Übersichtsarbeiten - OUP 02/2019

Die Tibialis-posterior-Insuffizienz

Die Gefäßversorgung der Sehne erfolgt von proximal über die Muskulatur von distal über das Periost an den Anheftungsstellen der Sehne. Hinter und vor allem unterhalb des Malleolus internus besteht eine Zone der Hypovaskularität [4]. Reparative Vorgänge in der Phase der Degeneration sind erheblich vermindert. Die Sehne weist nach Petersen [20, 27] unterhalb des Malleolus internus vermehrt Chondrocyten und vermindert Fibrocyten auf. Erklärbar ist dies durch die verstärkte Druckbelastung, welche beim Abrollvorgang des Fußes und die Umlenkung der Sehne unter dem Innenknöchel auftritt. Fibrocyten sind auf Zug belastbar, Chondrocyten dagegen auf Druck. Die Reißfestigkeit der Sehne in dieser Zone ist daher vermindert. Nach Giza [7] soll durch mechanische Überbelastung, verursacht durch repetitive Mikrotraumata mit 1000–2000 Lastzyklen/Stunde, eine inflammatorische Immunantwort auf die Sehne ausgelöst werden. Weiterhin soll ein konstitutioneller, bereits kindlich oder juvenil vorliegender Pes planovalgus eine Prädisposition zur späteren Postikusdysfunktion darstellen. Uchiyama [24] konnte nachweisen, dass der Gleitwiderstand der Sehne bei einem Knick-Senkfuß signifikant erhöht ist. In Untersuchungen konnte er zudem feststellen, dass bei Patienten mit einer Postikussehnendysfunktion überproportional in der Vergangenheit ein Knick-Senkfuß vorgelegen hatte. Diese Erkenntnisse allein können allerdings nicht erklären, wieso die Sehnen rupturieren und bei welcher Person.

Symptome

Die Schilderung der Patienten, was den Krankheitsverlauf betrifft, ist sehr unterschiedlich. Sehr häufig kann der Beginn der Erkrankung nicht genau angegeben werden. Erst nach wiederholtem Befragen kann der Zeitpunkt eingegrenzt werden, wobei häufig traumatische Ereignisse geschildert werden. Ein klassisches Trauma, welches zur Ruptur der Sehnen und somit zur Dysfunktion der Tibialis-posterior-Sehne führt, liegt selten vor.

Typischerweise wird zu Beginn der Erkrankung eine Schwellung hinter dem Innenknöchel angegeben. Das Laufen auf unebenen Unterflächen wird als schmerzhaft empfunden. Über eine zunehmende Instabilität des Fußes wird berichtet. Ob diese Instabilität der Ruptur der Sehne oder dem Schmerz und einem vermeintlichen Giving-way-Mechanismus zuzuordnen ist, kann fast nie geklärt werden. Nach monate- oder jahrelangem Krankheitsverlauf werden Gelenkschmerzen im CC-Gelenk, subtalar und etwas seltener im TN-Gelenk beklagt. Bei erheblichem Rückfußvalgus ist ein Schmerz über der Außenknöchelspitze und im Verlauf der Peronealsehnen zu beobachten, verursacht durch einen Einklemmmechanismus der Sehnen zwischen Malleolus externus und lateralem Fersenbein. Die Patienten beklagen im fortgeschrittenen Stadium Druckschmerzen im Schuh über dem prominenten medioplantar gelegenen Taluskopf.

Diagnostik

Anamnese und Inspektion [22] sind häufig bereits zielführend in der Diagnosestellung. Allerdings wird die Diagnose oft erst sehr spät und immer häufiger primär von den Radiologen gestellt. Fehlende und nicht mehr gegenwärtige anatomische und biomechanische Kenntnisse verzögern eine frühzeitige Therapie. Oft werden die Untersucher durch unkorrekte oder nicht mit der Erkrankung im Zusammenhang stehende Ereignisse fehlinformiert. Ein Distorsionsereignis findet sich überproportional häufig in der Krankengeschichte, obwohl es als Folge und nicht als primäre Ursache anzusehen ist. Eine Untersuchung sollte grundsätzlich am beidseits entkleideten, belasteten Fuß erfolgen. Beide Unterschenkel und besser noch Oberschenkel sollten unbekleidet sichtbar sein. Da die Erkrankung weit überwiegend einseitig vorliegt ist der Seitenvergleich sehr hilfreich. Betrachtet wird der Fuß von allen Seiten. Die rückwärtige Ansicht vermittelt eine potenzielle Schwellung hinter dem Innenknöchel, den pathologischen Rückfußvalgus und ein eventuell vorliegendes „too-many-toe-sign“, die mediale Seitenansicht die Abflachung der Längswölbung und die Aufsicht den Vorfußabduktus. Das „Zu-viele-Zehen-Zeichen“ ist ein gut sichtbarer Ausdruck der Vorfußabduktion (Abb 1).

In diesem Untersuchungsgang kann der Patient aufgefordert werden, im Einbeinstand auf die Zehenspitzen zu steigen. Dies ist ein komplexer Vorgang, der dem schmerzhaften und auch älteren Patienten schwerfällt, häufig auch unmöglich ist. Hilfreich ist dabei, dem Patienten durch moderates Abstützen des Körpers über die Fingerspitzen an der Wand oder einer Tischfläche das Gefühl der Sicherheit zu vermitteln und zunächst diesen Untersuchungsgang am nicht betroffenen Bein durchzuführen. Die Unfähigkeit oder das inkomplette Anheben des Fersenbeins von der Auftrittsfläche ist ein relativ sicheres Untersuchungszeichen. Die Kraft der Plantarflektion resultiert zu 60 % aus Gastrocnemius und Soleus und zu 40 % aus dem Tibialis-posterior-Muskel [26] (Abb 2.).

Die fehlende Inversion des Rückfußes kann ebenfalls sehr oft beobachtet werden. Vorsicht ist geboten bei jüngeren oder sportlich durchtrainierten Patienten. Diese können über die kräftige Plantarflektion der Großzehe die fehlende Zugkraft der Tibialis-posterior-Sehne soweit kompensieren, dass der Rückfuß unverändert orthograd steht und im Zehenspitzenstand ein Rückfußvarus eintritt. Erst nach wiederholtem Durchgang dieser Funktionsprüfung ist eine Abschwächung der Fersenelevation zu beobachten.

Die manuelle Untersuchung überprüft die Beweglichkeit des Subtalargelenks, der Chopart Gelenklinie und der Funktion des oberen Sprunggelenkes in Repositionsstellung des Mittelfußes. Eine Verkürzung des Gastro-Soleus-Komplexes wird bei orthograder Einstellung des (Rück-)Fußes erkennbar, die Dorsalflektion des oberen Sprunggelenkes ist aufgehoben. Die Kenntnisse der Funktion des oberen Sprunggelenks sind wichtig zur Therapieplanung.

Bildgebung

Röntgenaufnahmen des Fußes im ap und seitlichen Strahlengang sind immer belastet durchzuführen. Auf die korrekte Ausrichtung des Zentralstrahls, welcher bei einem Plattfuß steiler gewählt werden muss, ist zu achten, da ansonsten die Lisfranc-Gelenklinie nicht dargestellt wird. Die ap-Aufnahme des oberen Sprunggelenks ist erforderlich. Hilfreich ist zudem die sogenannte Saltzman-Aufnahme, die die Position des Rückfußes zur Tibiachse sichtbar macht. In der ap-Aufsicht ist die Beurteilung der Chopart-Gelenksachse, der Bona-Jäger-Linie und der Lisfranc-Gelenklinie notwendig. Die Überdeckung des Navikulare über dem Taluskopf ist von entscheidender Bedeutung. Eine Subluxation des Navikulare nach lateral ist ein wichtiger Hinweis auf eine Dysfunktion der Sehne. Arthrotische Veränderungen im TN-Gelenk und/oder im CC-Gelenk haben therapeutische Konsequenzen. Differenzialdiagnostisch ist eine Arthrose des Kahnbeins mit den Keilbeinen und der Metatarsalia mit den Keilbeinen und dem Würfelbein auszuschließen.

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