Arzt und Recht - OUP 04/2016

Die Kostenerstattung bei wirbelsäulennahen Injektionen unter Verwendung von Kortikoiden im Off-label-Use
Der korrekte Weg in der Regelversorgung bei der Behandlung von Radikulopathien mittels InjektionstherapieThe right way in standard care for the treatment of radiculopathy by injection therapy

Heiko Schott1

Zusammenfassung: Der Artikel beschäftigt sich mit den Fragen um mögliche Kostenerstattungs- und/oder Abrechnungsverfahren bei obigen Therapien. Er soll vertiefende Einblicke und Anregungen für die Praxis gewähren und den Umgang mit der gegenständlichen Problematik erleichtern.

Mit Einführung des viel diskutierten Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten (Patientenrechtegesetz) und dem Versorgungsstrukturgesetz steht dem Patienten und dem Arzt dennoch ein Ausweg aus der so nur in Deutschland diskutierten Off-label-Thematik zur Seite. Gemäß § 13 SGB V hat der Gesetzgeber dem Patienten die Möglichkeit eröffnet, auch außerhalb der Regelversorgung angebotene medizinische Leistungen in Anspruch zu nehmen.

Schlüsselwörter: Kostenerstattung, Regelversorgung, wirbelsäulennahe Injektionen, Kortison im Off-label-Use, Radikulopathie, Kortison, PRT

Zitierweise
Schott H: Die Kostenerstattung bei wirbelsäulennahen Injektionen unter Verwendung von Kortikoiden im Off-label-Use. Der korrekte Weg in der Regelversorgung bei der Behandlung von Radikulopathien mittels Injektionstherapie.
OUP 2016; 4: 238–240 DOI 10.3238/oup.2016.0238–0240

Summary: The article deals with the questions about possible expenses and/or billing methods in the above mentioned therapies. It aims to provide deeper insights and suggestions for practice and facilitate the handling of the here discussed issue.

Patients and doctors can find a way out of the – at least in Germany – much discussed off label issue since the introduction of the much debated law to improve the rights of patients ( patients’ rights law) and the Versorgungsstrukturgesetz (supply structure law).

In addition to billing the patient directly for this therapy one should not forget the possibility of reimbursement according to § 13 SGB V.

Keywords: reimbursement, Standard care, spinal injections, corticosteroid in off-label-use, radiculopathy, sortisone, PRT

Zitierweise
Schott H: The reimbursement of spinal injections using corticosteroids in off label use. The right way in standard care for the treatment of radiculopathy by injection therapy
OUP 2016; 4: 238–240 DOI 10.3238/oup.2016.0238–0240

Aktuell stellt sich vermehrt die Frage des korrekten Abrechnungswegs der wirbelsäulennahen Injektionen unter Verwendung von Kortikoiden im Off-label-Use. Dies betrifft verschiedene Bereiche, insbesondere sind das Arzt-Patienten-Verhältnis, das Arzt-KV-Verhältnis sowie das Patienten-GKV-Verhältnis hiervon umfasst. Bei Letztgenanntem ist selbstverständlich der Behandler gleichfalls mehr oder weniger ebenfalls eingebunden.

Bereits im Jahre 2012 informierte die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen Lippe als erste KV, dass die Injektionstherapie an der Wirbelsäule bei Vorliegen einer Radikulopathie mit jeglichem Kortikoid mangels arzneimittelrechtlicher Zulassung eine sogenannte Off-label-Use-Anwendung darstelle.

Dieses hatte zur Konsequenz, dass sowohl die Verordnung eines Kortikoids wie auch die Injektionstherapie selbst nicht mehr (Abrechnungs-) Gegenstand der gesetzlichen Krankenversicherung ist. Begründet wurde dies mit einem Urteil des Bundessozialgerichts aus dem Jahre 2002. Hierbei war es zunächst unerheblich, mit welcher Applikationstechnik konkret die Injektion durchgeführt wurde, wobei es allerdings aktuell sehr wohl eben genau darauf ankommen kann1.

Nahezu zeitgleich wurde auf Betreiben der gesetzlichen Krankenkassen gänzlich unabhängig von der Off-label-Thematik und lediglich parallel hierzu die Thematik des BA-Beschlusses 290 wirksam. Dieses zusätzlich bewusst kassenseits eingeführte Nadelöhr bei den computertomografiegestützten Injektionen erschwerte die Patientenversorgung der Kollegen, die nicht strahlenbelastende Injektionstechniken verwenden. Das Nichtanwenden vermag auch seinen Grund in der Systemstruktur der kassenärztlichen Versorgung mit seiner Budgetierung des Regelleistungsvolumens haben: Da häufig die zugestandenen Regelleistungsvolumina sowohl punktmäßig als auch durch die zugestandenen Korridorzeiten überschritten und letztlich auch nicht vergütet wurden, dürfte der ein oder andere Orthopäde im Rahmen der Patientenversorgung, um nicht im regressierbaren Bereich auffällig zu werden, sich des Computertomografen der Radiologen bedient haben. Anders dürfte sich beispielsweise die Anzahl der im 3. Quartal 2012 innerhalb der KVWL verordneten Ct-gestützten Injektionen an Nervenwurzeln nicht erklären lassen.

Interessant ist in diesem Kontext, dass nahezu die Hälfte der Behandlungsfälle unter CT von Allgemeinmedizinern und hausärztlichen tätigen Internisten verordnet wurden2. Es darf unterstellt werden, dass gerade diese Fachgruppen im Gegensatz zu den Orthopäden, die nach anatomischen Landmarken gestützten Injektionen an der Wirbelsäule, wie z.B. die der Hands-on-Kurse der IGOST nach Prof. Krämer, durchführen, nicht beherrschen. Nach Mitteilung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung wurde im 1. Quartal 2013 von 239.735 spezifischen Behandlungsfällen orthopädischerseits 177.781 mal die Gebührenordnungsposition 30724 der Spinalnervenanalgesie bundesweit mit einem Leistungsbedarf gemäß regionaler EuroGO in Höhe von € 7.131.258,51 abgerechnet3. Im gleichen Quartal wurden unter der damals gültigen GOP 34502 bundesweit 85.993 spezifische Behandlungsfälle abgerechnet mit einem Leistungsbedarf in regionaler EuroGO aller Ärzte von € 19.321.696,394. Ganze 10 Behandlungsfälle wurden originär von Orthopäden ausgelöst5. Diese geringe Zahl vermag zunächst zu verwundern, erklärt wäre dies mit einem eventuellen Betreiben eines CT durch Orthopäden selbst. Die seitens der Radiologen hierbei – bei hälftiger Fallzahl – gegenüber der GOP 30724 beinahe 2,5-fachen Umsätze sind durchaus bemerkenswert. Dass die vorgenannten Umstände für die gesetzlichen Krankenkassen ausschlaggebend für die Initiative der Leistungsbegrenzung durch Einführung des BA-Beschlusses 290 war, kann abschließend lediglich vermutet werden.

Da die Off-label-Thematik der wirbelsäulennahen Injektionen fast zeitgleich mit dem BA-Beschluss 290 in der Regelversorgung zum Tragen kam, wurde diese Thematik sowohl seitens der Kostenträger als auch der Leistungserbringer häufig durcheinander geworfen und/oder sogar gleichgesetzt, obwohl sie zunächst einmal miteinander nichts zu tun hatten.

Die IGOST konnte durch intensive Aufklärungsarbeit rückwirkende Regresse, ausgelöst durch EBM-berechnete Off-label-Anwendung, durch eine klarstellende Stellungnahme der KBV am 18.6.2013 verhindern. Hierauf zeitlich folgende wirbelsäulennahe Injektionen im vorgenannten Off-label-Use unterliegen diesem Regressschutz ausdrücklich nicht. Demzufolge können solche Injektionen nicht mehr über die „Flatrate“ der Gesundheitskarte korrekt in der Abrechnung abgebildet werden. Sie dürften vielmehr gegenüber dem Versicherten nur als Wahlleistung erbracht werden.

Die Off-label-Thematik der wirbelsäulennahen Injektionen mit Kortison erfordert, um es aus Gründen der Vollständigkeit zu erwähnen, sowohl aus Regressschutz- als auch aus haftungsrechtlichen Gründen eine Off-label-Use-Aufklärung.

Neben der sodann ebenfalls noch erforderlichen haftungsrechtlichen Aufklärung bedarf es der Information des Patienten über die entstehenden Kosten dieser Therapie nach § 630c Abs. 3 BGB.

Mit Einführung des viel diskutierten Gesetztes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten (Patientenrechtegesetz) und dem Versorgungsstrukturgesetz steht dem Patienten und dem Arzt dennoch ein Ausweg aus der so nur in Deutschland diskutierten Off-label-Thematik zur Seite.

Gemäß § 13 SGB V hat der Gesetzgeber dem Patienten die Möglichkeit eröffnet, auch außerhalb der Regelversorgung angebotene medizinische Leistungen in Anspruch zu nehmen. Hier heißt es sinngemäß: Stellt der Versicherte einen Antrag auf Kostenübernahme für eine medizinische Leistung, dann gilt der Antrag fiktiv als genehmigt, wenn dieser seitens der Krankenkasse nicht binnen 3 Wochen nach Eingang abgelehnt wurde. Die Frist verlängert sich auf 5 Wochen, wenn innerhalb der ersten 3 Wochen nach Antragseingang die Krankenkasse dem Antragsteller schriftlich mitteilt, dass die Krankenkasse den gestellten Antrag dem Medizinischen Dienst zur Begutachtung vorlegen möchte. Innerhalb dieser 5-Wochen-Frist ist jedoch die Entscheidung der Krankenkasse dem Antragsteller mitzuteilen. Ansonsten gilt der Antrag – wie oben ausgeführt – als genehmigt.

Diese Fristen stellen in der Tat eine Hürde sowohl für die Leistungserbringer, jedoch auch für die Verwaltung der Kostenträger dar. Seitens der Leistungserbringer empfiehlt sich, die Patienten zunächst mit allen in der Regelversorgung möglichen Therapien zu versorgen. Eine Off-label-Therapie kann sicherlich nicht der alleinige Therapieweg sein. Aus arzthaftungsrechtlichen Gründen ist der Arzt sogar verpflichtet, Patienten auch Therapien außerhalb des reglementierten GKV-Systems anzubieten6, auch wenn diese Wahlleistungsinformationspflicht gebetsmühlenartig seitens der gesetzlichen Krankenkassen selbst bei ärztlicherseits für medizinisch notwendig erachteten Leistungen als überflüssige individuelle Gesundheitsleistungen immer wieder kritisch wiederholt wird. Umgekehrt hingegen bewerben die Kostenträger ihrerseits sogenannte Satzungsleistungen wie zum Beispiel die Osteopathie („exklusive Mehrleistung“), obwohl für diese zum einen kein evidenzbasierter Wirksamkeitsnachweis vorgelegt werden kann und zum anderen selbst der MDK regelmäßig gutachterlicherseits empfiehlt, diese Kosten nicht zu übernehmen7.

Der juristische Winkelzug über die Satzungsleistung ermöglicht hier dementsprechend das Messen mit zweierlei Maß zugunsten der Krankenkassen.

Vorgenannte Fristen im Antragsverfahren stellen die Krankenkassen vor einen erheblichen Entscheidungsdruck, denn die Rechtsprechung in dieser Thematik ist eindeutig8. Dem Autor sind zahlreiche Verfahren bekannt, in denen die Krankenkassen – was grundsätzlich nach § 33 SGB X zulässig ist – dazu übergegangen sind, aus Fristwahrungsgründen den Versicherten die Antragsablehnung fernmündlich mitzuteilen. Der genaue Inhalt eines solchen Telefongesprächs ist dann Beweisfrage in sich anschließenden Sozialgerichtsverfahren.

Praxen, die sich in der Thematik auskennen, können also von der Bürokratie im Sinne einer kostensparenden Therapie letztlich auch wirtschaftlich profitieren. Lange Arbeitsunfähigkeitszeiten mit Lohnfortzahlungen trotz ausgiebiger Therapien in der Regelversorgung (On-label) haben verschiedenste Krankenkassen (beispielhaft: DAK, mhplus, Knappschaft, Barmer GEK, verschiedene AOKen, verschiedene BKK) bereits überzeugen können, auch schriftliche Kostenübernahmezusagen zu erteilen.

Selbst Medizinische Gutachter der gesetzlichen Krankenversicherung haben im Widerspruchsverfahren die beantragte gegenständliche Therapie befürwortet. Jedoch sind nicht alle Krankenkassen für diese etablierte Therapie im Rahmen der Kostenerstattung zu überzeugen. So wird in Ablehnungsbescheiden zuweilen – bewusst oder unbewusst – zu sehr interessanten Formulierungen gegriffen, die als Stellungnahme der Krankenkassen als Körperschaften des öffentlichen Rechts durchaus Aufmerksamkeit verdienen:

So empfahl beispielsweise die AOK Nordwest bei einer Versicherten mit einer zervikalen bandscheibenvorfallbedingten Radikulopathie konkret die Einnahme von Ibuprofen, Diclofenac und Akupunktur. Im gleichen Schreiben werden Injektionen unter CT empfohlen, welche angeblich nach Verordnung durch einen Schmerztherapeuten als Kassenleistung möglich seien. Zum einen ist die pharmakologische Empfehlung durch einen Krankenkassensachbearbeiter wohl mindestens bedenklich, zum anderen ist gerade die Akupunktur als Therapie einer zervikalen Bandscheibensymptomatik keine im Rahmen der Regelversorgung zu erbringende Kassenleistung. Ebenfalls könnte ein Schmerztherapeut keine PRT (mit Kortikoid und Lokalanästhetikum) unter CT zulasten der GKV verordnen, da die Off-label-Thematik eingreift und ebenfalls die CT-gestützten Therapien betrifft.

Die DAK teilte beispielweise per Bescheid einem Versicherten mit, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) sich mit der gegenständlichen Thematik befasst habe und der diese nicht empfehle. Der GBA hat sich nach schriftlicher Anfrage hierzu erklärt, zu keinem Zeitpunkt mit dieser Thematik befasst gewesen zu sein, da er nur über neue Therapieverfahren, seit Einführung des EBM zum 01.01.2004, zu entscheiden habe.

Die Bahn BKK teilt schriftlich mit, dass Kortison ein Lifestyle-Medikament sei und zur Reduzierung des Körpergewichts, der Steigerung der sexuellen Aktivität und der Förderung des Haarwuchses diene.

Die IKK Classic teilt mit, dass die im Deutschen Ärzteblatt empfohlenen vorgenannten Injektionen aus verbraucherschutzrechtlichen Gründen bedenklich seien. Dies auch vor dem Hintergrund, dass die IKK Classic einzig mit dem Institut des radiologischen Bruders eines namenhaften Sängers und Komponisten in Bochum einen IV-Vertrag habe, mit dem die wirbelsäulennahen Injektionen über die IKK Classic abgerechnet werden könnten.

Diese blumigen Antworten von Seiten der Krankenkassen lesen sich auch seit der Indikationserweiterung von Volon A 40. Hierbei sind Krankenkassen oftmals und unzutreffend der Meinung, dass dieses auch in einer beantragten epiduralen Applikation oder als Gemisch (Kortikoid und Lokalanästhetikum) im On-label-Use angewendet werden dürfe. Die IGOST hat hier wiederum akribische Aufklärungsarbeit geleistet, um Regressen vorzubeugen9.

Es bleibt insoweit festzuhalten, dass die sicherlich begrüßenswerte Therapie in Bezug auf die zu führenden Korrespondenzen mit den verschiedenen Beteiligten unter Beachtung der Off-label-Problematik und des BA-Beschlusses 290 unübersichtlich erscheint. Neben der Abrechnung als Selbstzahlerleistung sollte jedoch die Möglichkeit der Kostenerstattung nach § 13 SGB V nicht übersehen werden. Dass Krankenkassen die Kostenerstattung de jure fristgerecht aber auch ablehnen können und/oder teilweise werden, kann dem Vorgehen sowohl aus Sicht des Patienten als auch aus Sicht des Behandlers nicht entgegenstehen. Letztlich bleibt selbst im Falle einer ordnungsgemäßen Ablehnung der Kostenerstattung der Status quo schlicht erhalten. Die Möglichkeit des weiteren, sich zeitlich daran anschließenden, Vorgehens im Wege der Selbstzahlerleistung bleibt erhalten.

Korrespondenzadresse

Heiko Schott

Rechtsanwalt

Justitiar der IGOST e.V.

Anwaltskanzlei Schmelter & Schott

Leithestraße 39

Wissenschaftspark/Gründerzentrum

45886 Gelsenkirchen

mail@RASchott.de

Fussnoten

1 Anwaltskanzlei Schmelter & Schott, Gelsenkirchen

1 Vgl. Schott, Orthopädie und Rheuma 1/2016, S. 10ff.; Schreiben BfArM an KBV vom 04.05.2015; Information der KBV 211/2014;

Beispielhaft für alle KVen: KV NO aktuell 1+2 2015.

2 Statistische Erhebung KVWL/Scheinaufteilung Q3/2012.

3 Abrechnungsstatistik der KBV, Leistungsangaben zu einzelnen EBM GOPen, 1Quartal 2013 Bund.

4 Abrechnungsstatistik der KBV, Leistungsangaben zu einzelnen EBM GOPen, 1Quartal 2013 Bund.

5 Abrechnungsstatistik der KBV, Leistungsangaben zu einzelnen EBM GOPen, 1Quartal 2013 Bund.

6 Laum, dt. Ärzteblatt Jg. 109, Heft 44, A2176f..

7 So beispielhaft Gutachten MD der Krankenversicherung WL vom 01.08.2013.

8 Beispielhaft:

SG Dessau, Urteil vom 18.12.2013, Az.: S21 KR 282/13;

LSG Saarland, Urteil vom 17.06.2015 – Az.: L 2 KR 180/14;

LSG NRW, Urteil vom 23.05.2014, Az.: L 5 KR 222/14 B ER;

SG Gelsenkirchen, Urteil vom 29.01.2015, Az.: S 17 KR 479/14.

9 Vgl. Schott, Orthopädie und Rheuma 1/2016, S. 10ff..

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