Originalarbeiten - OUP 01/2013

Halbwirbelresektion bei kongenitaler Skoliose – Beschreibung der
operativen Technik und langfristigen Ergebnisse

H. Meinig1, G. Ostrowski1, M. Ruf1

Einleitung: In einer retrospektiven Studie wurden Halbwirbelresektionen über den dorsalen Zugang bei Kleinkindern nachuntersucht. Als Operationsindikation bei kongenitalen Skoliosen sehen wir die nachgewiesene oder zu
erwartende Kurvenprogression infolge der Malformation.

Material und Methode: 40 Kinder im Alter von ein bis 6 Jahren mit kongenitaler Skoliose, die mit einer dorsalen Halbwirbelresektion und transpedikulärer Instrumentation versorgt wurden, wurden nachuntersucht mit einem mittleren Follow-up von 9,5 Jahren.

Ergebnisse: Der durchschnittliche Cobb-Winkel an der Hauptkrümmung betrug präoperativ 47°, postoperativ 12° und bei der letzten Kontrolluntersuchung 11°. Der Kyphosewinkel lag präoperativ bei 23°, postoperativ bei 9° und bei der letzten Kontrolluntersuchung bei 7°.

Komplikationen: Ein Infekt, einmal Hämatomausräumung, 3-mal Pedikelfraktur, 2-mal Zerklagenbruch, einmal Liquordrainage.

Schlussfolgerung: Die dorsale Halbwirbelresektion mit transpedikulärer Instrumentation ist eine sichere und
bewährte Technik, die erhebliche Vorteile bietet: Exzellente Korrektur sowohl in frontaler und sagittaler Ebene, kurzstreckige Fusion, hohe Stabilität, rein dorsales Vorgehen, niedriges neurologisches Risiko. Die Operation sollte so früh als möglich erfolgen, um schwere lokale und sekundäre strukturelle Veränderungen sowie langstreckige Fusionen zu vermeiden.

Schlüsselwörter: kongenital, Skoliose, operative Technik, Halbwirbel

Objective: A retrospective study was conducted, with clinical evaluation of hemivertebra resection using transpedicular instrumentation by a posterior approach in young children. Surgery should be performed when a curve-progression has to be expected or verified.

Methods: For this study, 40 consecutive cases of congenital scoliosis, managed by hemivertebra resection using a
posterior approach only with transpedicular instrumentation, were investigated retrospectively, with a medial follow-up of 9,5 years.

Results: The mean Cobb-angle of the main curve was 47° before surgery, 12° after surgery, and 11° at the latest follow-up assessment. The angle of kyphosis was 23° before surgery, but improved to 9° after surgery. There was one infection, one haematoma, 3 pedicle fractures and 2 failures of the initially used wire instrumentation, one liquordrainage.

Conclusions: Posterior resection of hemivertebrae with transpedicular instrumentation is a safe and established procedure that offers significant advantages for controlling congenital deformity: excellent correction in both the frontal and sagittal planes, short segment of fusion, high stability, no need for an anterior approach, and low neurologic risk. Surgery should be performed as early as possible to avert
severe local deformities, to prevent secondary structural changes, and to avert extensive fusions.

Keywords: congenital, scoliosis, surgery technique, hemivertebra

Einleitung

Skoliosen, die durch angeborene Fehlbildungen der Wirbelsäule verursacht werden, zeigen ein sehr variables Verhalten hinsichtlich der weiteren Progression. Einige Fehlbildungen, wie inkarzerierte oder balancierte Halbwirbel, haben einen meist gutartigen Verlauf; Halbwirbel insbesondere mit kontralateraler unsegmentierter Barbildung neigen zu einer rasch progredienten Verschlechterung.

In einer großen Studie analysierten Winter et al. [1] 234 Patienten. Er fand, dass angeborene Skoliosen sich in der Regel langsam aber konstant weiter verschlechtern. Ohne Behandlung kommt es in der Regel zu einer inakzeptablen Fehlstellung. Nasca et al. [2] berichteten über 60 Patienten mit angeborenen Skoliosen durch Halbwirbel sowie Halbwirbel mit Barbildung. Sie beschrieben eine sehr variable Progression im Bereich von 1°–33° pro Jahr, durchschnittlich von 4° pro Jahr.

McMaster und Ohtsuka [3] präsentierten 1982 eine Studie mit 251 Patienten mit unbehandelter angeborener Skoliose. Sie zeigten, dass die Progression sowie der Krümmungsgrad nach Wachstumsabschluss abhängig waren von der Art der Anomalie und der Lokalisation. Halbwirbel mit kontralateraler Barbildung hatten die schlechteste Prognose, gefolgt von 2 einseitigen Halbwirbeln, einzelnen Halbwirbeln und Keilwirbeln. Von 143 Patienten hatten im Alter von über 10 Jahren 36 % eine Kurve von 40°–60° und 28 % eine Kurve von mehr als 60°.

Da die meisten kongenitalen Skoliosen eine schlechte Prognose haben, ist in der Regel eine chirurgische Intervention notwendig. An chirurgischen Verfahren wurden konvexseitige Hemiepiphyseodesen und Hemiarthrodesen, wuchslenkende Instrumentationen sowie Halbwirbelresektionen mit Fusion beschrieben [4].

In-situ-Fusionen und Arthrodesen können die Progression stoppen oder zumindest verlangsamen. Die Korrekturmöglichkeiten sind jedoch begrenzt, und die Wirkung auf das weitere Wachstum schwierig einzuschätzen [5].

Bei Halbwirbeln erscheint es daher sinnvoll, diese operativ zu entfernen. Royle [6] berichtete 1928 zuerst über dieses Verfahren, gefolgt von Compere [7], Lackum und Smith [8] sowie Wiles [9]. Die Methode war anfangs jedoch mit häufigen Komplikationen wie Pseudarthrosen, Kyphosen und neurologischen Ausfällen belastet. Erst Leatherman und Dickson [10] berichteten 1979 über gute Ergebnisse bei einer größeren Anzahl von Halbwirbelresektionen über einen 2-zeitigen ventralen und dorsalen Eingriff. In der Folgezeit gab es mehrere Berichte über Halbwirbelresektionen durch kombiniert anterior-posteriore Vorgehensweise, zum Teil als 2-zeitige Operationen [11, 12, 13, 14, 15, 16]. Danach schienen gute Ergebnissen vor allem bei jungen Kindern erreichbar.

2002 wurde von Ruf und Harms erstmals über eine größere Serie von Halbwirbelresektionen über einen rein dorsalen Zugang berichtet [17, 18]. Dieses Verfahren hat sich in den letzten Jahren in vielen Arbeitsgruppen durchgesetzt [19, 20, 21, 22].

Material und Methode

In dieser Studie wurden 40 Patienten nachuntersucht, bei denen 44 Halbwirbel in unserem Hause über einen rein dorsalen Zugang reseziert wurden mit transpedikulärer Stabilisierung (23 weiblich, 21 männlich). Die vorhandenen Aufzeichnungen sowie die Röntgenaufnahmen wurden retrospektiv ausgewertet.

Es wurden nur Patienten bis zu einem Lebensalter von 6 Lebensjahren bei Operation eingeschlossen. Das Durchschnittsalter zum Zeitpunkt der Operation betrug 3,5 Jahre. Keiner der Patienten war vorher operativ an der Wirbelsäule versorgt worden. Patienten mit Meningomyleozele wurden ausgeschlossen.

Alle Patienten wurden innerhalb der ersten postoperativen Woche mobilisiert. Zur Auswertung wurden die a.p.- sowie die seitliche Röntgenaufnahmen (gesamte Wirbelsäule stehend) herangezogen. Hier wurden folgende Parameter bestimmt:

Segmentale Hauptkrümmung: Von der oberen Endplatte des Wirbels oberhalb des Halbwirbels gemessen zur unteren Endplatte des Wirbel unterhalb des Halbwirbels.

Hauptkrümmung

Kraniale Nebenkrümmung

Kaudale Nebenkrümmung

Segmentale Kyphose/Lordose: Von der oberen Endplatte über dem Halbwirbel bis zur unteren Endplatte unter dem Halbwirbel

Seitliche Dekompensation (d.h. der Abstand des Lotes von C7 zum Mittelpunkt des Sakrums [radiologische Lotlinie])

Ausrichtung des Lotes von C7 zum posterosuperioren Aspekt von S1 (sagittale Balance)

Operationstechnik

Die Resektion des Halbwirbels wird durch einen einzeitigen dorsalen Zugang mit Fusion der benachbarten Wirbel sowie transpedikulärer Instrumentation durchgeführt. Zur Planung dieser Operation ist eine präzise Bildgebung notwendig. Dabei wird der Halbwirbel in der Computertomographie mit 3DRekonstruktion analysiert. Von Wichtigkeit sind insbesondere die Form des Halbwirbels, seine Beziehung zu den Nachbarwirbeln, die Anatomie der Pedikel, sowie Synostosen der Wirbelanteile und der Rippen. Um die allgemeine Statik und Flexibilität der gesamten Wirbelsäule beurteilen zu können, sind gegebenenfalls Bending-Aufnahmen notwendig. In der Kernspintomografie und Myelografie werden Fehlbildungen des Rückenmarks evaluiert.

Seit 1996 werden diese Operationen in unserem Hause unter Spinal Cord Monitoring durchgeführt.

Die Wirbelsäule wird auf der Ebene des Halbwirbels und der benachbarten Wirbel freigelegt. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass das Periost außerhalb des geplanten Fusionsbereichs nicht verletzt wird. Es folgen transpedikuläre Bohrungen, die mit K-Drähten markiert werden. Die richtige Position der Drähte wird mit dem Bildverstärker überprüft. Dann werden die Schrauben gesetzt. Die vorhanden hinteren Elemente des Halbwirbels (die Lamina mit dem Querfortsatz, die Facettengelenke und der posterioren Teile der Pedikel) werden entfernt. Das Rückenmark und die Nervenwurzeln werden identifiziert. Auf der Seite der Konvexität wird der Processus transversus und ggf. der Rippenkopf (in der Brustwirbelsäule) reseziert. Nun wird der laterale und ventrale Aspekt des Halbwirbels präpariert (retroperitoneal im Lendenbereich, intrathorakal-extrapleural im thorakalen Bereich). Der Wirbelkörper des Halbwirbels wird nun ggf. unter dem Mikroskop reseziert. Dabei werden die angrenzenden Bandscheiben entfernt und die angrenzenden Wirbelendplatten debridiert. Die Bandscheibe muss bis zur kontralateralen Seite entfernt werden.

Danach wird die Instrumentation vervollständigt und Kompression auf der konvexen Seite eingeleitet, bis sich die Resektionslücke vollständig schließt. Ein verbliebener Defekt wird mit Spongiosa gefüllt.

Bei einer ausgeprägten kyphotischen Fehlstellung, insbesondere lumbal, sollte ventral ein Cage als Hypomochlion zur Lordosegewinnung eingebracht werden.

Während der Resektion des Halbwirbels und während des Korrekturmanövers müssen die neuralen Strukturen ständig überwacht werden.

Bei singulären Halbwirbeln ohne Bar-Bildung, Rippensynostose oder anderen großen strukturellen Veränderungen der benachbarten Wirbel können der Halbwirbel reseziert und die beiden benachbarten Wirbel fusioniert werden. Bei Patienten mit kontralateraler Bar-Bildung und mehreren Rippensynostose können die Bar-Bildung gelöst und die synostosierten Rippenköpfe entfernt werden. Die Fusion mit segmentaler Instrumentation muss dann über die gesamte Länge der Bar-Bildung erweitert werden. Auch bei bereits vorhandenen strukturellen Veränderungen der benachbarten Wirbel muss die Fusionstrecke ggf. verlängert werden.

Vor 1997 waren keine an die geringe Pedikelgröße von Kleinkindern adaptierten Wirbelsäulenimplantate vorhanden. Anfangs wurden Schrauben-Plattensysteme aus dem HWS-Bereich verwendet, in 2 frühen Fällen wurden auch 3,5-mm-transpedikuläre Schrauben in Kombination mit Drahtzerklagen. Seit 1997 wurde ein neu entwickeltes Schrauben-Stab-System unter Verwendung polyaxialer Titanschrauben mit einem Schraubendurchmesser von 3,5 mm und 3-mm-Stäben verwendet (Baby-Moss-Miami), bei größeren Kindern auch 5- oder 6-mm-Schrauben (Moss/Moss-Miami).

Ergebnisse

Bei 40 Patienten war es möglich, die Röntgenaufnahmen zu analysieren.

Fusionsstrecke:

Bei den Patienten in der vorliegenden Studie wurden durchschnittlich 3 Segmente fusioniert, die kürzeste Fusionsstrecke war ein Segment, die Längste 9 Segmente.

Korrektur der Hauptkrümmung:

Die segmentale Krümmung an der Hauptkrümmung konnte von einem präoperativen Cobb-Winkel von 37° auf einen postoperativen Winkel von 7° reduziert werden. Bei der letzten Verlaufskontrolle wurde ein Cobb-Winkel von 5° gemessen.

Die Hauptkrümmung gesamt hatte einen präoperativen Cobb-Winkel von 47° und konnte auf einen postoperativen Winkel von 12° reduziert werden. Bei der letzten Verlaufskontrolle wurde ein Cobb-Winkel von 11° gemessen. Die durchschnittliche Korrektur betrug somit 34° (77 %).

Korrektur der Nebenkrümmungen:

Die kraniale Nebenkrümmung konnte in 38 Fällen gemessen werden. Der mittlere präoperative Cobb-Winkel betrug 18°, 5° postoperativ und bei der letzten Nachuntersuchung 3°. Somit konnte hier eine spontane Korrektur von 82 % erreicht werden.

Die kaudale Nebenkrümmung konnte in 44 Fällen ausgewertet werden.

Die mittlere Cobb-Winkel lag bei 23° vor der Operation, 7° nach der Operation und bei 6° bei der Nachuntersuchung. Die postoperative Korrektur betrug somit 70 %.

Korrektur in der Sagittalebene:

Der segmentale Winkel wurde nach den Vorgaben von Bernhardt und Bridwell [23] für Kyphosen und Lordosen mit negativen oder positiven Vorzeichen versehen. Der gemessene Wert wurde mit den segmentalen Normwerten verglichen und nur die Differenz notiert.

Verglichen mit den physiologischen Werten wiesen alle Halbwirbel eine mehr oder weniger starke Kyphose auf, diese betrug präoperativ 23°, 9° postoperativ sowie 7° bei der letzten Nachkontrolle, womit sich eine mittlere Korrektur von 66 % ergibt.

Lateral Dekompensation, sagittale Balance und Schulterhöhe:

Diese Werte variieren insbesondere bei sehr jungen Kindern von Röntgenaufnahme zu Röntgenaufnahme, in Abhängigkeit von der Körperhaltung.

Dennoch wollen wir die gemessenen Mittelwerte darstellen:

Seitliche Dekompensation: Im Mittelwert ergab sich präoperativ, postoperativ und in der Nachuntersuchung keine Dekompensation.

Sagittale Balance: Durchschnittliche Abweichung vom Lot präoperativ 2,4 cm (Bereich – 4 bis + 9 cm), 1,5 cm (Bereich von – 6,5 bis + 8 cm) nach der Operation und 0,9 cm (Bereich –5 bis + 6 cm) bei der letzten Nachuntersuchung.

Differenz in Schulterhöhe: Durchschnittlich 0,4 cm (Bereich – 2,5 bis 5 cm) vor der Operation, 0,1cm (Bereich – 1,5 bis 2,5 cm) nach dem Eingriff und 0,3 (– 2 bis 3 cm) bei der letzten Nachuntersuchung.

Pedikelwachstum nach

Schraubeninsertion:

Bei keinem operierten Patienten entwickelte sich während des weiteren Wachstums eine relevante Spinalkanalstenose. Das Pedikelwachstum war nicht wesentlich eingeschränkt. Kernspintomografische Kontrolle zeigte lediglich eine Taillierung im Bereich der fusionierten Wirbelkörper.

Komplikationen und zusätzliche Operationen:

Bei 5 Patienten wurden zur besseren Lastverteilung zusätzliche Segmente in die Instrumentation einbezogen. Diese Instrumentationen wurden 3 Monate später wieder gekürzt. Eine Infektion erforderte die Entfernung des Implantats mit späterer Revision und Neuinstrumentation. Bei 3 Patienten trat infolge von Überlastung eines konvexseitigen Pedikels eine Pedikelfraktur auf; ein zusätzliches Segment wurde in die Instrumentation einbezogen. Bei 3 der frühen Fälle kam es zu einem Implantatbruch; 2 dieser Patienten waren mit Schrauben und Drahtzerklagen versorgt worden. Die Revisionsoperation erfolgte mit dem Schrauben-Stab-System. 5 Patienten entwickelten während des weiteren Wachstums eine neuerliche Skoliose; 6 Revisionsoperationen waren erforderlich.

Alle erneut operierten Patienten zeigten bei der letzten Nachuntersuchung ein hervorragendes Ergebnis. Trotz Revisionsoperation war die Fusionsstrecke wesentlich kürzer als eine Korrekturoperation in höherem Alter sie erfordern würde. Wir nehmen daher das Risiko einer evtl. erforderlichen Revisionsoperation in Kauf, für ein optimales Ergebnis. Bis auf den Fall mit Infekt zeigten alle Patienten, die eine Reoperation erhielten, bei der letzten Nachuntersuchung ausgezeichnete Ergebnisse im operativ versorgten Bereich. Trotz Reoperation war die Fusionslänge kürzer als die, die bei Korrekturoperation im späteren Lebensalter notwendig gewesen wäre. Daher akzeptieren wir das Risiko einer möglichen Reoperation, um ein hervorragendes Ergebnis mit minimaler Fusionsstrecke am Ende des Wachstums zu erzielen.

Diskussion

Kongenitale Skoliosen werden durch Fehlbildungen der Wirbelsäule verursacht, die zu einer Imbalance des Wachstums führen. Diese Fehlbildungen werden in Formationsstörungen und Segmentationsstörungen unterteilt. Eine häufige Ursache kongenitaler Skoliosen sind einfache Halbwirbel, eine unilaterale Formationsstörung. Diese Halbwirbel besitzen, von nicht-segmentierten oder inkarzerierten Formen abgesehen, ein nahezu normales Wachstumspotenzial und führen so zu einer zunehmenden Deformität. Durch seine keilförmige Struktur wird die Statik der gesamten Wirbelsäule kompromittiert. Insbesondere in Phasen mit beschleunigtem Wirbelsäulenwachstum (zwischen erstem und 5. Lebensjahr und während des pubertären Wachstumsschubes [24]) führt dieses asymmetrische Wachstum zu asymmetrischen Lastverteilungen in den benachbarten Wirbeln, sodass sich auch diese keilförmigen Deformierungen entwickeln. Die Primärkrümmung wird zunehmend strukturell. Um den Rumpf im Gleichgewicht zu halten, bilden sich neben der primären Krümmung sekundäre Gegenkrümmungen aus. Diese Sekundärkrümmungen sind zunächst flexibel, werden aber mit zunehmendem Alter ebenfalls strukturell.

Die operative Korrektur bei älteren Kindern erfordert aufgrund der bereits eingetretenen Rigidität wesentlich aufwändigere Eingriffe mit Osteotomien, die auch mit einem höheren neurologischen Risiko verbunden sind. Auch müssen die dann bereits strukturellen Sekundärkrümmungen in die Fusionsstrecke einbezogen werden. Die längere Fusionsstrecke verursacht entsprechende funktionelle Beeinträchtigungen.

Angesichts dieser Nachteile zeichnete sich in den letzten Jahrzehnten eine Tendenz zur frühen Operation auch bei sehr jungen Kindern ab. Nur durch die frühe Operation mit vollständiger Korrektur des deformierten Teils der Wirbelsäule kann das normale Wachstum der gesunden Teile der Wirbelsäule gewährleistet werden.

Die ideale operative Methode zur Halbwirbelresektion und Korrektur von angeborenen Skoliosen sollten die folgenden Anforderungen erfüllen:

Vollständige Korrektur der Fehlstellung sowohl in der Frontal- als auch in der Sagittalebene

Kurzstreckige Fusion

Besonders bei der wachsenden Wirbelsäule ist es von höchster Bedeutung, das fusionierte Segment so kurz wie möglich zu halten. Jede Fusion über den verformten Teil hinaus sollte vermieden werden, damit das normale Wachstum der nicht betroffenen Teile der Wirbelsäule nicht behindert wird. Eine kurze Fusionsstrecke erhöht zwar das Risiko der Notwendigkeit einer erneuten Operation im Verlauf des weiteren Wachstums. Um das Wachstum der Wirbelsäule aber möglichst wenig zu stören, sollte dies akzeptiert werden.

Stabilität

Die Versorgungsart sollte durch ihre Stabilität eine frühe Mobilisierung ermöglichen. Besonders bei sehr jungen Kindern hemmt jede Art der Immobilisierung und das langfristige Tragen einer Orthese die normale motorische Entwicklung. Methoden mit Ruhigstellung in einem Gips ohne Instrumentierung oder dorsalem Haken-Stab-Systeme erfüllen nicht diese Anforderung. Die weichen knöchernen Strukturen der hinteren Elemente bei Kleinkindern bieten nicht genügend Stabilität für Haken-Systeme.

Zugang

Bei kleinen Kindern sollte der Zugang so atraumatisch wie möglich sein. Der vordere Zugang insbesondere transthorakal kann pleurale Verwachsungen generieren.

Sicherheit

Eine Verletzung des Myelons muss soweit als möglich ausgeschlossen werden können. Der Chirurg sollte daher insbesondere während des Korrekturmanövers die neuralen Strukturen kontrollieren können.

Auf der Basis dieser Anforderungen an eine ideale Operationsmethode wurde 1991 in unserem Hause die beschriebene Technik von Jürgen Harms entwickelt. Der Halbwirbel wird schonend über einen rein dorsalen Zugang entfernt. Die transpedikuläre Instrumentation bietet eine sichere Verankerung auch bei sehr kleinen Kindern mit noch weichem Knochen. Diese stabile Fixierung ermöglicht durch die Einleitung adäquater Korrekturkräfte eine ausgezeichnete Korrektur sowohl in der frontalen als auch in der sagittalen Ebene. Insbesondere können auch Kyphosen durch Anwendung geeigneter Kompressionskräfte korrigiert werden. Die dorsale Instrumentation wirkt durch das Zuggurtungsprinzip auch während des weiteren Wachstums lordosierend. Zudem erlaubt die hohe Stabilität der transpedikulären Fixierung eine kurze Fusionsstrecke, die das weitere Wachstum der Wirbelsäule nicht wesentlich beeinträchtigt. Mehrsegmentale Fusionen sind nur bei Fällen mit zusätzlichen Fehlbildungen wie Bar-Bildung und Rippensynostosen oder ausgeprägter Kyphose notwendig. Die stabile Fixation ermöglicht auch die frühe Mobilisation ohne langfristige Orthesenversorgung.

Im Jahr 1991, als wir in unserem Haus dieses Verfahren erstmals einsetzten, gab es keine Berichte über Pedikelschraubenfixierung bei Kindern. Inzwischen bestätigen anatomische Studien [25, 26] und tierische Experimente [27], dass der Einsatz von Pedikelschrauben ohne negative Auswirkungen auf das wachsende Skelett möglich ist. Nach der Erfahrung der Autoren konnten keine negativen Auswirkungen auf das Pedikelwachstum oder daraus resultierende Stenosen des Wirbelkanals durch die Verwendung von Pedikelschrauben bei sehr jungen Kindern ausgemacht werden [28].

Während die kongenitalen Skoliosen auf Grund eines singulären Halbwirbels nach früher Operation mit vollständiger Korrektur im Allgemeinen keine weitere Intervention erfordern, sind kombinierte Fehlbildungen insbesondere mit langstreckigen Bar-Bildungen und Thoraxdeformitäten wesentlich problematischer einzuschätzen hinsichtlich des weiteren Verlaufs. Bei diesen Fällen kann es sinnvoll sein, eine Halbwirbelresektion mit einem wuchslenkenden distrahierenden Verfahren (z.B. VEPTER, Growing Rods) zu kombinieren. Wesentlich ist aber auch hierbei eine möglichst komplette Korrektur der apikalen Fehlbildung.

Alle operativ versorgten Patienten müssen mindestens bis zum Wachstumsabschluss engmaschig im Verlauf kontrolliert werden. So können eventuell sich entwickelnde weitere Deformitäten frühzeitig erkannt werden, um rechtzeitig intervenieren zu können.

Schlussfolgerungen

Die posteriore Halbwirbelresektion mit transpedikulärer Instrumentation ist eine Technik mit signifikanten Vorteilen:

ausgezeichnete Korrektur sowohl in der frontalen als auch in der sagittalen Ebene

kurze Fusionsstrecken

hohe Stabilität und frühe Mobilisation

kein vorderer Zugang erforderlich

geringes neurologisches Risiko.

Daher ist diese Operationsmethode ideal geeignet für die frühe Korrektur bei sehr jungen Kindern. Maximale Korrektur und kurze Fusionsstrecken ermöglichen fast normales Wachstum der nicht betroffenen Teile der Wirbelsäule. Engmaschige Nachuntersuchungen bis zum Ende des Wachstums sind obligatorisch, um bei sich erneut ausbildenden Deformitäten frühzeitig intervenieren zu können.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Holger Meinig

SRH Klinikum
Langensteinbach

Guttmannstraße 1

76307 Kalrsbad-Langensteinbach

Holger.Meinig@kkl.srh.de

Literatur

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Fussnoten

Zentrum für Wirbelsäulenchirurgie, Orthopädie und Traumatologie des SRH Klinikums Karlsbad-Langensteinbach

DOI 10.3238/oup.2013.0004–0009

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