Übersichtsarbeiten - OUP 04/2019

Distale periprothetische Femurfrakturen
Risikofaktoren und aktuelle Behandlungsstrategien

Frank Timo Beil, Christopher Spering, Wolfgang Lehmann

Zusammenfassung:

Periprothetische Frakturen des distalen Femurs sind relativ seltene, aber komplexe
Verletzungen. Der behandelnde Chirurg muss bei der Versorgung dieser Frakturen nicht nur mit den Techniken der Revisionsendoprothetik vertraut sein, sondern auch Erfahrungen in der osteosynthetischen Frakturbehandlung haben. Aufgrund der zunehmenden Lebenserwartung sowie einem hohen Aktivitätsniveau älterer Patienten ist mit einem Anstieg der Inzidenz periprothetischer Frakturen zu rechnen. Die aktuellen Behandlungsoptionen in Form von winkelstabilen Plattenosteosynthesen, Marknagelosteosynthesen sowie modularen Endoprothesensystemen haben die postoperativen Ergebnisse nach distalen periprothetischen Femurfrakturen verbessert.

Schüsselwörter:
distales Femur, periprothetische Fraktur, Knie-TEP, Osteosynthese

Zitierweise:
Beil FT, Spering C, Lehmann W: Distale periprothetische Femurfrakturen.
Risikofaktoren und aktuelle Behandlungsstrategien. OUP 2019; 8: 215–219
DOI 10.3238/oup.2019.0215–0219

Summary: Periprosthetic fractures of the distal femur are relatively rare but complex injuries. The treating
surgeon should not only be experienced in revision arthroplasty, but also in osteosynthetic fracture treatment. Due to increasing life expectancy and a high level of activity of elderly patients, an increase in the incidence of periprosthetic fractures is expected. Current options to treat these fractures range from osteosynthesis using the locking-compression-plate of the distal femur or intramedullary nailing up to modular endoprosthesis systems. These techniques have helped to improve the postoperative results after distal periprosthetic femoral fractures.

Keywords: distal femur, periprosthetic fracture, knee arthroplasty, osteosynthesis

Citation: Beil FT, Spering C, Lehmann W: Distal periprosthetic fractures of the femur. Current concepts in management. OUP 2019; 8: 215–219 DOI 10.3238/oup.2019.0215–0219

Für alle Autoren: Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Plastische Chirurgie, EndoProthetikZentrum der Maximalversorgung, Universitätsmedizin Göttingen

Inzidenz

Die Inzidenz periprothetischer Frakturen bei einliegender Knie-TEP werden nach Primärimplantation mit 0,3–2,5 % und nach Revisionsendoprothetik mit 1,6–38 % angegeben [10,14, 18]. Sie stellen damit die häufigsten periprothetischen Frakturen bei einliegender Knie-TEP im Vergleich zu den tibialen oder patellaren periprothetischen Frakturen dar [18].

Risikofaktoren

Eine bestehende Osteopenie oder Osteoporose ist ein wesentlicher prädisponierender Faktor für das Auftreten periprothetischer Frakturen [10]. Weiterhin stellen Begleiterkrankungen mit einem erhöhten Sturzrisiko wie Epilepsie, Parkinsonerkrankung und Poliomyelitis sowie ein hohes Patientenalter weitere Risikofaktoren dar [2]. Das anteriore femorale Notching wird kontrovers als Risikofaktor diskutiert. In biomechanischen Studien konnte ein anteriores Notching > 3 mm als Ursache für eine reduzierte Flexions- und Torsionsstabilität identifiziert werden [8]. Dies scheint sich aber im klinischem Alltag nicht widerzuspiegeln [11]. Eine Analyse der Scottish Database durch Meek et al. (2011) zeigte ein deutlich erhöhtes Risiko für periprothetische Frakturen bei Frauen über 70 Jahren [9]. In einer Studie von Singh et al. (2013) hingegen, in der 17.000 Patienten nach primärendoprothetischer Knie-TEP-Versorgung und 4000 Patienten nach Revisionsendoprothetik des Kniegelenks analysiert wurden, zeigte sich ein jüngeres Alter mit einer höheren Inzidenz von Frakturen assoziiert [15]. In dieser Studie zeigte sich ein 40 % höheres Risiko für Patienten unter 60 Jahren, wobei dies auf einen höheren körperlichen Aktivitätsgrad zurückgeführt wurde. Bei periprothetischen distalen Femurfrakturen, die nach revisionsendoprothetischen Eingriffen auftreten, zeigte sich eine erhöhte Inzidenz, wenn der Grund für die Revisionsoperation eine Pseudarthrose, periprothetische Infektion oder bereits mehrere Revisionseingriffe in der Vorgeschichte waren [18].

Klassifikation

Für die Klassifikation distaler periprothetischer Femurfrakturen bestehen eine Vielzahl von Klassifikationssystemen. Die am häufigsten angewandte Klassifikation ist die nach Lewis & Rorabeck, welche neben der Frakturklassifikation auch eine mögliche Lockerung der femoralen Komponente miteinbezieht [12]. Nach Lewis & Rorabeck sind Typ-1-Frakturen undislozierte Frakturen, Typ-2-Frakturen um mehr als 5 mm dislozierte Frakturen oder Achsabweichungen um mehr als 5° bei festsitzender Prothese und Typ-3-Frakturen mit gelockerter femoraler Komponente.

Behandlung

Das Ziel der Behandlung von periprothetischen distalen Femurfrakturen ist die Wiederherstellung einer schmerzfreien und stabilen Knieprothese ohne signifikantes residuelles Malalignment. Dabei hängt die Entscheidung zur Wahl der Behandlung vom Zustand der Knieendoprothese ab, d.h., ob die femorale Komponente gelockert oder nicht gelockert erscheint. Weitere Entscheidungskriterien sind das vorliegende Frakturmuster, die Knochenqualität, das Vorhandensein weiterer Implantate im proximalen Bereich (interprothetische Fraktur) sowie die Gesamtkonstitution des Patienten.

Konservative Therapie

Die nicht operative Therapie beinhaltet meist die Anlage eines cast braces. Die Probleme dieser Behandlung liegen in der hohen Rate sekundärer Dislokationen, einem reduziertem Bewegungsausmaß aufgrund der langen Periode der Immobilisation sowie einer erhöhten Rate an verzögerter oder ausbleibender Frakturheilung [18]. Die Pseudarthrosenrate wird mit bis zu 20 % und die verzögerte Frakturheilungsrate mit 23 % angegeben [2]. 35 % der konservativ therapierten Patienten benötigen im Verlauf einen revisionsendoprothetischen Eingriff aufgrund einer Pseudarthrose oder Lockerung der femoralen Komponente oder eines Streckdefizits [10]. Aufgrund dieser Komplikationsraten sollte die konservative Therapie aus Sicht der Autoren nur dann erfolgen, wenn Gründe gegen eine Operation bestehen.

Operative Behandlung

Es bestehen verschiedene chirurgische Optionen, um distale periprothetische Femurfrakturen zu behandeln. Ein Vergleich der verschiedenen chirurgischen Verfahren ist aufgrund der vorliegenden Studien erschwert. Es handelt sich bei den vorliegenden Studien überwiegend um Level-IV-Studien, kleine Fallstudien und Studien mit einem hohen Bias [18].

Retrograde intramedulläre Nagelosteosynthese

Die retrograde intramedulläre Nagelosteosynthese (Abb.1) stellt eine gute Option dar, bei der das operative Weichteiltrauma minimiert werden kann, setzt jedoch die Möglichkeit einer geschlossenen Frakturreposition voraus. Die intramedulläre Nagelosteosynthese erlaubt meist eine frühe Belastbarkeit des betroffenen Beins. Allerdings ist eine intramedulläre Nagelosteosynthese nur bei Oberflächenersatzprothesen möglich. Dabei muss das Design der femoralen Komponente einen retrograden Zugang zum Markraum zulassen. Ausschlusskriterien für eine Nagelosteosynthese sind einliegende gestielte Prothesen, eine Patella baja sowie ein von proximal einliegender Hüft-TEP-Langschaft, da zwischen dem retrograden Nagel und dem proximalen Hüft-TEP-Schaft ein potenzieller stress riser zwischen den Implantaten erzeugt werden kann [17, 18].

Plattenosteosynthese

Bei der offenen Reposition periprothetischer distaler Femurfrakturen und Stabilisierung mittels Plattenosteosynthese werden heutzutage kaum noch nicht winkelstabile Platten verwendet. Die modernen Plattensysteme sind winkelstabil und erlauben eine polyaxiale Schraubenpositionierung. Durch die Polyaxialität und Winkelstabilität kann eine optimale Frakturstabilisierung erzielt werden, ohne die einliegende femorale Komponente der Knie-TEP zu beschädigen (Abb. 2) [7]. Durch die Verwendung winkelstabiler Plattensysteme konnte die Pseudarthrosenrate distaler periprothetischer Femurfrakturen auf 4 % reduziert werden [5]. Die durchschnittliche Zeit bis zur knöchernen Konsolidierung bei Verwendung winkelstabiler Platten beträgt 3,7 Monate [5]. Eine zusätzliche Fixation der winkelstabilen Platten mit Cerclage-Systemen scheint die Zeit bis zur knöchernen Konsolidierung zu reduzieren [4]. Wenn möglich, sollten die winkelstabilen Platten minimal invasiv eingebracht werden, da hierdurch Blutverlust und Weichteilschäden deutlich reduziert werden können [18].

Revisionsendoprothetik

Die Indikation zur Revisionsendoprothetik besteht bei gelockerten Komponenten, Malalignement oder Bandinsuffizienzen bei einliegendem Oberflächenersatz. Liegt eine distale periprothetische Femurfraktur bei einliegendem Oberflächenersatz vor und die Komponenten sind gelockert, erfolgen eine Frakturreposition und Stabilisierung mittels einer gestielten Knie-TEP. Dies ist allerdings nur bei einfachen Frakturen möglich. Bei mehrfragmentären Frakturen muss eher an einen distalen Femurersatz gedacht werden (Abb. 3). Alternativ kann zum Wechsel auf eine gestielte Endoprothese eine plattenosteosynthetische Versorgung additiv erfolgen. Vergleicht man beide Verfahren, also gestielte Knie-TEP versus distalem Fermurersatz, zeigt sich bei älteren Patienten ein identisches postoperatives funktionelles Outcome [13]. Auch der distale Femurersatz weist keine erhöhten Komplikationsraten auf. Im Vergleich zur Plattenosteosynthese zeigen die Patienten eine schnellere Rekonvaleszenz bei gleichzeitig kürzerer OP-Zeit und niedrigem Blutverlust [18].

Komplikationen bei periprothetischen distalen Femurfrakturen

Periprothetische Frakturen sind mit einer hohen Morbidität und Mortalität assoziiert. Dabei beträgt die Mortalität 17 % in den ersten 6 postoperativen Monaten und 30 % im ersten postoperativen Jahr [1, 3, 9]. Vergleicht man die operative Versorgung distaler periprothetischer Femurfrakturen mit der Versorgung distaler Femurfrakturen ohne einliegende Knieprothese, so ist das Mortalitätsrisiko deutlich höher [16]. Weiterhin zeigen die Patienten nach distalen periprothetischen Femurfrakturen auch langfristig postoperativ eine deutliche Einschränkung ihrer Mobilität. Auch das Bewegungsausmaß für Extension/Flexion der einliegenden Knieprothesen zeigt sich nach operativer Versorgung der periprothetischen Frakturen herabgesetzt [6, 18]. Als weitere Komplikationen sind die Pseudarthrosen zu nennen, wobei hier in den kleinen Fallstudien Zahlen von 0–50 % angegeben werden [6, 18]. Vermutet wird, dass geschlossene Repositionen und minimal invasive winkelstabile Plattenosteosynthesen die Rate der Pseudarthrosen verringern [18].

Andere Komplikationen beinhalten periprothetische Infektionen, Verletzungen des Streckapparats, Implantatversagen und sekundäre Dislokation. Zum Auftreten der genannten Komplikationen gibt es keine validen Daten.

Zusammenfassung

Distale periprothetische Femurfrakturen haben erhebliche Konsequenzen für den Patienten und stellen eine technische Herausforderung für den behandelnden Chirurgen dar. Dabei muss der behandelnde Chirurg nicht nur erfahren in der Frakturversorgung, sondern auch in der Revisionsendoprothetik sein. Der überwiegende Anteil der distalen periprothetischen Femurfrakturen kann osteosynthetisch (intramedullärer retrograder Marknagel oder winkelstabile Platten) versorgt werden. Bei gelockerten Prothesen ist ein Wechsel auf gestielte Prothesen notwendig. Erlaubt die Fraktur oder Knochenqualität keinen Wechsel auf eine gestielte Prothese, kommt ein Wechsel auf einen distalen Femurersatz in Frage. Das Ziel jeglicher Behandlung ist die Wiederherstellung eines mobilen Kniegelenks mit regelrechtem Alignement. Die Komplikationsrate bei Patienten mit distalen periprothetischen Femurfrakturen ist hoch, hier sind im Wesentlichen Bewegungseinschränkungen der Knie-TEP sowie Pseudarthrosen zu nennen. Weiterhin besteht nach Auftreten solcher Frakturen eine hohe Mortalität, die mit bis zu 30 % im ersten Jahr angegeben wird.

Zusammengefasst richtet sich die Behandlung der distalen periprothetischen Femurfrakturen nach der Frakturdislokation, der Knochenqualität, der Größe des distalen Fragments und dem Zustand der einliegenden Endoprothese. Aufgrund der demografischen Entwicklungen sowie der hohen Anzahl an Primärimplantation von Knieprothesen ist zukünftig mit einem Anstieg der distalen periprothetischen Femurfrakturen zu rechnen.

Interessenkonflikte:

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Literatur

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3. Dunlop DG, Brenkel IJ: The supracondylar intramedullary nail in elderly patients with distal femoral fractures. Injury 1999; 30: 475–84

4. Ebraheim NA, Sochacki KR, Liu X, Hirschfield G, Liu J: Locking plate fixation of periprosthetic femur fractures with and without cerclage wires. Orthop Surg 2013; 5: 183–7

5. Hassan S, Swamy GN, Malhotra R, Badhe NP: Periprosthetic fracture of the distal femur after total knee arthroplasty; prevalence and outcomes following treatment. J Bone Joint Surg (Br) 2012; 94-B Suppl 24: 6

6. Hoffman MF, Jones CB, Sietsema DL, Koenig SJ, Tornetta P: Outcome of periprosthetic distal femoral fractures following knee arthroplasty. Injury 2012; 43: 1084–9

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9. Meek RMD, Norwood T, Smith R, Brenkel IJ, Howie CR: The risk of peri-prosthetic fracture after primary and revision total hip and knee replacement. J Bone Joint Surg (Br) 2011; 93: 96–101

10. Merkel KD, Johnson EW: Supracondylar fracture of the femur after total knee arthroplasty. J Bone Joint Surg Am 1986; 68: 29–43

11. Ritter MA, Thong AE, Keating EM et al.: The effect of femoral notching during total knee arthroplasty on the prevalence of postoperative femoral fractures and on clinical outcome.
J Bone Joint Surg Am 2005; 87: 2411–4

12. Rorabeck CH, Taylor JW: Classification of periprosthetic fracturescomplicating total knee arthroplasty. Orthop Clin North Am 1999; 30: 209–14

13. Saidi K, Ben-Lulu O, Tsuji M, Safir O, Gross AE, Backstein D: Supracondylar periprosthetic fractures of the knee in the elderly patients: a comparison of treatment using Allograft-Implant Composites, Standard Revision Components, Distal Femoral Replacement Prosthesis. J Arthroplasty 2014; 29: 110–4

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16. Streubel PN, Ricci WM, Wong A, Gardner MJ: Mortality after distal femur fractures in elderly patients. Clin Orthop Relat Res 2011; 469: 1188–96

17. Weiser L, Korecki MA, Sellenschloh K et al.: The role of inter-prosthetic distance, cortical thickness and bone mineral density in the development of inter-prosthetic fractures of the femur: a biomechanical cadaver study. Bone Joint J 2014; 96-B: 1378–84

18. Whitehouse MR, Mehendale S: Periprosthetic fractures around the knee: current concepts and advances in management. Curr Rev Musculoskelet Med 2014; 7: 136–44

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Frank Timo Beil

Universitätsmedizin Göttingen

Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Plastische Chirurgie

Robert-Koch-Straße 40

37075 Göttingen

frank-timo.beil@med.uni-goettingen.de

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