Übersichtsarbeiten - OUP 02/2019

Die Tibialis-posterior-Insuffizienz

Bei der Aufnahme im seitlichen Strahlengang ist zu beachten, dass der Patient den Fuß plantigrad belastet und keine willkürliche Inversion des Rückfußes vornimmt. In der Seitenansicht wird die Stellung des Calcaneus zur Auftrittsfläche und die Position des Taluskopfes zum Navikulare bewertet. Eine fehlende Darstellung des subtalaren Gelenkes kann auf eine erhebliche Valgusstellung des Rückfußes hinweisen. Schwieriger zu bewerten sind sich plantar öffnende Gelenkspalten des Naviculo-cuneifomre-I-Gelenks und des Tarsometatarsale-I-Gelenks. Trotz gesichertem Nachweises einer Insuffizienz der Tibialis-posterior-Sehne kann das Navikulare korrekt vor dem Taluskopf positioniert sein und die Aufhebung der Längswölbung in der Bona-Jäger-Gelenklinie oder des Lisfranc-Gelenks vorliegen. Eine lateral betonte Arthrose oder ein Klaffen des medialen Anteils des oberen Sprunggelenks kann Ursache eines valgischen Rückfußes auch ohne Fehlfunktion der Tibialis posterior sein. Letztendlich sind Coalitiones des talocalcanearen und calcaneonavicularen Gelenks auszuschließen. Die Röntgenbilder und der klinische Befund können divergieren. Ein klinischer Plattfuß kann radiologisch keine oder wenig Veränderungen aufzeigen.

Sollte klinisch und radiologisch die Diagnose nicht zu sichern sein, ist die Kernspinuntersuchung eine verlässliche Bildgebung zum Nachweis einer Pathologie der Tibialis-posterior-Sehne. Sequenzen in Bauchlage ergeben eine bessere Darstellung der Sehne, die Gabe von Gadolinium stellt degenerative Veränderung in der Sehne besser dar. In den axialen Schichten kann bei korrekter Gantry die Sehne dargestellt werden. Eine begleitende Tenosynovialitis ist als sogenanntes Sehnenhalo erkennbar. Signalanhebungen und somit Grauverfärbungen einer ansonsten regelhaft schwarzen Darstellung der Sehne weisen auf Degenerationen hin, Längsrupturen lassen sich an intratendinöser Flüssigkeit erkennen. Darstellungen von kompletten Rupturen und fehlender Sehnendarstellung in den axialen Schichten sind selten. Der Diagnose-Algorithmus der Kernspinuntersuchung [21] ist nicht deckungsgleich mit der klinischen Stadieneinteilung nach Johnson & Strom[11]. Eine Aussage anhand der Kernspinaufnahmen über mögliche Therapien sollte nicht erfolgen, zu groß ist die Diskrepanz zwischen bildgebenden Veränderungen und klinischem Erscheinungsbild. Kernspintomografisch nachgewiesene komplette Sehnenrupturen mögen keine therapeutische Konsequenz haben, geringe Signaländerungen können mit einem ausgeprägteren, klinischen Erscheinungsbild und notwendigen, therapeutischen Maßnahmen verbunden sein. Computertomografien sind ergänzende Bildgebungen bei knöchernen Fragestellungen (Abb. 3 und 4).

Differenzialdiagnostik

Die Abgrenzung zwischen einem grenzwertigen, physiologischen Pes planovalgus und einer beginnenden Postikussehnendysfunktion ist schwierig. Hier ist die Kernspinuntersuchung in Verbindung mit der klinischen Untersuchung hilfreich. Coalitiones können einen Knick-Plattfuß zur Folge haben. Dieser besteht in der Regel seit Geburt und kann im höheren Alter symptomatisch werden. Auffallend sind die Synchondrosen, also knorpelig-bindegewebige Verschmelzungen des Talus und Calcaneus in Höhe der vorderen und mittleren Facette. Distorsionen können bei zuvor asymptomatischen Knick-Plattfuß schmerzhaft werden. Eine Kernspinuntersuchung mit Nachweis von Ödembildungen ist zielführend. Sehr prominente accessorische Knochen, wie ein Os tibiale externum, können einen Pes planovalgus erscheinen lassen, obwohl er nicht vorliegt. Bei neuromuskulären Erkrankungen mit überwiegend schlaffen Lähmungen kann eine Knick-Plattfuß-Stellung ohne Pathologie der Tibialis-posterior-Sehne bestehen.

Klassifikation

Funk [5] klassifiziert 4 Typen der Sehnenläsion:

  • 1. Avulsion am Insertionspunkt
  • 2. komplette Ruptur
  • 3. inkomplette Ruptur
  • 4. Tenosynovialitis ohne makroskopische Sehnenruptur.

Eine exakte Diagnose, welche Art der Ruptur vorliegt, konnte anhand einer Studie nicht getroffen werden. Die direkte Naht der abgerissenen Sehne war nicht erfolgreich. Die Augmentation der rupturierten Sehnen wies subjektiv und objektiv die besten Ergebnisse auf. Weder Symptome noch das klinische Erscheinungsbild ließen Rückschlüsse auf die Ruptur zu (Abb. 5 und 6).

Vorherrschend und am ehesten praktikabel ist die Klassifikation von Johnson & Strom aus dem Jahr 1989 [11]. Die Einteilung beruht auf 3 klinischen Stadien und wurde von Myerson um das Stadium 4 ergänzt, wenn das obere Sprunggelenk in die Pathologie einbezogen ist. Nach
Mostafa [18] ist die Einteilung bisher nicht auf ihre Validität und Reliabilität hin untersucht worden. Er führt allerdings auch aus, dass die Überprüfung der Klassifikation schwierig bis unmöglich ist. Andererseits haben die verbesserten Diagnosemöglichkeiten, wie eine durchgängige Verfügbarkeit von Kernspinuntersuchungen sowie verbesserte Therapiemöglichkeiten, den Wert dieser Einteilung bisher bewiesen. Die Klassifikation ist ein sinnvoller Algorithmus für die durchzuführenden Therapieformen (Tab. 1).

Therapie

Im Stadium I ist die konservative Therapie indiziert: NSAR, Einlagenversorgung mit erhöhter Längsgewölbestütze und im akuten Zustand eine temporäre Teilbelastung oder Orthesenbehandlung. Bei anhaltenden Beschwerden mit Schwellung des Sehnengleitgewebes kommen eine offene Synovektomie gegebenenfalls ein Sehnendebridment in Betracht. Das Schuhwerk sollte über eine stabile Fersenkappe verfügen. Eine Physiotherapie ist im schmerzfreien oder schmerzarmen Intervall indiziert mit selektiver Kräftigung der langen Beuger und des Gastro-soleus Komplexes.

Im Stadium II werden die medial elevierenden und stabilisierenden Kräfte verbessert. Dies erfolgt einerseits durch die Medialisierung des Achillessehnenansatzes anderseits durch eine Augmentation der insuffizienten Postikussehne. Voraussetzung ist ein flexibler Rückfuß. Da die Achillessehne bei zunehmender Eversion des Rückfußes ihre Kraftentfaltung lateral der zentralen, sagittalen Achse des tibiotalaren Gelenkes ausübt, wird das Fersenbein von lateral zwischen den Peronealsehnen und der Achillessehne quer osteotomiert. Das dorsale Fragment wird um ca. 10 mm nach medial verschoben und durch kanülierte Schrauben oder lateral anliegende Stufenplatten fixiert. Die Achillessehne führt neben einer Plantarflektion jetzt auch eine Rückfußinversion aus. Gut adaptierte Osteotomieflächen gewährleisten eine sehr gute knöcherne Ausheilung. Pseudoarthrosenbildungen sind bei entsprechender Compliance der Patienten sehr selten (Abb. 7).

Während die Verschiebeosteotomie nicht nur die Zugkraftrichtung der Achillessehne, sondern auch die knöcherne Formgebung des Rückfußes korrigiert, wird die Calcaneusverlängerungsosteotomie (Evans-Osteotomie) zur Beseitigung des Vorfußabduktus und somit zur Verlängerung der lateralen Säule des Fußes genutzt. Grundlage ist die 2-Säulen-Theorie des Fußes: medial das Sprungbein, das Kahnbein, die 3 Keilbeine und die ersten 3 Mittelfußknochen; lateral das Fersenbein, das Würfelbein und die beiden äußeren Mittelfußknochen. Durch die Verlängerung des Fersenbeins mit Interposition eines autologen oder homologen Knochenspans rotieren Mittel- und Vorfuß in die Adduktion. Die Osteotomie erfolgt in Höhe des Sinus tarsi (in der klassischen und modifizierten Technik nach Evans). Hintermann [8] empfiehlt die aufklappende Osteotomie in dieser Ebene, um eine CC- Gelenkinkongruenz zu vermeiden und um die Korrektur näher am Rotationszentrum vorzunehmen. Verlängerungs- und Verschiebeosteotomie können einzeln oder kombiniert durchgeführt werden. Die Wahl, welche Methode angewandt wird, richtet sich nach dem klinischen Erscheinungsbild des Fußes und letztendlich der Entscheidung des Behandlers. Metrische Maße oder Winkel, welche die Entscheidung zu einer oder der anderen Therapie veranlassen gibt es nicht. Beiden Osteotomien wird der Vorteil zugesprochen, die Weichteilrekonstruktion an der medialen Seite des Fußes zu unterstützen und zu entlasten. Von den Autoren werden durchgängig die Reihenfolge, zunächst die Osteotomie und danach der Weichteileingriff empfohlen [14].

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