Übersichtsarbeiten - OUP 09/2016

Die Arthroskopie – Operationsroutine versus Routinefehler

Michael Roesgen1, Beate Weber2

Zusammenfassung: Auch eine Routineoperation wie die Kniegelenkarthroskopie, die deutschlandweit über 400.000 mal pro Jahr durchgeführt wird, birgt nicht unerhebliche Gefahren für das Auftreten von Behandlungsfehlern. Bei der Gutachterkommission der Ärztekammer Nordrhein sind in den Jahren 2010–2015 insgesamt 9380 Verfahren abgewickelt worden. 2925 Verfahren = 31,8 % betrafen die Orthopädie und Unfallchirurgie, davon wiederum 309 = 10,6 % arthroskopische Operationen am Kniegelenk.

Die Fehlerquote betrug 29,1 %. Die Meniskusresektion allein weist eine Fehlerquote von 20,7 % auf. Die Kreuzband-Rekonstruktion ist hingegen durch eine erschreckend hohe Fehlerquote belastet: bei 85 Verfahren wurde 42 mal ein Fehler erkannt, entsprechend einem Anteil von 49,4 %. Andere arthroskopische Eingriffe wie z.B. bei Arthrofibrose, freiem Gelenkkörper u.a. wiesen eine Fehlerquote von 22,6 % auf. Aufklärungsrügen sind in den letzten Jahren seltener geworden.

Die technisch anspruchsvollen Operationen bedürfen einer kritischen Überprüfung der Indikation, der Qualifikation des Teams und der OP-Ausstattung.

Schlüsselwörter: Arthroskopie Kniegelenk, Behandlungsfehler, Statistik

Zitierweise
Roesgen M, Weber B: Die Arthroskopie- Operationsroutine versus Routinefehler.
OUP 2016; 9: 502–504 DOI 10.3238/oup.2016.0502–0504

Summary: Also a routine operation as the arthroscopy of the knee-joint, which is performed more than 400.000 times a year in Germany, contains the risk for medical malpractice. The committee of arbitration at the physician medical association in NRW (Gutachterkommission der Ärztekammer Nordrhein) handled 9380 proceedings from 2010–2015. 2925 cases (31.8 %) were performed within Orthopedics and Traumatology. 309 of these cases = 10,6 % were such with arthroscopic operative procedures. The rate of malpractice came to 29.1 % over all, for the meniscus resection only 20.7 %. In contrast the operative reconstruction of the anterior cruciate- ligament achieved failure rate of 49.4 % in 42 patients among 85. Other arthroscopic procedures showed less malpractice with 22.6 %. Complaining insufficient enlightenment or information became less important during the last years.

Especially the transplantation of the cruciate ligament, undergoing difficult anatomical orientation, requires a long experience for the indication and the technical practice, performing this operation.

Keywords: arthroscopy, knee joint, medical malpractice,
statistics

Zitierweise
Roesgen M, Weber B: Arthroscopy – routine operation and its
medical malpractice.
OUP 2016; 9: 502–504 DOI 10.3238/oup.2016.0502–0504

Einleitung

Deutschlandweit werden allein am Kniegelenk ca. 413.000 Arthroskopien pro Jahr in Kliniken, Operationszentren und Praxen, ambulant oder stationär, durchgeführt (AQUA-Vorbericht 2014). Eine hohe Expertise kann aufgrund dieser Zahlen und der geübten Routine angenommen werden. Dennoch gelingen die Eingriffe nicht unbedingt fehlerfrei.

Definition

Die Einordnung als Behandlungsfehler geschieht aufgrund juristischer und wissenschaftlicher Definitionen:

wenn der Arzt nicht dem medizinischen Standard und dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechend handelt,

wenn er eine gebotene Behandlung unterlässt,

wenn der Arzt ein unsachgemäßes, den Patienten schädigendes Verhalten übt, welches dem ständig angewandten widerspricht,

wenn der Arzt das erforderliche Maß an Sorgfalt außer Acht lässt.

Die Grundlagen für die fach- und sachgerechte Behandlung werden bestimmt von:

gesetzlichen Vorschriften, z.B. dem Patientenrechtegesetz,

Richtlinien der BÄK,

Empfehlungen der wissenschaftlichen Fachgesellschaften,

Leitlinien,

Veröffentlichungen in der Literatur.

Im Gegensatz zum Behandlungsfehler wird die Komplikation definiert als unerwünschte Verschlimmerung einer Erkrankung

wenn eine Behandlung das erwartete Ergebnis oder die Heilung vermissen lässt

und diesem Ergebnis ein schicksalhafter Verlauf zugrunde liegt.

Ein unerwünschtes Ereignis führt zu einem unerwünschten Ergebnis.

Der Arzt ist per Patientenrechtegesetz zur Leistung der versprochenen Behandlung „lege artis“ nach wissenschaftlich anerkannten Standards verpflichtet.

Der Arzt schuldet nicht den Erfolg, denn der Behandlungsvertrag ist kein Werkvertrag, sondern ein Dienstvertrag,, ohne Erfolgs- oder Garantieversprechen (§630a-630 BGB).

Behandlungsfehler lauern einerseits bei der fachlichen Ausführung einer diagnostischen Maßnahme oder einer Behandlung, aber auch in der systematischen Betreuung der Patienten.

Fachliche Fehler liegen u.a. vor bei der

Befunderhebung

Diagnose

Indikationsstellung

Information, Sicherungs- Aufklärung

Risiko Aufklärung

Therapie, ob konservativ oder invasiv

Operation

Medikation, z.B. Schmerzmittelgabe

Komplikationsbewältigung: erkennen und behandeln

Abweichung vom Therapiekonzept.

Die systematischen Fehler sind breit gestreut:

Organisationsverschulden (z.B. OP-Saal nicht zur Verfügung)

Übernahmeverschulden (z.B. kein Facharztstandard)

Hygienestandard nicht erfüllt

ein „sicher vermeidbares Risiko“ hat sich erfüllt

Dokumentationsmängel

Verlust von Proben, von Bildgebung

Nichtbeachtung von Befunden (z.B. mikrobiologischer Abstrich, Rö. Befund, MRT, Histologie)

Gerade der letzte Punkt wird zunehmend beklagt, da einerseits die Patienten früh entlassen werden, noch bevor wichtige Befunde abschließend erstellt oder mitgeteilt sind, zum anderen durch den häufigen Wechsel verantwortlicher Ärzte, die im Krankenhaus aufgrund des Arbeitszeitgesetzes und von Freizeitausgleich inkonstant zur Verfügung stehen.

Statistik

Eine zusammenhängende Statistik der in Deutschland anhängigen oder abgeschlossenen Verfahren zum Vorwurf von Behandlungsfehlern existiert nicht. Es werden lediglich Schätzungen veröffentlicht, deren wissenschaftliche Grundlage unklar bleibt und die gerne von den Medien mit horrenden Zahlen verbreitet werden.

Laut statistischem Bundesamt wurden im Jahr 2013 bei den Amts- und Landgerichten 10.433 Arzthaftungsklagen erledigt. Die Quote der in diesen Verfahren tatsächlich festgestellten Behandlungsfehler ist nicht angegeben.

Bei den Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen wurden in 2014 deutschlandweit 11.787 Verfahren abgeschlossen. Behandlungsfehler mussten in 28,3 % der Fälle bejaht werden.

Beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen MDK haben in 2014 ca. 12.000 Versicherte um Überprüfung ihrer Behandlung nachgesucht. Wie viele dieser Fälle dann tatsächlich bei den Gerichten oder den Gutachterkommissionen weiterverfolgt wurden, ist nicht bekannt.

Die Zahl der Fälle, die von Versicherern direkt und unbürokratisch direkt reguliert wurden, ist ebenfalls nicht bekannt. Es werden erhebliche Schnittmengen vermutet, da Anfragen bei den Kassen häufig bei den GAK oder bei den Gerichten weiter verfolgt werden. Dazu werden Entscheidungen der GAK zum geringen Teil bei Gericht weiter verfolgt.

Geschätzt werden 40.000 bis 50.000 Verfahren pro Jahr in Deutschland aufgenommen. Die Schätzung des Bundesgesundheitsministeriums fällt deutlich höher aus, nämlich zwischen 40.000 und 170.000 in 2014. Zu hinterfragen ist allerdings, wie solide eine solche Schätzung ist, die eine Streuung von 1 zu 4-fach beinhaltet.

Bei der Gutachterkommission Nordrhein sind in den zurückliegenden 6 Jahren von 2010 bis 2015 insgesamt 9380 Verfahren durchgeführt worden (Tab. 1), 69,5 % der Verfahren betrafen die Kliniken, 30,5 % der Verfahren betrafen Praxen und MVZ.

Von den insgesamt 9.380 Verfahren bezogen sich:

309 auf eine Knie Arthroskopie bei insgesamt 2925 Fällen in der Orthopädie und Unfallchirurgie, was einem Anteil von 10,6 % entspricht.

90-mal wurde ein Fehler bestätigt, entsprechend einer Anerkennungsquote von 29,1 %.

140 Meniskusläsionen wurden verhandelt. Die Fehlerquote betrug 20,7 %.

85 Verfahren bezogen sich auf eine vordere Kreuzbandplastik.

42-mal wurde ein Fehler festgestellt entsprechend einer hohen Fehlerquote von 49,4 %.

Weiteren Verfahren lagen 84 andere Diagnosen zugrunde, wie z.B. Arthrose, Arthrofibrose, Patella Läsion, OD, Freie Gelenkkörper u.a.

19-mal wurde ein Fehler gesehen, entsprechend einer Fehlerquote von 22,6 %.

Diskussion und Würdigung

Auffällig und gleichzeitig erschreckend ist die hohe Fehlerquote bei der Kreuzbandplastik, die als Routineeingriff vielerorts durchgeführt wird. Es handelt sich um eine technisch anspruchsvolle Operation, in deren Verlauf vor allem die topografisch-anatomische Orientierung häufig zu Fehleinschätzungen führt. Die Folgen sind dann Fehlpositionierungen des Transplantats mit folgendem Transplantatversagen. Der Leidensweg der Patienten ist immer über eine lange Zeit nachzuverfolgen mit Resektion des Transplantats, knöchernem Aufbau und schließlich dem Neueinzug einer Kreuzbandplastik.

Weitere Fehler zeigen sich im Belassen pathologischer Befunde, z.B. freier Gelenkkörper oder eines Meniskus Fragments, Übersehen eines pathologischen Befunds, z.B. einer Kreuzbandruptur, der Fehlpositionierung von Implantaten und Bohrkanälen, unzureichender Blutstillung, fehlender Bilddokumentation wichtiger Befunde und Dokumentationsmängel im standardisierten, nicht individualisierten Operationsberichten.

Auch prä- und postoperativ sind Fehler zu beklagen, wie die unzureichende Auswertung der Vordiagnostik im MRT, einer verspäteten Indikationsstellung, einer fehlenden Thromboseprophylaxe oder dem Verkennen einer Thrombose, einer unzureichenden Information, Sicherungsaufklärung oder Risikoaufklärung, einem Verkennen von Komplikationen wie einer Nachblutung, einer Infektion, einer Thrombose und der allfällige Dokumentationsmangel gerade bei Besonderheiten im Heilverlauf.

Schlussfolgerung

Eine Indikation zu einer ausschließlich diagnostischen Arthroskopie gibt es in Konkurrenz zu nichtinvasiven Verfahren nicht mehr. Gerade die präoperative Befunderhebung muss soweit vervollständigt werden, dass die Indikation zur arthroskopischen Operation sicher gestellt werden kann. Laut Beschluss des G-BA sind seit dem 01. April 2016 das „Trimming“, die „Lavage“, die „Knorpelabrasio“ im arthrotischen Kniegelenk keine OP-Methoden mehr, die von der GKV erstattet werden. Eine Indikation zu einer Vor-Operation bei geplanter VKB-Plastik gibt es nur in Ausnahmefällen, die gesondert begründet werden müssen.

Die Isometrie-Punkte bei der Kreuzbandplastik müssen sorgfältig und exakt bestimmt werden. Andernfalls ist mit einem Versagen der Plastik zu rechnen. Gleiches gilt für die Verwendung der Fixations-Materialien, seien es Interferenz-Schrauben, Transfix-Stifte, Cross Pins oder Tightrope und Endobutton.

Gerade bei einem offensichtlich pathologischen Befund müssen weitere Begleitverletzungen ausgeschlossen werden. Die Osteochondrosis dissecans kann schwierig zu erkennen sein, wenn sie sich unter „intaktem“ Knorpel verbirgt.

Im präoperativen Aufklärungsgespräch ist es wichtig, auf Behandlungsalternativen hinzuweisen, sofern sie ähnliche Ergebnisse bei gleichwertigem Risiko erwarten lassen. Die Aufklärung muss mündlich erfolgen. Dass ein solches Gespräch stattgefunden hat, muss jedoch seinerseits dokumentiert werden. Hilfreich ist es, wesentliche Punkte des Gesprächsinhalts aufzulisten.

Hygiene-Standards müssen dokumentiert sein, meist im Hygieneplan und in der Sterilisationsdokumentation.

Die Zweitmeinung wird bei Wahleingriffen in der Zukunft eine bedeutende Rolle spielen. Dem Patienten ist die Einholung derselben vorzuschlagen und auch dieser Punkt muss wiederum dokumentiert werden.

Fehler sind schmerzfrei, wenn sie entstehen.

Fehler sind schmerzhaft, sobald sie erkannt werden.

Interessenkonflikt: Keine angegeben

Korrespondenzadresse

PD Dr. med. Michael Roesgen

Silcher Straße 10

40593 Düsseldorf

dr.m.roesgen@gmx.de

Literaturverzeichnis beim Verfasser

SEITE: 1 | 2