dies gehört zu den Widersprüchlichkeiten, die unsere Bildungspolitik zum Teil so schwer erträglich machen – herrscht geradezu eine panische Furcht vor zu vielen Studierenden. Es soll nicht eine größere Zahl junger Menschen die Möglichkeiten eines Studiums haben, es sollen möglichst viele möglichst rasch fertig werden.

Wie man dann zu diesen gewünschten Abschlüssen, Graden und Titeln kommt – da sieht man dann vielleicht nicht mehr so genau hin. Mittlerweile haben sich ja nicht nur die akademischen Titel, die – je nachdem – vor oder nach dem Namen geführt werden, inflationär vermehrt, sondern auch die dazugehörigen Erwerbsmöglichkeiten, und der von manchen gerne propagierte freie Bildungsmarkt lässt hier noch einiges erwarten.

Wer immer heute ein Studium beendet, weiß nicht, was das damit verbundene Zertifikat eigentlich noch wert ist. Dies gilt für das Ansehen in der Wissenschaft ebenso wie für die Beurteilung durch die Öffentlichkeit oder die damit verbundenen oder erhofften Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Der Wert und die Bedeutung wissenschaftlicher Arbeit sind im öffentlichen Bewusstsein in dem Maße gesunken, in dem Studien und Abschlüsse als arbeitsmarktpolitische Maßnahmen vielleicht an Bedeutung gewonnen haben. Wichtig wäre es, dass sich vor allem die Universitäten in erster Linie als Garanten einer wissenschaftlich fundierten Bildung begreifen und dabei zu Qualitätskriterien bekennen, deren Wertschätzung auch von der Öffentlichkeit und der Politik, ganz ohne Augenzwinkern, geteilt werden sollte.

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