Übersichtsarbeiten - OUP 05/2021

Die operative Therapie der lumbalen Spinalkanalstenose

Zuletzt sei darauf hingewiesen, dass lumbale Spinalkanalstenosen und Spondylolisthesen bei einem beträchtlichen Anteil der asymptomatischen Bevölkerung vorkommen. Dem Behandler kommt so die wesentliche Aufgabe zu, festzustellen, ob die klinischen Symptome mit der Bildgebung im Einklang stehen.

Operative Therapie der
lumbalen Spinalkanalstenose

Operationsindikation

Eine operative Therapie wird in erster Linie bei relevanten neurologischen Defiziten (absolute Operationsindikation) oder bei therapieresistenten radikulären Schmerzen/Claudicatio spinalis (relative Operationsindikation; bei fehlender absoluter Operationsindikation wird ein nicht-operatives Vorgehen über einen Zeitraum von 6–12 Wochen empfohlen) indiziert. Weitere Operationsindikationen, die v.a. bei degenerativer Deformität und Instabilität eine Rolle spielen und häufig in Kombination mit o.g. Symptomen auftreten, sind ausgeprägte therapieresistente Rückenschmerzen, symptomatische radiologische Kurvenprogression, kardiopulmonale Beeinträchtigungen oder eine Dekompensation der koronaren oder sagittalen Balance mit entsprechenden funktionellen Einschränkungen.

Ein eindeutig definiertes Zeitfenster für die operative Therapie scheint es nach aktuellem Kenntnisstand nicht zu geben [31]. Zwar sprechen mittlerweile mehrere prospektive-randomisierte Studien für eine höhere Effektivität der Chirurgie bei Lumbalstenose mit/ohne Spondylolisthese im Vergleich zur konservativen Therapie [4, 14, 29, 30], allerdings sind die Langzeitergebnisse diskrepant [1].

Chirurgische Techniken

Das primäre chirurgische Ziel bei der lumbalen Spinalkanalstenose ist die Dekompression der eingeengten neuralen Strukturen. Dies lässt sich je nach Lokalisation und Ausmaß der Stenose sowie nach Präferenz des Operateurs über eine traditionelle Laminektomie, eine bilaterale Laminotomie oder eine unilaterale Laminotomie mit Undercutting (ULBD; unilateral laminotomy for bilateral decompression) erreichen. Die ULBD ist mittlerweile das Standardverfahren in unserer Klinik und hat den Vorteil, dass die kontralaterale Muskulatur und ein Großteil des kontralateralen Gelenks geschont werden können. Wir setzen die Technik regelmäßig bei zusätzlich zur Spinalstenose vorhandenen stabilen low-grade Spondylolisthesen oder adulten Skoliosen mit einem Cobb-Winkel < 20° ohne signifikantes Drehgleiten zur alleinigen Dekompression ein.

Das Verfahren wird wie folgt durchgeführt:
Nach Bauchlagerung des Patienten auf einer Wilson-Brücke und fluoroskopischer Markierung der jeweiligen Bandscheibenebene wird bereits unter dem Operationsmikroskop (Nutzung skin-to-skin) ein ca. 2–3 cm langer, leicht paramedianer Hautschnitt durchgeführt (Abb. 1A). Die Größe des Zugangs ist von der Physiognomie des Patienten und dem verwendeten Sperrersystem abhängig. Die Faszieninzision und die subperiostale Muskeldissektion werden auf der klinisch dominanten Seite bzw. der konvexen Seite einer adulten Skoliose durchgeführt. Ein Caspar-Spekulum (Abb. 1B), das mittlerweile auch in miniaturisierter Form zur Verfügung steht (Abb. 2B), wird vorsichtig distrahiert, anschließend erfolgt die Durchleuchtungskontrolle. Nun wird mit einer Rosen- und anschließend einer Diamantfräse eine ipsilaterale Laminotomie und partielle mediale Arthrektomie mit Darstellung des rostralen Flavumansatzes durchgeführt. Das Ligamentum flavum wird mit Kerrison-Stanzen in rostro-kaudaler Richtung reseziert, anschließend erfolgt eine Recessotomie. Nach ipsilateraler Dekompression des Duralschlauchs und der traversierenden Nervenwurzel (Abb. 1C) wird der Operationstisch ca. 10° nach kontralateral gekippt und es erfolgt das Undercutting bis in den kontralateralen Recessus lateralis (Abb. 1D), in aller Regel mit einer 4 mm-Diamentfräse und einer 3 mm-Stanze. Zuletzt wird der Situs mit einem langen Nervenhäkchen epidural ausgetastet, der Wundverschluss erfolgt mit Faszien-, Subkutan- und Hautnaht (alternativ: Hautkleber).

Multisegmentale Dekompressionen (Abb. 2) werden in aller Regel in einer „Slalom-Technik“ durchgeführt, um die Affektion der Muskulatur und der Gelenke auf beide Seiten zu verteilen.

Minimalinvasive mikrochirurgische oder endoskopische Techniken verringern reproduzierbar den Blutverlust und verkürzen den Krankenhausaufenthalt ohne Einschränkung der Effektivität [3, 20, 26].

Eine Stabilisierung additiv zur Dekompression ist bei alleiniger Lumbalstenose in der Regel nicht erforderlich und wird auch von einem aktuellen Cochrane Review nicht empfohlen [18]. Bei einer degenerativen Spondylolisthese hingegen wird die Stabilisierung mittels Fusion noch von vielen Autoren als operativer Goldstandard betrachtet und der alleinigen Dekompression vorgezogen. Hier ist jedoch zu berücksichtigen, dass als dekompressives „Referenzverfahren“ meist die Laminektomie angeführt wird [10]. Minimalinvasive Techniken wie die ULBD führen zu vergleichsweise geringen Raten an sekundären Instabilitäten und Reoperationen [25] und sollten insbesondere bei Patienten mit degenerativer °I Olisthese ohne eindeutige klinische/radiologische Instabilität als risikoärmere und kostengünstigere Alternative zur Fusion berücksichtigt werden.

Besteht aber primär schon eine Instabilität oder eine Konstellation, die die Wahrscheinlichkeit einer postoperativen Instabilität erhöht (z.B. neuroforaminale Stenose), so wird von vielen Autoren zusätzlich zur Dekompression eine Stabilisierung empfohlen, die hierzulande meist als instrumentierte intersomatische Fusion mittels Cages, z.B. in TLIF- (transforaminal lumbar interbody fusion), PLIF- (posterior lumbar interbody fusion) oder XLIF- (extreme lateral interbody fusion) Technik durchgeführt wird. Auch bei den Fusionen verbreiten sich zunehmend minimalinvasive Techniken mit möglichen Vorteilen hinsichtlich Blutverlust, stationärem Aufenthalt und Schmerzmittelkonsum [11, 23]. Die XLIF-Technik erlaubt zudem durch die breite Auflagefläche des Cages und die gute Rekonstruktionsmöglichkeit der Bandscheibenhöhe eine indirekte Dekompression der Neuroforamina und des Spinalkanals. Außerdem ist die XLIF-Technik sehr gut zur Korrektur des koronaren Profils bei Patienten mit adulter Skoliose geeignet.

Gängige Indikationen für eine additive Stabilisierung bei lumbaler Spinalstenose/Spondylolisthese [7, 28] sind:

Spondylolisthese > 5 mm

Instabilität auf den Funktionsaufnahmen (> 3 mm)

Skoliose mit Cobb-Winkel > 20°

Hohe Bandscheibenhöhe (> 6,5 mm)*

Facettenwinkel > 50°*

* bei bereits vorhandener °I Spondylolisthese erhöhtes Risiko für Entwicklung einer Instabilität nach alleiniger Dekompression.

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