Übersichtsarbeiten - OUP 01/2020

Die Rolle des Scapula-Notching bei inverser Schulterendoprothese

Bei zunehmender Reduktion des humeralen Hals-Schaft-Winkels kommt die humerale konkave Komponente mehr in eine vertikale Position. Langohr et al. [21] zeigten, dass dieses zur Verbesserung der impingementfreien Adduktion mit mehr lateralem Offset führt. Mit reduziertem Hals-Schaft-Winkel kommt es zu einem vermehrten Kontaktstress im Bereich des Polyethylens mit inferiorer Verschiebung der Hauptbelastung des Polyethylen-Inlays. Dieses kann zu einer deutlich erhöhten Kantenbelastung mit erhöhtem Polyethylen-Abrieb führen, welches wiederum Osteolysen ohne mechanisches Impingement bedingen kann. Eine reduzierte Polyethylen-Tiefe (reduzierte „jumping-height) führt zu einer Verbesserung des Adduktionswinkels [8, 21], jedoch mit dem Risiko einer erhöhten Luxation.

Beim Vergleich von 155° versus 135° Hals-Schaft-Winkel fanden Erickson et al. [10] beim 135°-Winkel nur in 2,8 %, beim 155°-Winkel hingegen bei 16,8 % ein Notching. Es fanden sich keine Unterschiede in der Dislokationsrate zwischen beiden Gruppen.

Ein medialisiertes Glenoid mit lateralisiertem Humerus führt zur Medialisierung des Rotationszentrums und führt so zu einer Verbesserung des Deltoid-Momentarms. Die lateralisierte humerale Komponente führt zu einer Erhöhung der Spannung von Delta und der restlichen vorhandenen Rotatorenmanschette. Eine Lateralisierung der Humerus durch verminderten Hals-Schaft-Winkel in Kombination mit einer inferior implantierten Glenoid-Basisplatte kann zu einem reduzierten Notching führen [10, 21].

Ein lateralisiertes Glenoid mit lateralisiertem Humerus wird die mechanische Situation des Notchings deutlich verbessern. Der Deltaumlenkwinkel wird günstiger ( Abb. 5), der Deltoid-Momentarm ist jedoch reduziert, und es besteht ein gewisses Risiko für eine Überspannung von Deltoid und Rotatorenmanschetten; Studien hierzu liegen jedoch nicht vor.

Aufgrund der oben genannten Zusammenhänge macht es Sinn, die Offset-Situation bei inversen Prothesen wie folgt zu klassifizieren:

MGMH: Medial Glenoid/Medial Humerus (Abb. 6a)

LGMH: Lateral Glenoid/Medial Humerus (Abb. 6b)

MGLH: Medial Glenoid/Lateral Humerus (Abb. 6c)

LGLH: Lateral Glenoid/Lateral Humerus (Abb. 6d)

MGMH (Medial Glenoid/
Medial Humerus)

Hier ist das Rotationszentrum nahe der glenoidalen Gelenklinie positioniert. Der humerale konkave Pfannenanteil ist nahe zum intermedulären Kanal positioniert. Grammonts Prothese passt typisch in diese Kategorie (Abb. 7). Hier zeigen sich folgende Merkmale:

reduziertes Risiko für eine glenoidale Lockerung

gute aktive Armabduktion aufgrund des großen Deltoid-Momentarms

hohe Rate für Scapula-Notching

eingeschränkte aktive Innen- und Außenrotation wegen der Verkürzung der Rotatoren.

LGMH: Lateral Glenoid/
Medial Humerus

Hier ist das Rotationszentrum lateral der glenoidalen Verankerung. Dieses wird beispielsweise bei der Encore-Prothese durch eine dickere Glenosphäre (Abb.8) oder durch eine Bio-RSA erreicht. Die humerale Komponente bleibt nach wie vor in der Achse des Humerus, sodass dieses zu einer Medialisaton führt. Dieser Prothesentyp zeichnet sich durch folgende Merkmale aus:

geringeres Scapula-Notching

bessere Wiedererlangung der aktiven Innen- und Außenrotation aufgrund der erhöhten Spannung der Rotatorenmanschette

potenziell erhöhtes Risiko für eine glenoidale Lockerung aufgrund der erhöhten Belastung am Glenoid-Implantat-Interface

potenziell erhöhtes Risiko für eine Acromion- oder Spinafraktur [20].

MGLH: Medial Glenoid/
Lateral Humerus

Das Rotationszentrum ist hier weiter medial im Bereich des anatomischen Glenoids lokalisiert. Der Humerusschaft ist lateralisiert, und die humerale Gelenkkomponente sitzt exzentrisch zum Humerusschaft, was bei einigen schaftgeführten Systemen auch erreicht wird (Abb. 9). Dieses Prinzip ist besonders gut mit schaftfreien inversen „onlay Prothesen“ (s.u.) zu erreichen. Dieser Prothesentyp zeichnet sich durch die folgenden Merkmale aus:

reduziertes Risiko der glenoidalen Lockerung

reduziertes Risiko für Scapula-Notching

bessere Wiedererlangung der aktiven Arm-Elevation aufgrund eines längeren Deltoid-Momentarms

erhöhter Tub-majus-Umlenkwinkel

verbesserte aktive Innen- und Außenrotation wegen einer besseren Spannung der Rotatorenmanschette

LGLH: Lateral Glenoid/Lateral Humerus

Hier ist das Rotationszentrum wiederum lateral der glenoidalen Verankerung, was beispielweise durch eine Bio-RSA im Prinzip von Boileau zu erreichen ist. Der Humerusschaft ist zusätzlich lateralisiert oder die humerale Gelenkkomponente sitzt exzentrisch zum Humerusschaft. Dieses Prinzip ist mit schaftfreien inversen Onlay-Prothesen (s.u.) zu erreichen. Dieser Prothesentyp zeichnet sich durch folgende Merkmale aus:

noch geringeres Risiko für ein Scapula-Notching

bessere Wiedererlangung der aktiven Innen- und Außenrotation aufgrund der erhöhten Spannung der Rotatorenmanschette

potenziell erhöhtes Risiko für eine glenoidale Lockerung aufgrund der erhöhten Belastung am Glenoid-Implantat-Interface

bessere Wiedererlangung der aktiven Arm-Elevation aufgrund eines längeren Deltoid-Momentarms und eines verbesserten Deltoid-Umlenkwinkels.

Klinische Ergebnisse

Ein mechanisches Impingement im Bereich der lateralen inferioren Scapula führt zu einem reduzierten Adduktionswinkel mit einer Zunahme von Schmerzen und einer reduzierten Schulterfunktion [33, 34, 37]. Frühere Studien zeigten keinen negativen Effekt. Neuere Studien zeigen jedoch, dass das Notching mit einem schlechteren klinischen Ausgang korreliert [4, 36, 38].

So zeigten Wall et al. [36] bei 152 Patienten mit einer inversen Prothese bei 50 % der Patienten ein Notching. Es fand sich hier jedoch kein Unterschied im Constant-Score und bei dem Bewegungsausmaß – weder bei den Patienten mit Notching noch ohne Notching.

Sirveaux et al. [34], Simovitch et al. [33], Wellmann et al. [37] und Mollon et al. [28] zeigten einen schlechteren Constant-Score bei inferiorem Notching. Zusätzlich zeigt sich eine negative Korrelation zwischen Ausmaß des Notchings und funktionellem Outcome [33, 34]. Mollon et al. [28] untersuchten 476 inverse Schulterprothese und fanden eine Notching-Rate von 10 %, die deutlich geringer war als bei den meisten Publikationen. Sie fanden einen signifikant geringeren American Shoulder and Elbow Score, Constant Score, Simple Shoulder Test UCLA-Score bei Patienten mit Notching bei einem mittleren Nachuntersuchungszeitraum von 38 Monaten.

Operative Empfehlungen

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