Übersichtsarbeiten - OUP 02/2019

Ein Update über den kindlichen Fuß

Immer wieder erscheinen seit den 90er-Jahren Arbeiten zur sonografischen Stellungsdiagnostik am idiopathischen Klumpfuß. Beim 6. Klumpfuß-Weltkongress in Prag 2011 behandelten immerhin 6 von 65 Beiträgen sonografische Themen. Zwar hat sich dieses diagnostische Verfahren in der täglichen Praxis nicht allgemein durchgesetzt; die mit heutigen Geräten möglichen Detaildarstellungen sind jedoch durchaus überzeugend, vermitteln einen vertieften Eindruck der Pathomorphologie [47] und können z.B. einen Hinweis auf drohende Rezidivneigung geben [16]. Hamel [24] legte sonografische Verlaufsuntersuchungen Ponseti-behandelter Klumpfüße bis ins Vorschul- und frühe Schulalter vor. Er konnte zeigen, dass die vollständige Korrektur entgegen dem klinischen Eindruck z.T. erst während der Schienenphase erreicht wird und eine günstige Entwicklung der Talusform zu beobachten ist. Nach Absetzen der Schiene kam es zu leichten Korrekturverlusten in der Talonavicular-Region.

Der Ausreifung des oberen Sprunggelenks und der Talusform wird vermehrte Aufmerksamkeit gewidmet: Burghardt et al. [8] und Hamel [22] beschrieben neben den bekannten supramalleolären Valgus-Deformitäten und dem flat top talus weitere Formstörungen des Tibiotalargelenks. Al-Aubaidi et al. [1] stellten eine retrospektive Analyse nach ventraler Hemiepiphyseodese zur Verbesserung der Dorsalextension vor mit klinisch nicht ganz überzeugenden Ergebnissen. Dagegen steht mit der medialen Hemiepiphyseodese (s.u.) ein bewährtes wachstumslenkendes Verfahren zur Korrektur in der Frontalebene zur Verfügung [65, 63]. Kolb et al. [38] differenzieren unterschiedliche Talusradien und -größen mit ihrer funktionellen Bedeutung für die OSG-Beweglichkeit.

Unter den Ergebnismitteilungen nach Klumpfußbehandlung erscheinen aktuell zunehmend ganganalytische Untersuchungen. Ein guter Überblick über die bereits umfangreiche Literatur findet sich bei Wallace et al. [66], die sich mit den durch die Tibialis-anterior-Versetzung erzielten, deutlichen Veränderungen der Druckverteilung beschäftigen. Die Pedografie scheint das sensibelste Verfahren zu sein, mit dem die persistierenden leichten Funktionsstörungen z.B. auch nach Ponseti-Therapie zu erfassen sind [34]. Sie beschreiben u.a. signifikant verminderte Druckwerte im Fersen- und Metatarsale-I-Bereich gegenüber Normalfüßen. Lampe et al. [39] zogen aus einer pedografischen Langzeituntersuchung Rückschlüsse auf die Gelenk-Biomechanik.

Auch mit primär-operativen Konzepten wurden klinisch-gute Langzeitergebnisse erreicht, wie z.B. Alkar et al. [2] für Patienten zeigen konnten, die mit dorsomedialem Release primärbehandelt wurden. Eine neue Arbeit zu den Ergebnissen der „französischen Methode“, einem primär-konservativen Behandlungskonzept (ohne Achillotenotomie), berichtet von immerhin 45,5 % ausgedehnter operativer Korrekturnotwendigkeit [60]. Da in Deutschland bis vor etwa 10 Jahren das peritalare Release noch weitverbreitet war, werden in der klinischen Praxis immer noch kindlich-jugendliche Patienten mit schweren Überkorrekturen nach operativer Primärbehandlung gesehen, eine der Spätkomplikationen dieser Verfahren. Hamel [25] sowie Hamel und Nell [26] beschäftigten sich mit den klinischen und pedografischen Phänomenen dieser komplexen Fälle.

Sichel-/Serpentinenfuß

Es finden sich kaum neuere Arbeiten zur Sichelfuß-Therapie. Mosca [51] sieht im Os cuneiforme mediale den idealen Korrekturort für den Pes adductus, wie auch für einige andere Deformitäten. Feng und Sussmann [17] empfehlen multiple Metatarsalbasis-Osteotomien in Kombination mit einer Cuneiforme-mediale-Korrektur, ein Konzept, das sich laut dem Autor im späten Kleinkind- und frühen Schulalter sehr bewährt hat. Knörr et al. [37] beschreiben ein minimalinvasives Vorgehen mit ebenfalls Metatarsalbasis-Osteotomien und perkutanem Weichteileingriff am 1. Tarsometatarsal-Gelenk ohne Cuneiforme-mediale-Osteotomie mit guten Ergebnissen.

Talus verticalis

In Anlehnung an die Ponseti-Behandlung des idiopathischen Klumpfußes wurde von Dobbs das „reversed Ponseti“-Konzept entwickelt, eine redressierende Korrektur mit nachfolgender Achillotenotomie und limitiertem operativen Release am Talonaviculargelenk, einschließlich temporärer K-Draht-Stabilisierung. Mit diesem neuen und gegenüber den zuvor einheitlich empfohlenen ausgedehnten Release-Maßnahmen völlig anderen Behandlungskonzept, mit dem zumindest für einen Teil der Fälle sehr gute Ergebnisse zu erzielen sind, beschäftigen sich Autoren aus der Arbeitsgruppe des Inaugurators: Chalayon et al. [11] sowie Yang und Dobbs [67] mit mittelfristigen guten Ergebnissen.

In Deutschland hat Eberhardt über Erfahrungen mit diesem neuen Verfahren berichtet [15] und radiologische Kriterien entwickelt, die eine Voraussage zulassen, in welchen Fällen von einer erfolgreichen minimalinvasiven Behandlung auszugehen ist [14]. Ramanoudjame et al. [59] konnten zeigen, dass ein chirurgisches Release sich erfolgreich auf die Chopart-Region beschränken kann, ohne den gesamten Peritalar-Komplex zu adressieren.

Flexible Planovalgus-
Deformitäten

Der kindliche Knicksenkfuß in seinen schweren Ausprägungen wird immer noch sehr unterschiedlich beurteilt. Ganganalytisch konnten Hösl et al. [30] signifikante funktionelle Auffälligkeiten beim kindlichen lockeren Knicksenkfuß nachweisen. Park et al. [56] untersuchten die Spontankorrektur-Tendenz im Schulalter quantitativ anhand von radiologischen Befunden und lieferten zumindest Anhaltspunkte in dieser praktisch wichtigen Frage.

Ein wissenschaftlicher Wirkungsnachweis nicht-operativer Behandlungsmaßnahmen scheint weiterhin auszustehen [41]. Operative Behandlungsmaßnahmen, z.B. Weichteilkorrekturen für jüngere Kinder, werden allgemein weiterhin nicht empfohlen. Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen man Kinder im Schulalter mit persistierenden Planovalgus-Deformitäten operativ versorgen soll, wird vollständig gegensätzlich beantwortet: Während amerikanische Kinderorthopäden [53] ausschließlich bei konservativ nicht behandelbaren Beschwerden („symptomatic flatfoot“) eingreifen und wachstumslenkende Arthrorisen (Sinus tarsi-Implantate) weitgehend ablehnen, werden in Mitteleuropa und bei den amerikanischen Podiatern wachstumslenkende Verfahren z.T. als reine Formkorrektur auch ohne wesentliche Beschwerden empfohlen. Bauer et al. [4] sichteten die Literatur zum kindlichen Plattfuß von 2011–2014. Erstmals wird in diesem nordamerikanischen Überblick führender Kinderfuß-Spezialisten die in Mitteleuropa verbreitete Calcaneostop-Arthrorise (s.u.) zumindest zur Kenntnis genommen. Diese wohl auch etwas pauschale Ablehnung der Berechtigung von Arthrorisen erscheint aus Sicht des Autors in Anbetracht der überwiegend guten publizierten Ergebnisse nicht ganz nachvollziehbar, insbesondere auch unter Berücksichtigung des immensen Interesses, das dem Erwachsenen-Plattfuß mittlerweile fußchirurgisch entgegengebracht wird. So berichtet z.B. auch Hansen [29], der über Erfahrung mit allen Altersgruppen verfügt, dass nicht selten bereits jüngere Erwachsene mit symptomatischem Pes planovalgus, der bereits in der Kindheit bestand, behandlungsbedürftig sind. Ein wichtiger Faktor in dieser Diskussion ist die Verkürzung der Wadenmuskulatur, die im Zusammenhang mit der flexiblen Planovalgusdeformität nach Mosca [53] häufig zu Beschwerden führt. Sie wird nach der Beobachtung des Autors mit unterschiedlicher Ausprägung häufig beobachtet; ihre Behandlungsbedürftigkeit etwa im Zusammenhang mit der Arthrorise (s.u.) allerdings unterschiedlich beurteilt.

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