Übersichtsarbeiten - OUP 05/2023

Fahrtauglichkeit unter Schmerzmedikamenten

Stefan Middeldorf

Zusammenfassung:
Der Paragraph 2 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) definiert den maßgeblichen Anteil der Verantwortlichkeit für jeden Fahrzeugführer: Wer sich nicht sicher im Verkehr bewegen kann und eine Gefährdung für sich oder andere darstellt, muss auf das Führen eines Kraftfahrzeuges verzichten. Hierbei wird die Einnahme von Medikamenten nicht anders zu bewerten sein, als Symptome, die durch einen schweren grippalen Infekt oder eine Magen-Darm-Störung hervorgerufen werden. Die Beurteilung dauerhaft medikamentös mit Schmerzmitteln behandelter Kraftfahrerinnen und Kraftfahrer hinsichtlich des Vermögens einer sicheren Teilnahme am Straßenverkehr ist komplex und bedarf unter Einschluss grundsätzlicher Überlegungen im Regelfall zudem eine einzelfallorientierte Betrachtung und ggf. auch Begutachtung. Dabei können die typischen unerwünschten Wirkungen der meisten Schmerzmedikamente, insbesondere WHO II und III, potenziell und in der Regel nur temporär, ebendiese Fahreignung in Frage stellen, auf der anderen Seite kann die Einnahme von Schmerzmitteln die Teilnahme am Straßenverkehr erst ermöglichen. Die Fahrtüchtigkeit kann insbesondere beeinträchtigt sein bei Eindosierung, Substanzwechsel, Dosiswechsel, Ergänzung von Komedikation und auch bei Absetzen von Substanzen. Hier kann eine Dauer von 2 Wochen für den Verzicht, ein Kraftfahrzeug zu führen, als sinnvoll angesehen werden. Der Anspruch an Sicherheit ist bei der Fahrerlaubnisgruppe 2 (Berufskraftfahrer, Busfahrer, Fahrgastbeförderung) nochmals höher anzusetzen. Ein hohes Maß an charakterlicher Eignung wird in diesem Zusammenhang von der Verkehrsteilnehmerin/dem Verkehrsteilnehmer gefordert. Richtungsweisende Publikationen existieren hierzu aus der Feder der Arbeitsgruppe Beurteilungskriterien der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie (DGVP).

Schlüsselwörter:
Fahrtauglichkeit, Medikamente, Schmerz

Zitierweise:
Middeldorf S: Fahrtauglichkeit unter Schmerzmedikamenten
OUP 2023; 12: 223–230
DOI 10.53180/oup.2023.0223-0230

Summary: Paragraph 2 of the Driving License Ordinance (FeV) defines the relevant share of responsibility for every vehicle driver: Those who cannot move safely in traffic and pose a risk to themselves or others must refrain from driving a motor vehicle. The taking of medication should not be assessed differently from symptoms caused by a severe flu-like infection or gastrointestinal disorder. The assessment of drivers who have been treated with painkillers on a long-term basis with regard to their ability to safely participate in road traffic is complex and, including fundamental considerations, generally also requires a case-by-case approach and, if necessary, an assessment. The typical undesirable effects of most pain medication, especially WHO II and III, can potentially and usually only temporarily put this fitness to drive into question. On the other hand, taking painkillers can make driving possible in the first place. The ability to drive can be impaired in particular when dosing, changing substances, changing doses, supplementing co-medication and also discontinuing substances. A period of 2 weeks for not driving a motor vehicle can be considered useful here. The requirement for safety is to be set even higher for driving license group 2, professional drivers, bus drivers, passenger transport. In this context, road users are required to have a high level of character aptitude. There are trend-setting publications penned by the assessment criteria working group of the German Society for Traffic Psychology (DGVP).

Keywords: Fitness to drive, pain, medication

Citation: Middeldorf S: Fitness to drive under pain medication
OUP 2023; 12: 223–230. DOI 10.53180/oup.2023.0223-0230

Schön Klinik Bad Staffelstein, Orthopädische Klinik

Einleitung

Dem Thema Fahrtauglichkeit unter Medikamenten wollen wir uns zunächst historisch nähern, und dies zum einen bei der Betrachtung der Entwicklung von Kraftfahrzeugen und deren Einsatz, darüber hinaus bezugnehmend auf den Einfluss von Genussmitteln und Drogen, die vermutlich schon immer den Straßenverkehr, auch schon zu Zeiten von Pferden und Kutschen als Fortbewegungsmittel, beeinflusst haben.

Der Autopionier Karl Benz (1844–1929) hatte als erster Deutscher 1888 eine Fahrerlaubnis. Dass es mit dem Führen eines Fahrzeugs nicht ganz einfach war, zeigt die Gründung der ersten deutschen Autolenkerschule 1904 in Aschaffenburg. Zugelassen waren Männer ab 17 Jahren, das Motto war: „Wider das unbesonnene Lenken“.

Natürlich gab es auch Versuche, die Gefährdungen, die der Straßenverkehr in sich trug, zu minimieren. Beispiel hierfür ist der sog. Red Flag Act von 1865–1896 zur Vermeidung von Unfällen mit Dampfwagen in Großbritannien, diese durften maximal 4 mph (Meilen pro Stunde), entsprechend 6,4 km/h fahren, innerorts sogar nur 2 mph. Zwei Personen hatten das Fahrzeug zu führen, vorangehen musste ein Fahnenträger mit einer roten Flagge. Trotzdem starben im Jahre 1875 in Großbritannien 1589 Menschen in der Folge von Straßenverkehrsunfällen mit Dampfwagen und Lokomotiven.

Nun zeigen die Statistiken erfreulicherweise einen kontinuierlichen Rückgang von Getöteten und Verletzten im Straßenverkehr, was natürlich auch der zunehmenden Qualität und Vorhandensein von sicherheitsrelevanten Bauteilen zuzuschreiben ist, ebenso einen deutlichen Rückgang von Verkehrsunfällen unter Alkoholgenuss.

Lassen Sie uns auch einen kurzen Blick auf Tempolimits lenken. So galt für das Jahr 1939 in Deutschland, dass PKW innerorts 60 km/h fahren durften, außerorts 10 km/h. 1953 wurden sämtliche Höchstgeschwindigkeiten aufgehoben, 1957 galt 50 km/h innerorts. Bis Anfang der siebziger Jahre galt außerhalb geschlossener Ortschaften auf für alle Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer zugänglichen Straßen, dass mit beliebiger Geschwindigkeit gefahren werden durfte; zu einer Reduktion der Tempi führten im Weiteren Treibstoffeinsparungen und die Einführung von Richtgeschwindigkeiten. Der amerikanische Fahrzeughersteller Tucker führte 1948 den Zweipunktgurt ein, in Anlehnung an Gurtsysteme aus den Flugzeugen, 1959 wurde der Dreipunktgurt bei Volvo eingeführt, der Volvo PV 544 war der erste PKW mit serienmäßigem Dreipunktgurt. Es stimmt übrigens nicht, dass es den Airbag zuerst in der Mercedes S-Klasse W 126 gab, sondern im 1974 Oldsmobil-Tornado, somit in den USA.

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