Arzt und Recht - OUP 04/2016

Die Kostenerstattung bei wirbelsäulennahen Injektionen unter Verwendung von Kortikoiden im Off-label-Use
Der korrekte Weg in der Regelversorgung bei der Behandlung von Radikulopathien mittels InjektionstherapieThe right way in standard care for the treatment of radiculopathy by injection therapy

Die Off-label-Thematik der wirbelsäulennahen Injektionen mit Kortison erfordert, um es aus Gründen der Vollständigkeit zu erwähnen, sowohl aus Regressschutz- als auch aus haftungsrechtlichen Gründen eine Off-label-Use-Aufklärung.

Neben der sodann ebenfalls noch erforderlichen haftungsrechtlichen Aufklärung bedarf es der Information des Patienten über die entstehenden Kosten dieser Therapie nach § 630c Abs. 3 BGB.

Mit Einführung des viel diskutierten Gesetztes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten (Patientenrechtegesetz) und dem Versorgungsstrukturgesetz steht dem Patienten und dem Arzt dennoch ein Ausweg aus der so nur in Deutschland diskutierten Off-label-Thematik zur Seite.

Gemäß § 13 SGB V hat der Gesetzgeber dem Patienten die Möglichkeit eröffnet, auch außerhalb der Regelversorgung angebotene medizinische Leistungen in Anspruch zu nehmen. Hier heißt es sinngemäß: Stellt der Versicherte einen Antrag auf Kostenübernahme für eine medizinische Leistung, dann gilt der Antrag fiktiv als genehmigt, wenn dieser seitens der Krankenkasse nicht binnen 3 Wochen nach Eingang abgelehnt wurde. Die Frist verlängert sich auf 5 Wochen, wenn innerhalb der ersten 3 Wochen nach Antragseingang die Krankenkasse dem Antragsteller schriftlich mitteilt, dass die Krankenkasse den gestellten Antrag dem Medizinischen Dienst zur Begutachtung vorlegen möchte. Innerhalb dieser 5-Wochen-Frist ist jedoch die Entscheidung der Krankenkasse dem Antragsteller mitzuteilen. Ansonsten gilt der Antrag – wie oben ausgeführt – als genehmigt.

Diese Fristen stellen in der Tat eine Hürde sowohl für die Leistungserbringer, jedoch auch für die Verwaltung der Kostenträger dar. Seitens der Leistungserbringer empfiehlt sich, die Patienten zunächst mit allen in der Regelversorgung möglichen Therapien zu versorgen. Eine Off-label-Therapie kann sicherlich nicht der alleinige Therapieweg sein. Aus arzthaftungsrechtlichen Gründen ist der Arzt sogar verpflichtet, Patienten auch Therapien außerhalb des reglementierten GKV-Systems anzubieten6, auch wenn diese Wahlleistungsinformationspflicht gebetsmühlenartig seitens der gesetzlichen Krankenkassen selbst bei ärztlicherseits für medizinisch notwendig erachteten Leistungen als überflüssige individuelle Gesundheitsleistungen immer wieder kritisch wiederholt wird. Umgekehrt hingegen bewerben die Kostenträger ihrerseits sogenannte Satzungsleistungen wie zum Beispiel die Osteopathie („exklusive Mehrleistung“), obwohl für diese zum einen kein evidenzbasierter Wirksamkeitsnachweis vorgelegt werden kann und zum anderen selbst der MDK regelmäßig gutachterlicherseits empfiehlt, diese Kosten nicht zu übernehmen7.

Der juristische Winkelzug über die Satzungsleistung ermöglicht hier dementsprechend das Messen mit zweierlei Maß zugunsten der Krankenkassen.

Vorgenannte Fristen im Antragsverfahren stellen die Krankenkassen vor einen erheblichen Entscheidungsdruck, denn die Rechtsprechung in dieser Thematik ist eindeutig8. Dem Autor sind zahlreiche Verfahren bekannt, in denen die Krankenkassen – was grundsätzlich nach § 33 SGB X zulässig ist – dazu übergegangen sind, aus Fristwahrungsgründen den Versicherten die Antragsablehnung fernmündlich mitzuteilen. Der genaue Inhalt eines solchen Telefongesprächs ist dann Beweisfrage in sich anschließenden Sozialgerichtsverfahren.

Praxen, die sich in der Thematik auskennen, können also von der Bürokratie im Sinne einer kostensparenden Therapie letztlich auch wirtschaftlich profitieren. Lange Arbeitsunfähigkeitszeiten mit Lohnfortzahlungen trotz ausgiebiger Therapien in der Regelversorgung (On-label) haben verschiedenste Krankenkassen (beispielhaft: DAK, mhplus, Knappschaft, Barmer GEK, verschiedene AOKen, verschiedene BKK) bereits überzeugen können, auch schriftliche Kostenübernahmezusagen zu erteilen.

Selbst Medizinische Gutachter der gesetzlichen Krankenversicherung haben im Widerspruchsverfahren die beantragte gegenständliche Therapie befürwortet. Jedoch sind nicht alle Krankenkassen für diese etablierte Therapie im Rahmen der Kostenerstattung zu überzeugen. So wird in Ablehnungsbescheiden zuweilen – bewusst oder unbewusst – zu sehr interessanten Formulierungen gegriffen, die als Stellungnahme der Krankenkassen als Körperschaften des öffentlichen Rechts durchaus Aufmerksamkeit verdienen:

So empfahl beispielsweise die AOK Nordwest bei einer Versicherten mit einer zervikalen bandscheibenvorfallbedingten Radikulopathie konkret die Einnahme von Ibuprofen, Diclofenac und Akupunktur. Im gleichen Schreiben werden Injektionen unter CT empfohlen, welche angeblich nach Verordnung durch einen Schmerztherapeuten als Kassenleistung möglich seien. Zum einen ist die pharmakologische Empfehlung durch einen Krankenkassensachbearbeiter wohl mindestens bedenklich, zum anderen ist gerade die Akupunktur als Therapie einer zervikalen Bandscheibensymptomatik keine im Rahmen der Regelversorgung zu erbringende Kassenleistung. Ebenfalls könnte ein Schmerztherapeut keine PRT (mit Kortikoid und Lokalanästhetikum) unter CT zulasten der GKV verordnen, da die Off-label-Thematik eingreift und ebenfalls die CT-gestützten Therapien betrifft.

Die DAK teilte beispielweise per Bescheid einem Versicherten mit, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) sich mit der gegenständlichen Thematik befasst habe und der diese nicht empfehle. Der GBA hat sich nach schriftlicher Anfrage hierzu erklärt, zu keinem Zeitpunkt mit dieser Thematik befasst gewesen zu sein, da er nur über neue Therapieverfahren, seit Einführung des EBM zum 01.01.2004, zu entscheiden habe.

Die Bahn BKK teilt schriftlich mit, dass Kortison ein Lifestyle-Medikament sei und zur Reduzierung des Körpergewichts, der Steigerung der sexuellen Aktivität und der Förderung des Haarwuchses diene.

Die IKK Classic teilt mit, dass die im Deutschen Ärzteblatt empfohlenen vorgenannten Injektionen aus verbraucherschutzrechtlichen Gründen bedenklich seien. Dies auch vor dem Hintergrund, dass die IKK Classic einzig mit dem Institut des radiologischen Bruders eines namenhaften Sängers und Komponisten in Bochum einen IV-Vertrag habe, mit dem die wirbelsäulennahen Injektionen über die IKK Classic abgerechnet werden könnten.

Diese blumigen Antworten von Seiten der Krankenkassen lesen sich auch seit der Indikationserweiterung von Volon A 40. Hierbei sind Krankenkassen oftmals und unzutreffend der Meinung, dass dieses auch in einer beantragten epiduralen Applikation oder als Gemisch (Kortikoid und Lokalanästhetikum) im On-label-Use angewendet werden dürfe. Die IGOST hat hier wiederum akribische Aufklärungsarbeit geleistet, um Regressen vorzubeugen9.

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