Übersichtsarbeiten - OUP 01/2023

Die lumbale Spinalkanalstenose – ein Überblick
Diagnostik und Therapieoptionen

Da es keine Langzeitdaten zum natürlichen Verlauf der LSS gibt, bleibt es weiterhin eine individuelle Entscheidung, welche Therapie der Patientin/dem Patienten angeboten wird. Aufgrund der fehlenden einheitlichen Konzepte ist diese Entscheidung meist von den Erfahrungen und Möglichkeiten des Behandlers abhängig.

Durch das langsame Fortschreiten der Erkrankung kommt es kaum zu plötzlich auftretenden, absoluten Operationsindikationen. Relevante neurologische Defizite oder Blasen-Mastdarm-Störungen stellen die seltene Ausnahme dar. An erster Stelle steht, dass die Symptome der Patientin/des Patienten behandelt werden müssen, nicht die radiologische Diagnose ohne passende Klinik zur Entscheidungsfindung herangezogen wird.

Aufgrund fehlender Vergleichbarkeit der Ausgangslage sowie der unterschiedlichen Durchführung von konservativen, aber auch operativen Maßnahmen fehlen auch heute noch Studien, die die Überlegenheit von einzelnen Therapieformen beweisen [35]. Einzelne Studien zeigten, dass die operativ versorgten Patientinnen und Patienten in der Regel eine schlechtere Ausgangslage hatten und eine schnellere Besserung nach der Operation angaben [36].

Konservative Therapie

Liegen keine akuten neurologischen Defizite vor, können die Patientinnen und Patienten zunächst konservativ behandelt werden. Eine Erstbehandlung erfolgt in der Regel im ambulanten Sektor mittels medikamentöse Schmerztherapie und begleitender Physiotherapie. Die medikamentöse Schmerztherapie orientiert sich dabei an dem WHO-Stufenschema, beginnend mit nichtsteroidalen Antiphlogistika, gefolgt von Opiatderivaten in schrittweiser steigender Dosierung.

In der akuten Schmerzphase sollte sich physiotherapeutisch auf Muskelentspannung und leichte Bewegungen fokussiert werden. Nach Abklingen der Akutphase sind die Muskelstabilisierung der Rumpf- und paravertebralen Muskulatur sowie entlordosierende Übungen sinnvoll. Die Patientin/der Patient sollte zu aktiven Eigenübungen angeleitet und ermutigt werden. Da Ruhephasen zu Verschlechterungen führen, sollte die Patientin der Patient möglichst aktiv bleiben. Radfahren, was wegen der inklinierten Position gut toleriert wird, ist z.B. eine gute Trainingsmöglichkeit. Begleitend können Wärmebehandlungen, Elektrotherapie und manuelle Therapie eingesetzt werden. Daten für einen langfristigen Erfolg dieser Therapieansätze fehlen jedoch [37, 38]. Zusätzlich sind spezielle Orthesen verfügbar, welche den betroffenen Wirbelsäulenabschnitt ebenfalls entlordosieren sollen und einen schmerzlindernden, stabilisierenden Effekt haben sollen. Meiner Erfahrung nach ist die Compliance der Patientin/des Patienten diese zu tragen, jedoch gering und die Studienlage dazu ist widersprüchlich [39, 40].

Nach Ausschöpfen eines unimodalen ambulanten Therapieansatzes sollte auf ein multimodales, stationäres Therapiekonzept gewechselt werden. Eigene Daten des Autors zeigen dabei gute Ergebnisse im Rahmen eines auf wirbelsäulennahe Injektionen basierenden Konzepts [41, 42]. Begleitet von physiotherapeutischen und balneophysikalischen Maßnahmen sowie psychotherapeutischen Einheiten wurden Patientinnen und Patienten mindestens 8 Tage lang mit epiduralen Injektionen, paravertebralen Spinalnervenanalgesien, Facetteninfiltrationen und ISG-Infiltrationen behandelt. Ziel der Injektionen mit Lokalanästhetika ist eine lokale Abschwächung der Wurzelreizung. In eigenen Studien zeigte sich bei 445 Patientinnen und Patienten in 62 % der Fälle eine signifikante Reduktion der Rücken- und Beinschmerzen [43]. Eine Auswertung von 60 Patientinnen und Patienten ein Jahr nach erfolgter multimodaler Schmerztherapie erbrachte folgende Erkenntnisse:

43 % der Patientinnen und Patienten nahmen vor der Therapie regelmäßig Analgetika ein, 33 % gelegentlich und 23 % nie. Beim 1-Jahres-Follow-up nahmen 53 % keinerlei Analgetika ein, 27 % der Patientinnen und Patienten gelegentlich und 20 % noch regelmäßig. Die subjektiv empfundene Schmerzintensität auf einer NRS von 0–10 zeigte vor der Therapie einen Durchschnittswert von 7,21. Bei der Nachuntersuchung konnte eine signifikante Verminderung (p<0,01) der NRS-Werte auf 3,58 festgestellt werden.

Die körperliche Beeinträchtigung der Patientinnen und Patienten im Alltag wurde mittels Oswestry-Disability-Index (ODI) erhoben. Durchschnittlich ergab sich vor Behandlungsbeginn ein Wert von 38,95 %. Bei der Nachuntersuchung ergab sich ein durchschnittlicher Wert von 22,83 %.

Ein Großteil der Patientinnen und Patienten war mit der Behandlung und dem Behandlungserfolg sehr zufrieden (35 %) bzw. zufrieden (52 %). Lediglich 8 Patientinnen und Patienten (13 %) standen dem Ergebnis neutral gegenüber, negativ äußerte sich kein Patient [44, 45].

Als radiologisch hinweisend für eine erfolgreiche konservative Therapie kann man sich auch an der Klassifikation nach Schizas et al. orientieren [24]. Während bei den Typen A und B ein konservativer Therapieversuch unternommen werden sollte, ist beim Typ D eher ein operatives Vorgehen vorzuziehen. Der Typ C kann entweder konservativ oder operativ angegangen werden.

Operative Therapie

Im Laufe der Jahre haben sich die Operationstechniken immer weiterentwickelt. Von anfangs offenen, häufig durch die Größe des Eingriffs destabilisierenden Dekompressionsoperationen hinzu zu mikroskopisch assistierten OP-Techniken, welche in letzter Zeit durch die endoskopischen Möglichkeiten noch einmal minimalinvasiver wurden, stehen dem Operateur viele Möglichkeiten offen. Da es jedoch weiterhin eine patientenindividuelle Entscheidung bleibt, welche OP durchgeführt werden sollte, kann man von keiner dieser Methoden als Goldstandard sprechen, vielmehr ist die richtige OP-Indikation entscheidend für den Erfolg.

Indikation

Neben den schon beschriebenen absoluten Indikationen wie akute, relevante neurologische Defizite und seltener Kauda-Conus-Symptomatik ergeben sich die relativen Indikationen zur Operation durch therapieresistente Beschwerden, Einschränkung der Lebensqualität der Patientin/des
Patienten, meist mit einer deutlich verminderten Gehstrecke. Auch bei Patientinnen und Patienten mit ausgeprägter Klinik und Typ D-Stenosen im MRT kann man primär zur Operation tendieren. Dies muss jedoch
immer in enger Absprache mit der
Patientin/dem Patienten erfolgen. Das Resultat der Operation hängt auch von der Erwartung der Patientin/des Patienten ab [46].

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