Übersichtsarbeiten - OUP 04/2015

Der perkutane Fixateur interne an der Wirbelsäule
Komplikationsrate eines neuen VerfahrensComplication results of a new technique

Die perkutane Frakturstabilisierung wird in unserem Haus seit 2009 als Standardverfahren angewandt und prospektiv erfasst. Die Verteilung der Eingriffshäufigkeit zeigt Abbildung 1. Insgesamt wurden 670 Stabilisierungen durchgeführt. Zu beachten ist, dass die Eingriffshäufigkeit pro Jahr in unserer Klinik nicht angestiegen ist aufgrund des vermeintlich einfacheren Verfahrens. Unsere Daten widersprechen somit den Angaben der Krankenkassen, dass Wirbelsäuleneingriffe generell dramatisch ansteigen würden. Die Subpopulation der zementaugmentierten Verfahren nimmt jedoch prozentual zu, da die Anzahl der instabilen osteoporotischen Frakturen deutlich ansteigt.

Die Frakturen werden nach Magerl klassifiziert und die Indikation zur Stabilisierung nach üblichen Instabilitätskriterien gestellt. Seit 2009 wird auch eine intraoperative Schichtbildgebung durchgeführt. Die Erfassung der Daten erfolgte prospektiv.

Die OP-Technik zeichnet sich dadurch aus, dass über minimalinvasive („perkutane“) Inzisionen K-Drähte in die Pedikel gesetzt werden. Über diese wird das Weichteilgewebe dilatiert und die Pedikelschrauben eingedreht. Als vorteilhaft erweist sich das Anbohren der Pedikel, insbesondere beim jungen Knochen (Abb. 2). Im osteoporotischen Knochen reicht oft die Punktion der Pedikel über sog. Jamshidinadeln aus. Ein weiterer großer Vorteil ist die intraoperative Schichtbildgebung der Wirbelsäule mit Rekonstruktionen (Abb. 3). Hierdurch kann die exakte Lage der Drähte und Schrauben bereits intraoperativ kontrolliert werden. Eine spätere Revision bei Schraubenfehllage wird damit vermieden (Abb. 3). Über Hülsensysteme wird abschließend der Längsträger in Tunneltechnik eingeschoben.

Eine Reposition der Frakturfehlstellung geschieht über Lagerung, Anwendung von monoaxialen Schrauben und der Verwendung von sog. Repositionstools. Die Wirksamkeit wurde im Rahmen einer radiologischen Nachuntersuchung bewiesen [18]. Das perkutane Prinzip ist bzgl. des Repositionsergebnisses auf keinen Fall schlechter als im offenen Vorgehen. Voraussetzung sind immer monoaxiale Schrauben und spezielle Repositionstechniken, ggf. mit stabileren Längsträgern mit steiferen Materialeigenschaften (Chrom-Kobaltstäbe vs. Titan).

Komplikationen werden unterteilt in intraoperative, postoperative und implantatspezifische Komplikationen. Des Weiteren werden spezielle Komplikationen der neuen Technik sowie Komplikationen der Hardware beschrieben. Ein Vergleich wird mit der Komplikationsrate des offenen Vorgehens geführt (MCS-II-Studie der DGU).

Intraoperative
Komplikationen

Als Gefahrenquelle hat sich der K-Draht erwiesen. Insbesondere im osteoporotischen Knochen kann dieser sehr leicht die Wirbelkörpervorderkante durchbohren und die Gefäße gefährden. Es ist daher bei den Wechselmanövern sowie beim Gewindeschneiden und Eindrehen der Schrauben äußerste Sorgfalt zu gewährleisten.

Im Rahmen dieser Studie kam es zu keiner blutungsrelevanten Komplikation. Es ist jedoch von einer hohen Dunkelziffer auszugehen, da die Perforation des Drahts oft unbemerkt bleibt (Abb. 4).

Als Segen hat sich die intraoperative Schichtbildgebung erwiesen. Insbesondere bei schwierigen anatomischen Verhältnissen im Bereich der mittleren und oberen BWS gibt die intraoperative Schnittbildgebung mehr Sicherheit. Der Vorteil liegt hier auch in der perkutanen Technik, da ein K-Draht mit Fehllage leichter zu korrigieren ist als eine bereits gesetzte Pedikelschraube. Aufgrund dieser Vorgehensweise ergab sich in diesem Patientengut keine revisionspflichtige Schraubenfehllage mehr.

Eine weitere Komplikation ist die Konversion zum offenen Vorgehen, bei z.B. ungenügender Frakturreposition, was von manchen Autoren propagiert wird. In unserem Patientengut fand keine Konversion mehr statt. Die Technik der Frakturreposition wie oben beschrieben und auch publiziert ist suffizient [18].

Weiterhin war auch keine Konversion bei massiver Blutung notwendig. Die Blutstillung geschieht in den meisten Fällen durch Einbringen der Hülsen und damit erreichter Gewebstamponade. Ein Sauger wird bei uns nicht mehr verwendet. Der Blutverlust ist minimal, was bereits in der Literatur beschrieben ist. Im Vergleich dazu war beim offenen Vorgehen im Mittel mit einem Blutverlust von ca. einem Liter zu rechnen. Bei der Notwendigkeit zur Laminektomie findet je nach Länge der Instrumentierung ein mini-open Zugang oder ein Mittellinienzugang mit lokalen Inzisionen der Faszie statt.

Ein besonderes Handling ist beim Einführen des Längsträgers zu beachten. Eine epifasziale Einbringung sowie das anschließende Herunterdrücken des Stabs führt zu Muskelnekrosen und kosmetischen Problemen. Hier wurde ein Fall in der Anfangszeit bekannt mit nachfolgender Wundheilungsstörung (Abb. 5–6). Auf die subfasziale Lage ist daher besonders zu achten.

Postoperative
Komplikationen

Die Hauptkomplikation ist der frühpostoperative Wundinfekt. Insgesamt musste in 7 Fällen eine lokale Revision durchgeführt werden. Alle Fälle konnten mit Belassen des Implantats zur Ausheilung gebracht werden. Einmal lag ein lokaler Aknebefall beim jugendlichen Patienten im Zugangsbereich vor. Dreimal handelte es sich um polytraumatisierte Patienten mit entsprechender Immunsupression.

Insgesamt beträgt die Infektrate 1,2 %, was im Literaturvergleich mit 2,6–3,8 % einen deutlichen Vorteil ergibt. Insgesamt ist es auch nachvollziehbar, dass eine geringere Traumatisierung des Gewebes weniger Infekte nach sich zieht. Weiterhin ist die verkürzte Operationszeit günstig für die Wundheilung. Als problematisch können sich zu knapp gewählte Hautinzisionen erweisen, da hier über die Hülsensysteme Drucknekrosen der Haut entstehen, welche wiederum zu Wundheilungsstörungen führen können (Abb. 7). Schwerwiegende Infektionsprobleme mit Entfernung der Implantate traten nicht auf. Insbesondere tiefe Infekte mit Osteomyelitis wurden nicht beobachtet, was beim offenen Vorgehen nach wie vor beobachtet werden kann.

Implantatspezifische
Komplikationen

Die wesentlichen Änderungen, die sich durch Einführung der perkutanen Fixateursysteme ergeben haben, sind die Verjüngung und Verschlankung der Implantate sowie veränderte Materialeigenschaften. Der Trend nach „low profile“-Implantaten hat dazu geführt, den Längsträger auf 5,5 mm zu verjüngen, um damit die polyaxialen Tulpenschrauben zu verkleinern. Die Stäbe sind meist aus Titanlegierungen, welche ganz unterschiedliche Materialeigenschaften aufweisen können. Eine Auswahl an unterschiedlichen Materialien für den Stab (Reintitan, Titanlegierung, Chrom-Kobalt) führt einerseits zu mehr Variabilität, andererseits aber auch zu Festigkeitsproblemen zwischen der Tulpe, des Stabs und der Setscrew (Madenschraube). In unserer Nachuntersuchung ergaben sich für diese Art der mechanischen Verblockung die meisten Komplikationen. Problematisch erweist sich auch ein nicht klar definiertes Drehmoment für das Eindrehen der Setscrew für Systeme, welche einen Überstand verwenden, der ab einem bestimmten Drehmoment abreißt. Bei Verkantung der Madenschraube ist somit auch ein zu frühes Abbrechen und somit eine ungenügende Verblockung hervorgerufen.

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