Übersichtsarbeiten - OUP 01/2020

Die Rolle des Scapula-Notching bei inverser Schulterendoprothese

Die standardmäßig erhobenen Befunde im a.p.- und axialen Röntgen geben in der Regel nicht ausreichende Informationen. Das CT hilft hier, weitere klinisch relevante Daten bzgl. der Orientierung des Glenoids in Relation zur Scapula zu erhalten. Ein dreidimensionales CT reduziert die Intra- und Interobserver-Reliabilität bei der Interpretation dieser Parameter deutlich [13]. In besonderen Fällen können von Patienten individualisierte Sägeschablonen angefertigt werden. Dieses ist in der Regel vor allen Dingen bei Revisionsoperationen sinnvoll [17].

Postoperative Bildgebung

Im Rahmen der postoperativen Bildgebung wird das Ausmaß des Notchings in der Klassifikation von Sirveaux et al. [34] aus dem Jahre 2004 eingeteilt (Abb. 1). Bei Grad 3 oder 4 spielen biologische Antworten auf Polyethylen-Abriebpartikel mit entsprechender Osteolyse eine Rolle ( Abb. 4). Die radiologische Beurteilung ist mit einer strengen a.p.-Aufnahme ausreichend möglich. Im Rahmen der Standardevaluation sollten zusätzlich laterale und axillare Aufnahmen angefertigt werden [19, 33, 34].

Einfluss der operativen Techniken

Operationszugang

Der anteriore superiore Zugang (Deltoid-Splitting-Zugang) zeigt ein erhöhtes Risiko für ein Notching. In einer Serie von 337 inversen Schulterprothesen, bei denen entweder der anteriore superiore Zugang oder ein deltoideopektoraler Zugang verwendet wurde, zeigte sich bei 86 % der Patienten mit anterior-superiorem Zugang ein Notching, wo hingegen nur bei 56 % ein Notching bei den deltopektoralen Zugang (P < 0,0001) [23] entstand. Mole et al. [26] zeigten ein Scapula-Notching bei 74 % bei einem anterior-superiorem Zugang und 63 % bei einem deltoideopektoralen Zugang.

Der antero-superiore Zugang zeigt ebenfalls eine Korrelation zur postoperativen Instabilität und einem relativen Risiko zu Scapula- und Acromionfrakturen. Während des antero-superioren Zugangs kann eine Fehlbeurteilung der Unterkante des Glenoids erfolgen. Diese Situation führt zu einer höheren Platzierung oder zu einem superioren Tilt des Glenoids. Beides sind Faktoren, die zu einem erhöhten Notching-Risiko führen. Die Mehrzahl der Operateure favorisiert heutzutage einen deltopektoridalen Zugang. Wichtig ist hierbei jedoch eine ausgiebige Exploration des inferioren Glenoids mit Entfernen des Labrums und der Kapsel sowie Inzision des Trizepsansatzes am unteren Glenoid, auch um einen superioren Tilt zu vermeiden.

Glenosphären-Tilt

Der inferiore Tilt erlaubt ein größeres impingementfreies Bewegungsausmaß [15, 16]. Der optimale Tilt hängt jedoch auch von Faktoren wie Prothesen-Design, individuelle Anatomie, der Lateralisation des Glenoids und des humeralen Prothesen-Schaft-Hals-Winkels ab. Bei Prothesen mit einem Schaftwinkel von 155° ist der inferiore Tilt besonders wichtig. Nyffeller et al. [29] fanden bei einem inferiorer Tilt von 15° die höchste impingementfreie Adduktion. Noch besser war jedoch das freie Bewegungsausmaß bei neutraler Position und inferiorem Überhang der Glenosphäre. Andere Autoren zeigten [15], dass der inferiore Tilt zum geringsten Scapula-Impingement führt, gefolgt von der inferioren Platzierung des Glenoids und einem lateralen Offset. Hierbei gilt zu bedenken, dass ein inferiorer Tilt bei unterschiedlichen Abduktionsgraden zu einer geringeren Gelenkkraft führt als ein Glenoid in neutraler Position [16]. Wenn ein Glenoid exzentrisch in die inferiore Position implantiert wird, führt ein neutraler Tilt zu einer Verbesserung der Gelenkkräfte. Ein superiorer Tilt führt zu einer Verschlechterung aller Parameter.

Inferiore Platzierung der Glenosphäre

Die Platzierung der Glenosphäre mit inferiorem Überhang scheint den größten Effekt zur Reduktion des Scapula-Notchings mit den geringsten Nebeneffekten zu haben [8, 15, 16, 29, 31–33].

Die Limitation des inferioren Überhangs mit konzentrischem Prothesen-Design hat ihre Begrenzung bei möglichem Stabilitätsverlust des Knochenimplantat-Interfaces. Exzentrische Glenosphären erhöhen den inferioren Überhang bei gleichzeitig guter Schraubenfixation der Basisplatte der Glenosphäre. Poon et al. [31] verglichen die Notching-Rate bei konzentrischen Implantaten und exzentrischen Implantaten. Sie fanden kein Notching beim Überhang von mehr als 3,5 mm, egal ob es sich um eine konzentrische oder eine exzentrische Variante handelte.

Glenosphären-Designs

So wie der inferiore Überhang führt auch ein laterales Offset zu einer Reduktion des Scapula-Notchings [32]. Die klassische Grammont-Glenosphäre hat ein medialisiertes Rotationszentrum im Bereich des Knochenimplantat-Interfaces und prädestiniert zum Notching [33]. Ein laterales Rotationszentrum, welches mehr das physiologische Rotationszentrum imitiert, führt zu einem geringeren Notching. Ein systematischer Review von 13 Studien, bei denen der Grammont-Typ mit einem lateralen Offset-Typ verglichen wurde, zeigt hier, dass beim lateralen Offset das Scapula-Notching nur bei 5,4 % der Patienten auftrat, wo hingegen beim Grammont-Typ 45 % [22]. Ein laterales Offset kann durch verschiedene Mechanismen herbeigeführt werden. Dieses beinhaltet eine Knochen-Augmentation (biologic increased offset nach Boileau) oder eine Metall-Augmentation des Glenoids. Der Vorteil der biologischen Offset-Erhöhung liegt darin, dass das Rotationszentrum nach wie vor im Bereich des Knochenimplantat-Interfaces verbleibt. In einer Studie mit 42 Patienten mit knöcherner Lateralisation fand sich ein Notching in 19 % nach 28 Monaten [5]. Der Graft wurde bei 41 von 42 Patienten (98 %) vollkommen inkorporiert´. Es fand sich keine Evidenz für eine Graft-Resorption, eine Glenoidlockerung oder eine klinische Instabilität.

Als weitere Empfehlung in der Literatur findet sich die Verwendung von größeren Glenosphären-Durchmessern. Größere Durchmesser führen zu einer stabileren Prothese, einem besseren Impingement, freiem Bewegungsausmaß und zu einer reduzierten Notching-Rate [3, 21, 27, 35].

Humerales Prothesen-Design

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