Übersichtsarbeiten - OUP 01/2020

Die distale Radiusfraktur

Unter therapeutischen Gesichtspunkten hat sich uns die Fernandez-Klassifikation bewährt, die 5 Typen unterscheidet:

  • I = metaphysärer Biegungsbruch mit dorsaler oder palmarer Dislokation;
  • II = Abscherfraktur der dorsalen oder palmaren Radiuslippe;
  • III = Kompressionsfraktur der radiokarpalen Gelenkfläche;
  • IV = Avulsionsfrakturen, inklusive radiokarpaler Luxationsfrakturen;
  • V = Kombinationen der Frakturtypen I bis IV.

Fernandez ordnet neuerdings dorsale Abscherfrakturen (Barton-Frakturen) in die Gruppe der radiokarpalen Luxationsfrakturen, also in den Typ IV ein und rät, diese Frakturen aufgrund der regelhaft vorliegenden Beteiligung der palmaren Kortikalis von der Beugeseite zu versorgen [6].

Bezüglich der Mitverletzung des distalen Radioulnargelenkes veröffentlichten Fernandez und Jupiter 1996 eine ebenfalls therapieorientierte Klassifikation. Es werden 3 Typen (I = stabil, II = instabil, III = fraglich stabil) mit je 2 Untertypen unterschieden [14].

Auch wenn es sich nicht um Klassifikationen handelt, sind mehrere biomechanische Konzepte unter operationsstrategischen Gesichtspunkten von Bedeutung. Basierend auf ihrem 3-Säulen-Konzept empfahlen Rikli und Regazzoni die Versorgung distaler extraartikulärer nach dorsal dislozierter Radiusfrakturen mittels zweier im Winkel von ca. 60° zueinander versetzt an der radialen und der intermediären Säule angebrachter Minifragmentplatten [26]. Die radiale Säule umfasst die Metaphyse im Bereich des Processus styloideus radii und der Fossa scaphoidea, die intermediäre Säule die Metaphyse im Bereich der Fossa lunata und die ulnare Säule die distale Ulna.

Brink erweiterte zusammen mit Rikli das 3-Säulen- zum 4-Corner-Konzept [7]. Die radiale Ecke umfasst den Processus styloideus radii und die Fossa scaphoidea streck- und beugeseits, die dorsale Ecke den dorsalen Anteil der Fossa lunata und der Sigmoid notch, die palmare Ecke den palmaren Anteil der Fossa lunata und der Sigmoid notch. Die ulnare Ecke entspricht der distalen Ulna. Analog zur AO-Klassifikation wird letztlich zwischen extraartikulären, partiell und komplett intraartikulären Frakturen unterschieden, wobei die partiell intraartikulären Frakturen in 6 Untergruppen, abhängig davon welche Ecke bzw. Ecken disloziert sind, unterteilt werden. Kommt es bei Dislokation der dorsalen, insbesondere aber der palmaren Ecke zu einer Subluxation des Mondbeines, droht die Gefahr, dass – so dieses Fragment, das nicht sehr groß sein muss, nicht korrekt fixiert wird – es zu einer chronischen Subluxation des gesamten Karpus im Verlauf kommt. Abhängig davon welcher Frakturtyp bzw. Untertyp vorliegt, empfehlen Brink und Rikli plattenosteosynthetische Versorgungen rein von palmar oder dorsal bzw. kombiniert palmar und dorsal unter Verwendung einer oder auch mehr Platten. Dabei muss man wissen, dass Peter Brink ein Anhänger dorsaler Plattenosteosynthesen bei dorsal dislozierten Frakturen ist und Daniel Rikli, wie wir, nie vor einer gleichzeitigen Versorgung komplexer Frakturen von palmar und dorsal zurückschreckte.

So hilfreich das 4-Corner-Konzept für die Entwicklung einer operativen Versorgungsstrategie ist, lässt es doch den zentralen Anteil der Radiusgelenkfläche, der bei Hochenergietraumen tief in die Metaphyse eingestaucht sein kann, unberücksichtigt. Diese zentrale Gelenkflächenimpression findet sich in den Konzepten von Pechlaner, er spricht von zentraler Luxationsfraktur, sowie Medoff und Kopylov [21, 23].

Therapie

Seit Beginn des dritten Jahrtausends ist es in vielen Ländern zu einem deutlichen Anstieg der Versorgung distaler Radiusfrakturen mit einer Plattenosteosynthese gekommen. Ungeachtet dessen wird weiterhin die absolute Mehrheit distaler Radiusfrakturen konservativ behandelt. Über alle Altersgruppen betrachtet wurden 2005 in den USA noch rund 86 % aller distaler Radiusfrakturen konservativ behandelt, 2014 waren es nur noch 77,5 %. Gleichzeitig ging auch der Prozentsatz mittels geschlossener Reposition und perkutaner Drahtspickung behandelter distaler Radiusfrakturen signifikant von 5,4 % auf 2,5 % zurück. Parallel dazu kam es zu einem Anstieg mit offener Reposition und interner Stabilisation, also mit Plattenosteosynthese versorgter distaler Radiusfrakturen von 8,7 % auf 20,0 %, was ebenfalls statistisch signifikant war [3].

Im Kindes- und Jugendalter spielt weder die Plattenosteosynthese mit 1,3 % noch die perkutane Drahtspickung mit 2 % eine nennenswerte Rolle. Grund ist das enorme Korrekturpotenzial des wachsenden distalen Radius, sodass in vielen Fällen noch nicht einmal eine Reposition erforderlich ist. So wird ein Seit-zu-Seit-Versatz um 50 % problemlos korrigiert.

Angesichts des Umstandes, dass im fortgeschrittenen Alter Fehlstellungen des distalen Radius oft gut toleriert werden, überrascht der Anstieg an Plattenosteosynthesen zwischen 2005 und 2014 von 9,9 % auf 23,4 % bei den über 65-jährigen [3]. Dass bei diesem Therapiewandel auch das Gesundheitssystem eines Landes eine Rolle spielen mag, lassen Zahlen aus Ontario/Kanada vermuten, wo zwar auch zwischen 2004 und 2013 ein Anstieg der Plattenosteosynthese von 7 % auf 13 % beobachtet wurde, die Rate konservativ behandelter Radiusfrakturen mit 82 % 2004 und 84 %, 2013 jedoch gleichblieb [1]. Von vielen Autoren wird der Wandel in der Therapie der distalen Radiusfraktur angesichts einer im Langzeitverlauf fehlenden klaren Überlegenheit der Plattenosteosynthese gegenüber anderen Behandlungsmethoden punkto klinischem Ergebnis einerseits und der damit verbunden Kosten andererseits kritisch hinterfragt.

Konservative Behandlung

Nicht dislozierte Frakturen und Frakturen, die nach geschlossener Reposition aufgrund der Knochenqualität stabil erscheinen, sind für eine konservative Behandlung im Gipsverband geeignet. Dieser sollte anfangs aufgrund der Schwellneigung nicht zirkulär sein und die distale Hohlhandbeugefurche nicht überragen, sodass eine freie Bewegung der Finger möglich ist. Die Patienten sind darauf hinzuweisen, die Hand über Herzhöhe zu halten und ihre Finger zu bewegen. Die Metaanalyse von 12 Studien mit mehr als 1000 Patienten mit konservativ behandelten distalen Radiusfrakturen ergab nach Beendigung der Ruhigstellung punkto Schmerzen, Beweglichkeit und dem radiologischen Ergebnis keine Vorteile bei Ruhigstellung im Gipsverband länger als drei Wochen versus Ruhigstellung von drei Wochen. Patienten mit Ruhigstellung von 3 Wochen wiesen eine bessere Griffkraft und bessere Ergebnisse beim qDASH (quick Disabilities of Arm, Shoulder and Hand) sowie PRWE-Score (Patient-Rated-Wrist-Evaluation) auf. Entsprechend wird eine Ruhigstellung von 3 Wochen empfohlen [13].

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