Übersichtsarbeiten - OUP 11/2014

Geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung nach proximaler Femurfraktur
Kurz- und langfristige Ergebnisse einer prospektiven StudieShort and long term results of a prospective study

Zum Entlasszeitpunkt aus der Akutklinik bestand noch ein erhebliches Defizit im Vergleich zur Situation vor dem Unfall (83; 95 % CI 78–88 vs. 52; 95 % CI 46–58 Punkte; p < 0,001). Auch wenn sich die Patienten bis zur Entlassung aus der Geriatrie deutlich verbessern konnten (65; 95 % CI 59–71 Punkte; p < 0,001), wurde das prätraumatische Niveau nicht erreicht (p < 0,001). Im weiteren Verlauf traten keine wesentlichen Veränderungen mehr auf (6 Monate: 68; 95 % CI 60–75 Punkte; p = 0,353; 12 Monate: 69; 95 % CI 62–77 Punkte; p = 0,119), ohne dass die prätraumatische Funktion wieder erreicht wurde (p < 0,001) (Abb. 3).

Wohn- und Pflegesituation

Vor dem Unfall lebten 8 % der Patienten im Pflegeheim. Bis 6 Monate nach dem Unfall stieg der Anteil der Patienten nicht signifikant (p = 0,063) auf 13 % an. Im weiteren Studienverlauf ergaben sich keine wesentlichen Änderungen (Tab. 3).

Gemessen an der Pflegestufe zeigte sich eine deutliche Zunahme des Pflegebedarfs. Während vor dem Unfall nur 21 % der Patienten eine anerkannte Pflegestufe (alle Pflegestufe 1) hatten, waren es nach 6 Monaten 61 % der Patienten (p < 0,001). Bis 12 Monate nach dem Unfall traten keine wesentlichen Veränderungen mehr auf (p = 0,500). Es bestanden tendenziell höhere Pflegestufen (Tab. 3).

Diskussion

Die durchgeführte Untersuchung zeigte gute und nachhaltige Ergebnisse der akutgeriatrischen rehabilitativen Komplexbehandlung gemessen am funktionellen Gewinn der Patienten mit proximaler Femurfraktur. Sie bestätigte jedoch auch die zunehmende Pflegebedürftigkeit im langfristigen Verlauf.

Die Patientencharakteristika der untersuchten Subgruppe entsprachen denen anderer Studien zu proximalen Femurfrakturen. Allerdings waren die Patienten im Vergleich zur Population der Gesamtstudie etwas weniger morbide und funktionell sowie kognitiv weniger eingeschränkt [9]. Dies könnte ein Indiz für eine Selektion der Patienten im Hinblick auf den Zugang zu geriatrischen Weiterbehandlung sein.

Trotz des hohen Alters und der Komorbidität musste keiner der Patienten aufgrund einer allgemeinen Komplikation oder Problemen mit der operierten Hüfte verlegt werden. Ebenso verstarb kein Patient. Wir sehen hierin eine Bestätigung, dass dieses Patientengut besonders auch von einer internistisch-geriatrischen Behandlung profitiert.

Passend zu vorherigen Studien verbesserten sich die Barthel-Werte während der Rehabilitation und verschlechterten sich im Verlauf nicht (Abb. 3) [18]. Dies verdeutlicht den Erfolg der Behandlung unter funktionellen Gesichtspunkten. Von großer Bedeutung scheinen dabei die geriatrischen und sozialen Assessments, die weniger auf die Funktion des betroffenen Gelenks, als vielmehr auf die Mobilität und Selbsthilfefähigkeit in Bezug auf die bisherige soziale Situation abzielen [14]. Ein weiterer entscheidender Aspekt in den Anforderungen nach geriatrischen Komplexbehandlung (OPS 8–550) ist der interdisziplinäre und interprofessionelle Behandlungsansatz (Tab. 1a-b) [14].

Bezogen auf die Häufigkeit einer Pflegestufe zeigte sich ein deutlicher Anstieg von 21 % auf 63 % innerhalb eines Jahres nach dem Unfall (Tab. 3). Dies korrespondierte allerdings entgegen der Untersuchung von Lögters et al. [18] nicht mit einem signifikanten Anstieg der Pflegeheimeinweisungen (Tab. 3). Wie schon zum Entlasszeitpunkt (Abb. 2) wird vermutlich auch nach einem Jahr der Großteil der Pflegeleistungen durch Angehörige oder ambulante Pflegedienste erbracht und somit eine Institutionalisierung vermieden.

Es existieren keine allgemein anerkannten Kriterien für den Zugang zur geriatrischen Komplexbehandlung bzw. Rehabilitation. Zum einen ist der Grundsatz „Reha vor Pflege“ zu berücksichtigen. Zusätzlich wird angenommen, dass das Rehabilitationspotenzial der über 65-Jährigen derzeit in Deutschland nicht voll ausgeschöpft wird [17]. Andererseits scheinen schon jetzt Engpässe in der Versorgung zu bestehen, sodass auch über andere z.B. ambulante rehabilitative Maßnahmen oder ggf. den Verzicht auf eine Rehabilitation im Sinne einer effektiven Ressourcenallokation nachgedacht werden sollte. Eine Alternative stellt die interdisziplinäre (unfallchirurgisch-geriatrische) Behandlung schon in der Akutklinik dar, wie sie in Zentren für Alterstraumatologie durchgeführt wird. Die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie hat in den letzten Jahren gemeinsam mit den Kollegen aus den geriatrischen Fachgesellschaften einen Kriterienkatalog für eine interdisziplinäre Behandlung geriatrischer Traumapatienten entwickelt und in diesem Jahr mit den Zertifizierungsverfahren AltersTraumaZentrum DGU begonnen, um der immer größeren Bedeutung der Alterstraumatologie Rechnung zu tragen [8]. Gemäß den Ergebnissen einzelner Studien und Metaanalysen profitieren die Patienten von dieser früheren Berücksichtigung geriatrischer und rehabilitativer Aspekte [7, 13]. Dabei gibt es verschiedene interdisziplinäre Behandlungsmodelle von geriatrischen Konsilen bis hin zu gemeinsam geleiteten Stationen [21]. Ob dadurch die nach wie vor enttäuschenden langfristigen Behandlungsergebnisse der Patienten mit proximaler Femurfraktur [20, 22] entscheidend beeinflusst werden können, ist allerdings fraglich. Grund dafür ist die Tatsache, dass die Fraktur häufig als ein Surrogat-Parameter für eine Verschlechterung der Allgemeinzustands und einer Verschlechterung zuvor bestehender Krankheiten zu werten ist, wodurch die Langzeitergebnisse letztlich bestimmt werden. Ziele der interdisziplinären Bemühungen sind eher die Verkürzung der langwierigen Behandlungsverläufe und die Besserung der mittelfristigen Ergebnisse bis 6 Monate nach dem Unfall.

Limitationen und Stärken

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