Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2016

Einfluss des Alters in der Frühbehandlung einer schweren Hüftdysplasie auf die Pfannendachentwicklung

Die Behandlung erfolgte immer in Sitz-Hock-Stellung mit 100–110° Flexion, 50° Abduktion und begann zum Zeitpunkt der Diagnose oder innerhalb von 24 Stunden unmittelbar danach. Alle Patienten wurden 2-mal sonografisch nachuntersucht. Die erste Nachuntersuchung erfolgte durchschnittlich nach 48 Tagen, die zweite durchschnittlich nach 109 Tagen.

Das Patientenkollektiv wurde retrospektiv in 3 Gruppen unterteilt:

Gruppe 1: Die Diagnose wurde vor dem 11. Lebenstag gestellt.

Gruppe 2: Die Diagnose fand zwischen dem 11. und dem 42. Lebenstag statt.

Gruppe 3: Die Diagnose fand nach dem 42. Lebenstag statt.

Die Unterteilung der Gruppen erfolgte willkürlich und zwar unter Berücksichtigung der von Matthiessen beschriebenen Reifungskurve des Hüftgelenks, bei welcher eine Halbwertzeit von 6 Wochen abgeleitet worden ist. Durch diese Unterteilung wurde jeder Gruppe eine Gesamtzahl von 24 Patienten zugewiesen. Die Azetabulumreifung sowie das Maturationspotenzial (? Alpha-Winkel) wurden berechnet und mit dem Zeitpunkt der Diagnose in Verbindung gesetzt. Die statistische Analyse sowie die mathematische Ableitung der Reifungskurve wurde mit der Graph Pad Prism Software 5 durchgeführt (GraphPad Software, Inc., San Diego, CA, USA).

Ergebnisse

Der Durchschnittswert des Alpha-Winkels für das gesamte Patientenkollektiv betrug bei der Diagnosestellung 37,5° (SD ± 4,4°) und bei der letzten Nachuntersuchung 65,7° (SD ± 5,7°). In der Gruppe 1 betrug der Durchschnittswert des Alpha-Winkels 36,4° (SD ± 4,4°) bei der Diagnosestellung und 65,6° (SD 5,5°) bei der letzten Nachuntersuchung. In der Gruppe 2 betrug der Durchschnittswert des Alpha-Winkels 37,2° (SD ± 4,1°) bei der Diagnosestellung und 65,6° (SD 3,8°) bei der letzten Nachuntersuchung. In der Gruppe 3 betrug der Durchschnittswert des Alpha-Winkels 39,2° (SD ± 5,6°) bei der Diagnosestellung und 59,7° (SD 7,1°) bei der letzten Nachuntersuchung. Die Varianzanalyse (ANOVA) des erreichten Alpha-Winkels der 3 Gruppen war signifikant (p < 0,001). Bei der letzten Nachuntersuchung, die durchschnittlich nach 109 Tagen erfolgte (Gruppe 1 = 104 Tage, Gruppe 2 = 109 Tage, Gruppe 3 = 113 Tage), betrug der Wert des Alpha-Winkels > 60°: bei 91,3 % der Hüften der Gruppe 1, bei 62,5 % der Hüften der Gruppe 2 und bei 48,7 % der Hüften der Gruppe 3. (Abb. 1). In der statistischen Auswertung zeigte sich eine starke Korrelation (p < 0,001) zwischen der Alpha-Winkel-Zunahme (Azetabulumreifung) und dem Alter bei Diagnosestellung und Behandlungsbeginn (Abb. 2), während keine statistisch signifikante Korrelation zwischen Geschlecht (p = 0,81), betroffener Seite (p = 0,72) und Behandlungsdauer (p = 0,86) (Abb. 3) vorhanden war. Die Parametrisierung der Wachstumskurve des Azetabulums von den behandelten Typ-III-Hüften in unserem Patientengut ergab die Funktion:

? = f(t) = 33,34° + 31,66° * (1-e-t/9,348)

mit einer Halbwertszeit von 6,48 Wochen (Abb. 4).

Diskussion

Mit der Unterteilung des Patientenkollektivs unserer Studie in 3 verschiedene Säuglings-Altersgruppen konnte – bei der statistischen Verarbeitung der Ergebnisse – nachgewiesen werden, dass, bei gleicher Diagnose (Typ-III-Hüften) und gleicher Behandlung (Sitz-Hock-Stellung), die Säuglinge die besten Ergebnisse (91,3%) gezeigt haben, die bei Behandlungsbeginn jünger als 11 Lebenstage waren. Im Gegensatz dazu zeigten Säuglinge, die älter als 6 Wochen waren, nur in 48,7 % der Fälle normale Hüftwerte. Dieses statistisch signifikante Ergebnis (p < 0,001) ist der Nachweis, dass eine möglichst „frühe“ Frühbehandlung, d.h. innerhalb der ersten 11 Lebenstage, bei schweren Dysplasien eine sichere Behandlungsstrategie darstellt. Die Verzögerung des Therapiebeginns hat einen großen Einfluss auf den Therapieerfolg. Dies wird durch den exponentiellen Verlauf der Reifungskurve verdeutlicht, die in dieser Studie für Typ-III-Hüften parametrisiert wurde: In den ersten 6 Wochen ist die Tangente (Wachstumsgeschwindigkeit) der Reifungskurve steil, zwischen der 6. und der 18. Woche wenig ansteigend und nach der 18. Woche nahezu flach gestaltet (Abb 4a). Konkret heißt das, dass diejenigen dysplastischen Hüften nicht vom maximal möglichen Behandlungserfolg profitieren, die nicht so früh wie möglich behandelt werden. Das Erreichen einer korrekten Pfannenformgebung, die von einem Alpha-Winkel von > 60° definiert ist, ist eindeutig zeitabhängig. Nach einer ähnlichen durchschnittlichen Nachuntersuchungszeit (Gruppe 1 = 104 Tage, Gruppe 2 = 109 Tage, Gruppe 3 = 113 Tage) erwiesen sich in unserem Patientengut nur 9 % der in Sitz-Hock-Stellung behandelten Hüften von Gruppe 1 als noch unreif, während es in der Gruppe 3 mehr als die Hälfte waren.

Die Dauer der Behandlung war in den 3 Gruppen einheitlich. Eine direkte Korrelation zwischen der Therapiedauer und der knöchernen Pfannendachreifung war nicht vorhanden (p = 0,864). Dies ist dadurch erklärbar, dass nicht die Dauer der Therapie, sondern der Zeitpunkt des Therapiebeginns ausschlaggebend ist. Anders gesagt: Bei einer spät diagnostizierten schwer dysplastischen Hüfte ist weniger Heilungspotenzial zu erwarten. In dieser Weise ist die Signifikanz (p < 0,001) der Varianzanalyse (ANOVA) des erreichten Alpha-Winkels der 3 Gruppen zu beurteilen. Bei den Säuglingen, die die Therapie nach der 6. Woche begonnen hatten, wurde im Durchschnitt keine ausreichende knöcherne Pfannenformgebung erreicht (Alpha-Winkel = 59°).

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