Übersichtsarbeiten - OUP 05/2021

Die operative Therapie der lumbalen Spinalkanalstenose

Karsten Schöller

Zusammenfassung:
Die lumbale Spinalkanalstenose, die oft in Kombination mit einer Spondylolisthese oder adulten Skoliose auftritt, ist die häufigste degenerative Wirbelsäulenerkrankung bei älteren Menschen. Eine Operationsindikation besteht bei therapieresistenter Claudicatio spinalis-Symptomatik oder therapiesresistenten radikulären Schmerzen nach konservativem Vorgehen über 6–12 Wochen sowie bei relevanten neurologischen Defiziten. Minimalinvasive mikrochirurgische Techniken ermöglichen eine effektive Dekompression in cross-over Technik bei geringer Komplikationsrate und kommen auch bei stabiler low-grade Spondylolisthese oder adulter Skoliose < 20° ohne signifikantes Drehgleiten zum Einsatz. Die initiale Erfolgsrate bei den dekompressiven Techniken hinsichtlich Schmerzen und Claudicatio-Symptomatik ist hoch, der Effekt kann allerdings über die Jahre etwas nachlassen.

Schlüsselwörter:
Lumbale Spinalstenose, Dekompression, ULBD, Fusion, minimalinvasive Technik

Zitierweise:
Schöller K: Die operative Therapie der lumbalen Spinalkanalstenose.
OUP 2021; 10: 222–225
DOI 10.3238/oup.2021.0222–0225

Summary: Lumbar spinal stenosis, which often occurs in combination with spondylolisthesis or adult scoliosis, is the most common degenerative spinal disease in the elderly. Surgery is indicated when spinal claudication symptoms or radicular pain persist after a conservative approach for 6–12 weeks, or in the case of relevant neurological deficits. Minimally invasive microsurgical techniques allow for effective decompression using the cross-over technique with a low complication rate, even in patients with stable low-grade spondylolisthesis or adult scoliosis < 20° without significant laterolisthesis. The initial success rate after minimally invasive decompression is high with regard to pain and claudication symptoms, but the effect may wear off somewhat over the years.

Keywords: Lumbar spinal stenosis, decompression, ULBD, fusion, minimally invasive surgery

Citation: Schöller K: Surgical therapy of lumbar spinal stenosis.
OUP 2021; 10: 222–225. DOI 10.3238/oup.2021.0222–0225

Klinik für Spinale Chirurgie, Schön Klinik Hamburg Eilbek

Einleitung

Die lumbale Spinalkanalstenose, die oft in Kombination mit einer Spondylolisthese oder adulten Skoliose auftritt, ist die häufigste degenerative Wirbelsäulenerkrankung bei älteren Menschen. Einer aktuellen Schätzung zufolge liegt die Inzidenz der symptomatischen Lumbalstenose bei 1,41 % und die der Spondylolisthese bei 0,53 % der Weltbevölkerung, wobei in Europa und Nordamerika mit 5668 und 4501/100.000 Einwohner die höchsten pro Kopf-Raten zu finden sind [6]. Die Prävalenz der adulten Skoliose, die über einen Cobb-Winkel von > 10° definiert wird, wird von Schwab et al. in einer gesunden Population mit einem Altersdurchschnitt von 70,5 Jahren mit 68 % angegeben [27].

Entsprechend werden Wirbelsäulenchirurgen zunehmend mit degenerativen Wirbelsäulenerkrankungen konfrontiert, die Anzahl der stationären Aufnahmen mit der Diagnose „lumbale Spinalkanalstenose“ hat sich in Deutschland bspw. zwischen 2005 und 2011 mehr als verdoppelt [12]. Gleichermaßen ist auch die Anzahl der spinalen Operationen bei Menschen > 65 Jahren in Deutschland deutlich angestiegen – von 2005 bis 2010 um 162 % [12]. Die Ursache hierfür ist multifaktoriell, sicher spielt aber auch die zunehmende Erwartungshaltung der älteren Bevölkerung an den Erhalt von Mobilität und Unabhängigkeit eine große Rolle.

Bei Ätiologie und Pathogenese der symptomatischen Lumbalstenose steht die typische Kaskade von Degeneration und Höhenminderung der Bandscheibe bis zur Stenose und Kauda- bzw. Nervenwurzelkompression im Vordergrund. Hierbei können sich statische Faktoren wie z.B. eine Gelenkhypertrophie, mit dynamischen Faktoren wie z.B. eine ligamentäre Laxität, die durch die Stellung der Wirbelsäule und des Bewegungssegmentes beeinflusst wird, potenzieren. Für die Symptomatik der Stenose werden, neben einer mechanischen Reizung der neuralen Strukturen, eine mikrovaskuläre Ischämie oder auch eine venöse Stase angeschuldigt. Ist die ligamentäre Laxität ausgeprägt, kann dies, z.B. in Kombination mit prädisponierenden Faktoren wie Hyperlordose, vermehrter Beckeninklination oder steilgestellten Facettengelenken in eine degenerative Spondylolisthese mit entsprechender klinischer und bildmorphologischer Instabilität münden. Da der Degenerationsprozess der Bandscheibe und Facettengelenke häufig asymmetrisch abläuft, kann zusammen mit einer vermehrten ligamentären Belastung auch eine progrediente Deformität mit Laterolisthese und Instabilität im Sinne einer adulten Skoliose resultieren.

In Abgrenzung zu der häufigen sekundären (erworbenen) Form der Lumbalstenose gibt es eine primäre (kongenitale) Form, die gelegentlich auch jüngere Patienten betrifft; nicht selten findet man auch Kombinationen der beiden Formen [13].

Klinik

Das Leitsymptom der symptomatischen Lumbalstenose ist die Claudicatio spinalis: Typischerweise werden langsam progrediente belastungsabhängige Schmerzen, Gefühlsstörungen oder Muskelschwächen in Rücken, Gesäß und Beinen angegeben, die zu einer Einschränkung der Mobilität und Minderung der Gehstrecke führen [22]. Neben eindeutig radikulären Ausstrahlungsmustern, die eher bei lateralen Stenosen auftreten, beklagen die Patienten pseudoradikuläre bzw. unspezifische und häufig biltaterale Beschwerden. Die Symptome sind positionsabhängig, entstehen meist schon im Stehen bzw. bei lumbaler Extension und lassen sich durch eine flektierte Körperhaltung wie z.B. beim Fahrradfahren, sowie durch Hinsetzen lindern. Neben chronisch-progredienten Verläufen werden auch schubweise Verschlechterungen beobachtet, die in Ruheschmerzen und manifeste neurologische Defizite münden können.

Zusätzlich zu den gehstreckenabhängigen Beschwerden bestehen bei Patienten mit einer degenerativen Spondylolisthese häufig auch Schmerzen, die auf eine lumbale Instabilität hindeuten. Dies sind klassischerweise belastungsabhängige lumbale Rückenschmerzen im Stehen, die durch Rotation noch akzentuiert werden können und die häufig zu einer Unterbrechung (Anlehnen, Hinsetzen) täglicher Aktivitäten, z.B. bei der Küchenarbeit führen. Die Patienten berichten nicht selten von einem „Durchbrechgefühl“ im Kreuz. Bei Patienten mit adulter Deformität werden die lokalen Schmerzen häufig in den Bereich des Apex der Skoliose projiziert oder bei ausgeprägter sagittaler Deformität auch als muskulärer Ermüdungsschmerz, z.B. an den pelvinen oder sakralen Muskelansätzen wahrgenommen.

Zuletzt sei darauf hingewiesen, dass lumbale Spinalkanalstenosen und Spondylolisthesen bei einem beträchtlichen Anteil der asymptomatischen Bevölkerung vorkommen. Dem Behandler kommt so die wesentliche Aufgabe zu, festzustellen, ob die klinischen Symptome mit der Bildgebung im Einklang stehen.

Operative Therapie der
lumbalen Spinalkanalstenose

Operationsindikation

Eine operative Therapie wird in erster Linie bei relevanten neurologischen Defiziten (absolute Operationsindikation) oder bei therapieresistenten radikulären Schmerzen/Claudicatio spinalis (relative Operationsindikation; bei fehlender absoluter Operationsindikation wird ein nicht-operatives Vorgehen über einen Zeitraum von 6–12 Wochen empfohlen) indiziert. Weitere Operationsindikationen, die v.a. bei degenerativer Deformität und Instabilität eine Rolle spielen und häufig in Kombination mit o.g. Symptomen auftreten, sind ausgeprägte therapieresistente Rückenschmerzen, symptomatische radiologische Kurvenprogression, kardiopulmonale Beeinträchtigungen oder eine Dekompensation der koronaren oder sagittalen Balance mit entsprechenden funktionellen Einschränkungen.

Ein eindeutig definiertes Zeitfenster für die operative Therapie scheint es nach aktuellem Kenntnisstand nicht zu geben [31]. Zwar sprechen mittlerweile mehrere prospektive-randomisierte Studien für eine höhere Effektivität der Chirurgie bei Lumbalstenose mit/ohne Spondylolisthese im Vergleich zur konservativen Therapie [4, 14, 29, 30], allerdings sind die Langzeitergebnisse diskrepant [1].

Chirurgische Techniken

Das primäre chirurgische Ziel bei der lumbalen Spinalkanalstenose ist die Dekompression der eingeengten neuralen Strukturen. Dies lässt sich je nach Lokalisation und Ausmaß der Stenose sowie nach Präferenz des Operateurs über eine traditionelle Laminektomie, eine bilaterale Laminotomie oder eine unilaterale Laminotomie mit Undercutting (ULBD; unilateral laminotomy for bilateral decompression) erreichen. Die ULBD ist mittlerweile das Standardverfahren in unserer Klinik und hat den Vorteil, dass die kontralaterale Muskulatur und ein Großteil des kontralateralen Gelenks geschont werden können. Wir setzen die Technik regelmäßig bei zusätzlich zur Spinalstenose vorhandenen stabilen low-grade Spondylolisthesen oder adulten Skoliosen mit einem Cobb-Winkel < 20° ohne signifikantes Drehgleiten zur alleinigen Dekompression ein.

Das Verfahren wird wie folgt durchgeführt:
Nach Bauchlagerung des Patienten auf einer Wilson-Brücke und fluoroskopischer Markierung der jeweiligen Bandscheibenebene wird bereits unter dem Operationsmikroskop (Nutzung skin-to-skin) ein ca. 2–3 cm langer, leicht paramedianer Hautschnitt durchgeführt (Abb. 1A). Die Größe des Zugangs ist von der Physiognomie des Patienten und dem verwendeten Sperrersystem abhängig. Die Faszieninzision und die subperiostale Muskeldissektion werden auf der klinisch dominanten Seite bzw. der konvexen Seite einer adulten Skoliose durchgeführt. Ein Caspar-Spekulum (Abb. 1B), das mittlerweile auch in miniaturisierter Form zur Verfügung steht (Abb. 2B), wird vorsichtig distrahiert, anschließend erfolgt die Durchleuchtungskontrolle. Nun wird mit einer Rosen- und anschließend einer Diamantfräse eine ipsilaterale Laminotomie und partielle mediale Arthrektomie mit Darstellung des rostralen Flavumansatzes durchgeführt. Das Ligamentum flavum wird mit Kerrison-Stanzen in rostro-kaudaler Richtung reseziert, anschließend erfolgt eine Recessotomie. Nach ipsilateraler Dekompression des Duralschlauchs und der traversierenden Nervenwurzel (Abb. 1C) wird der Operationstisch ca. 10° nach kontralateral gekippt und es erfolgt das Undercutting bis in den kontralateralen Recessus lateralis (Abb. 1D), in aller Regel mit einer 4 mm-Diamentfräse und einer 3 mm-Stanze. Zuletzt wird der Situs mit einem langen Nervenhäkchen epidural ausgetastet, der Wundverschluss erfolgt mit Faszien-, Subkutan- und Hautnaht (alternativ: Hautkleber).

Multisegmentale Dekompressionen (Abb. 2) werden in aller Regel in einer „Slalom-Technik“ durchgeführt, um die Affektion der Muskulatur und der Gelenke auf beide Seiten zu verteilen.

Minimalinvasive mikrochirurgische oder endoskopische Techniken verringern reproduzierbar den Blutverlust und verkürzen den Krankenhausaufenthalt ohne Einschränkung der Effektivität [3, 20, 26].

Eine Stabilisierung additiv zur Dekompression ist bei alleiniger Lumbalstenose in der Regel nicht erforderlich und wird auch von einem aktuellen Cochrane Review nicht empfohlen [18]. Bei einer degenerativen Spondylolisthese hingegen wird die Stabilisierung mittels Fusion noch von vielen Autoren als operativer Goldstandard betrachtet und der alleinigen Dekompression vorgezogen. Hier ist jedoch zu berücksichtigen, dass als dekompressives „Referenzverfahren“ meist die Laminektomie angeführt wird [10]. Minimalinvasive Techniken wie die ULBD führen zu vergleichsweise geringen Raten an sekundären Instabilitäten und Reoperationen [25] und sollten insbesondere bei Patienten mit degenerativer °I Olisthese ohne eindeutige klinische/radiologische Instabilität als risikoärmere und kostengünstigere Alternative zur Fusion berücksichtigt werden.

Besteht aber primär schon eine Instabilität oder eine Konstellation, die die Wahrscheinlichkeit einer postoperativen Instabilität erhöht (z.B. neuroforaminale Stenose), so wird von vielen Autoren zusätzlich zur Dekompression eine Stabilisierung empfohlen, die hierzulande meist als instrumentierte intersomatische Fusion mittels Cages, z.B. in TLIF- (transforaminal lumbar interbody fusion), PLIF- (posterior lumbar interbody fusion) oder XLIF- (extreme lateral interbody fusion) Technik durchgeführt wird. Auch bei den Fusionen verbreiten sich zunehmend minimalinvasive Techniken mit möglichen Vorteilen hinsichtlich Blutverlust, stationärem Aufenthalt und Schmerzmittelkonsum [11, 23]. Die XLIF-Technik erlaubt zudem durch die breite Auflagefläche des Cages und die gute Rekonstruktionsmöglichkeit der Bandscheibenhöhe eine indirekte Dekompression der Neuroforamina und des Spinalkanals. Außerdem ist die XLIF-Technik sehr gut zur Korrektur des koronaren Profils bei Patienten mit adulter Skoliose geeignet.

Gängige Indikationen für eine additive Stabilisierung bei lumbaler Spinalstenose/Spondylolisthese [7, 28] sind:

Spondylolisthese > 5 mm

Instabilität auf den Funktionsaufnahmen (> 3 mm)

Skoliose mit Cobb-Winkel > 20°

Hohe Bandscheibenhöhe (> 6,5 mm)*

Facettenwinkel > 50°*

* bei bereits vorhandener °I Spondylolisthese erhöhtes Risiko für Entwicklung einer Instabilität nach alleiniger Dekompression.

Alternativ zur Dekompression +/- Fusion favorisieren einige Autoren Non-Fusions-Techniken wie interspinöse Spreizer oder dynamische Stabilisierungen. Interspinöse Spreizer als Alternative zur Dekompression haben zwar den Vorteil einer etwas geringeren Komplikationsrate, die Kosten sind aber wesentlich höher und auch die Reoperationsraten mit bis zu 33 % sehr hoch [15, 17], so dass dieses Konzept zunehmend verlassen wird. Möglicherweise bietet die Implantation eines Spreizers additiv zur Dekompression Vorteile [24], was aber noch weiterer Untersuchungen bedarf. Die dynamische Stabilisierung mittels Schrauben-Stab-System zusätzlich zur Dekompression könnte im Vergleich mit der Fusion bei vergleichbarerer Effektivität vorteilhaft hinsichtlich Operationsdauer und Reoperationsrate sein, allerdings ist die „optimale“ Indikation für dieses Verfahren noch nicht abschließend geklärt [5].

Ergebnisse, Komplikationen und prognostische Faktoren

Die prospektiv-randomisierte SPORT-Studie fand sowohl bei Patienten mit lumbaler Stenose als auch mit zusätzlicher degenerativer Spondylolisthese eine eindeutige Verbesserung von Schmerzen, Funktionalität und Lebensqualität in Folge der Operation [29, 30]. Der anfängliche Behandlungseffekt scheint allerdings bei manchen Patienten über die Jahre nachzulassen [16, 26]. Unsere Arbeitsgruppe konnte neben höherem Patientenalter und weiblichem Geschlecht einen höheren Body Mass Index und Nikotinabusus als unabhängige Prädiktoren für ein schlechtes Langzeitergebnis nach ULBD identifizieren [26], während Mannion et al. [19] ein signifikant schlechteres Ergebnis bei Patienten fanden, die während eines 5-jährigen Follow-ups erneut operiert werden mussten. Weitere Faktoren, die sich ungünstig auf das klinische Ergebnis auswirken können, sind Depression, kardiovaskuläre Morbidität, eine weitere Erkrankung, die die Gehfähigkeit beeinflusst sowie eine Skoliose. Interessanterweise scheint das Vorhandensein einer Spondylolisthese das klinische Langzeitergebnis nach einer ULBD nicht negativ zu beeinflussen [26], was für die Effektivität des Verfahrens auch bei diesem Patientenklientel spricht. Letztlich ist es wichtig, potentiell modifizierbare negative Prädiktoren wie Übergewicht und Nikotinabusus schon im Aufklärungsgespräch für die Operation zu artikulieren.

Die Komplikationsrate einer spinalen Dekompression liegt laut einer M&M-Datenbank der amerikanischen Scoliosis Research Society, in die über 10.000 Patientenverläufe eingegangen waren, bei durchschnittlich 7 %, wobei eine Duraverletzung und eine Wundinfektion die häufigsten Komplikationen darstellten [9]. Die Komplikationsraten bei den häufig verwendeten PLIF- und TLIF-Operationen liegen einem aktuellen systematischen Review von 990 Patienten zufolge bei durchschnittlich 17 % und 8,7 % [8].

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.

Korrespondenzadresse:

Prof. Dr. med. Karsten Schöller

Klinik für Spinale Chirurgie

Schön Klinik Hamburg Eilbek

Dehnhaide 120

22081 Hamburg

kschoeller@schoen-klinik.de

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