Übersichtsarbeiten - OUP 02/2019

Ein Update über den kindlichen Fuß

Johannes Hamel

Zusammenfassung:
Der Autor gibt einen Überblick über die Publikationen und Buchbeiträge zu Themen des kindlichen Fußes und Sprunggelenks, die von 2010–2017 erschienen sind. Berücksichtigt wurden – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – besonders Arbeiten mit praktischer Relevanz für den Therapeuten. Der idiopathische Klumpfuß und die flexiblen und rigiden Planovalgusdeformitäten bei Coalitio-Patienten nehmen den größten Raum ein. Der Autor gewichtet und kommentiert die wesentlichen Ergebnisse aus seiner eigenen Erfahrung.

Schlüsselwörter:
kindliche Fußdeformitäten, Klumpfuß, kindlicher Pes planovalgus

Zitierweise:
Hamel J: Ein Update über den kindlichen Fuß. OUP 2019; 8: 082–88
DOI 10.3238/oup.2019.0082–0082–0088

Summary: The author presents a review on articles and books dealing with pediatric foot and ankle problems published from 2010 to 2017. Especially those papers were included from a subjective point of view that have practical impact for treatment modalities. The overview is dealing mainly with idiopathic clubfoot, flexible and rigid pediatric pes planovalgus deformity in tarsal coalition. The author comments on the most important results.

Keywords: pediatric foot deformities, clubfoot, pediatric pes planovalgus

Citation: Hamel J: An update on pediatric foot and ankle problems. OUP 2019; 8: 082–88
DOI 10.3238/oup.2019.0082–0088

Schön Klinik München Harlaching

Nach den z.T. extremen Änderungen der Therapiekonzepte in den Jahren nach 2000 (Verbreitung der Ponseti-Technik und der Arthrorisen, Ausschöpfung der durch die 3-D-Bildgebung eröffneten Möglichkeiten u.a.) ist die Zeit seitdem gekennzeichnet durch eine weitere Verfeinerung der Indikationen, wichtige Detailerkenntnisse, die Bestätigung bereits bekannter Zusammenhänge, aber auch weitere echte Neuerungen. Hier wird ein Überblick über die Literatur seit 2010 – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – mit Gewichtung und Kommentierung aus der Sicht des Autors vorgestellt, wobei neuroorthopädische Fragestellungen weniger berücksichtigt werden.

Im Gegensatz zur Vielzahl der in den letzten Jahren erschienenen Lehrbücher zum Thema Fuß und Sprunggelenk sind die Neuerscheinungen speziell zum kindlichen Fuß überschaubar. Neben Einzelkapiteln in deutschsprachigen Lehrbüchern – z.B. im „Kursbuch“ (2016, Hrsg. S. Rammelt) und den Werken zur Vorfußchirurgie (2010, Hrsg. D. Sabo) und Rückfußchirurgie (2017, Hrsg. D. Sabo und S. Rammelt) – sind nach den „Klassikern“ (S. Coleman 1983, M. O. Tachdjian 1985, 2. Aufl. 1990, J. C. Drennan 1992, das 4-bändige deutschsprachige Werk von L. Döderlein et al. 1999–2004) – eigentlich nur 2 neuere Werke zu nennen: Die 2., völlig veränderte Auflage von „Drennan’s The Child’s Foot & Ankle“ (2010, Hrsg. J. J. McCarthy und J. C. Drennan) [45] mit vielen Einzelautoren und „Principles and Management of Pediatric Foot and Ankle Deformities and Malformations“ (2014, V. Mosca) [51], ein sehr bemerkenswertes Werk, das die jahrzehntelange Erfahrung und die daraus abgeleiteten Prinzipien eines Einzelautors zusammenfasst. Die unkonventionelle Gliederung des Buchs bedarf einiger Gewöhnung; jedoch ist kaum ein Aspekt auch zu den selteneren Entitäten ausgespart, und der Text ist sehr gut durch Abbildungen illustriert. Neu sind z.B. die Einführung des „foot-CORA“ [50], abgeleitet aus der Extremitätenrekonstruktion, und die Darstellung der vielfältigen Korrekturmöglichkeiten im Bereich des Os cuneiforme mediale. Ein sehr ausführliches Fuß- und Sprunggelenks-Kapitel („Disorders of the Foot“ [61]) findet sich im kinderorthopädischen Gesamtwerk „Tachdjians Pediatric Orthopedics“ (2014).

Eine Auswahl wichtiger Publikationen zu Aspekten des kindlichen Fußes aus der umfangreichen Literatur soll nun nach Themengebieten vorgestellt werden:

Idiopathischer Klumpfuß

Die neuere Literatur bestätigt praktisch ausnahmslos die – im Vergleich zu früheren Konzepten – guten Ergebnisse der Ponseti-Therapie: Die Primärkorrekturrate geht – außer beim atypischen Klumpfuß – gegen 100 %, eine Tenotomie der Achillessehne sollte großzügig fast in allen Fällen indiziert und ggf. auch wiederholt werden, die Schienen-Compliance ist das Hauptproblem des Konzepts, es ist mit ca. 30 % bis über 40 % Rezidiven zu rechnen, häufig mit der Notwendigkeit eines sekundären Tibialis-anterior-Sehnentransfers. Wer mit mehr oder weniger Eigenerfahrung in der Ponseti-Primärtherapie von den Erkenntnissen eines langjährigen Anwenders profitieren möchte, dem kann der Übersichtsartikel von Radler [57] empfohlen werden. Hier werden viele Tipps und praktische Handlungsanweisungen zusammengefasst. Die Details zu Indikation und Durchführung der nicht selten erforderlichen Rezidivbehandlung finden sich bei Radler und Mindler [58]. Zionts et al. [68] ermittelten in einer Umfrage unter Kinderorthopäden in den USA, dass die Ponseti-Therapie das frühere peritalare Release nahezu vollständig ersetzt hat. Smith et al. [64] verglichen die Ergebnisse beider Konzepte und fanden eine deutliche Überlegenheit der Ponseti-Therapie. Auch komplexe, atypische Klumpfüße lassen sich mit einem modifizierten Ponseti-Konzept mit z.T. guten Ergebnissen behandeln, sodass auch sie zumindest nicht mehr primär-operativ therapiert werden sollten [14].

Manche Detailanalysen zur Ponseti-Therapie sind von praktischer Relevanz für den Anwender, „surgeons are now learning the limitations of this method“, wie Norris Carroll in einem Überblick [9] anmerkte: Kang und Park [33] konnten zeigen, dass ein seitliches Röntgenbild zur Evaluation des Fersenhochstands der rein klinischen Beurteilung überlegen ist. Eine gewisse Tendenz zum Fersenhochstand ist nach der Ponseti-Behandlung nicht selten zu beobachten und in seiner klinischen Relevanz noch nicht abschließend beurteilbar. Hosseinzadeh et al. [31] beschreiben, dass die Notwendigkeit einer später erforderlichen operativen Behandlung sich bereits am Korrektureffekt nach Primärtenotomie absehen lässt, mit der Konsequenz, eine 2. Tenotomie im Zweifel eher großzügig zu indizieren. Jauregui et al. [32] gingen der Frage nach, ob und wann im Rahmen eines sekundären dorsalen Releases die Kapsel des oberen Sprunggelenks einbezogen werden sollte, und fanden heraus, dass der erreichte Zugewinn in der Regel gehalten werden kann. Mosca [51] beschreibt die perkutane Tenotomie der langen Zehenflexoren als nicht selten indizierte zusätzliche Weichteilkorrektur beim idiopathischen Klumpfuß. George et al. [19] wiesen die Überlegenheit der Abduktionsschiene über einseitige Schienen nach. Moon et al. [48] aus der Arbeitsgruppe um Dobbs konnten erhebliche und vermutlich für das Ergebnis entscheidende Muskel-Hypoplasien bei therapieresistenten Klumpfuß-Patienten kernspintomografisch nachweisen.

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