Originalarbeiten - OUP 01/2013

Halbwirbelresektion bei kongenitaler Skoliose – Beschreibung der
operativen Technik und langfristigen Ergebnisse

Lateral Dekompensation, sagittale Balance und Schulterhöhe:

Diese Werte variieren insbesondere bei sehr jungen Kindern von Röntgenaufnahme zu Röntgenaufnahme, in Abhängigkeit von der Körperhaltung.

Dennoch wollen wir die gemessenen Mittelwerte darstellen:

Seitliche Dekompensation: Im Mittelwert ergab sich präoperativ, postoperativ und in der Nachuntersuchung keine Dekompensation.

Sagittale Balance: Durchschnittliche Abweichung vom Lot präoperativ 2,4 cm (Bereich – 4 bis + 9 cm), 1,5 cm (Bereich von – 6,5 bis + 8 cm) nach der Operation und 0,9 cm (Bereich –5 bis + 6 cm) bei der letzten Nachuntersuchung.

Differenz in Schulterhöhe: Durchschnittlich 0,4 cm (Bereich – 2,5 bis 5 cm) vor der Operation, 0,1cm (Bereich – 1,5 bis 2,5 cm) nach dem Eingriff und 0,3 (– 2 bis 3 cm) bei der letzten Nachuntersuchung.

Pedikelwachstum nach

Schraubeninsertion:

Bei keinem operierten Patienten entwickelte sich während des weiteren Wachstums eine relevante Spinalkanalstenose. Das Pedikelwachstum war nicht wesentlich eingeschränkt. Kernspintomografische Kontrolle zeigte lediglich eine Taillierung im Bereich der fusionierten Wirbelkörper.

Komplikationen und zusätzliche Operationen:

Bei 5 Patienten wurden zur besseren Lastverteilung zusätzliche Segmente in die Instrumentation einbezogen. Diese Instrumentationen wurden 3 Monate später wieder gekürzt. Eine Infektion erforderte die Entfernung des Implantats mit späterer Revision und Neuinstrumentation. Bei 3 Patienten trat infolge von Überlastung eines konvexseitigen Pedikels eine Pedikelfraktur auf; ein zusätzliches Segment wurde in die Instrumentation einbezogen. Bei 3 der frühen Fälle kam es zu einem Implantatbruch; 2 dieser Patienten waren mit Schrauben und Drahtzerklagen versorgt worden. Die Revisionsoperation erfolgte mit dem Schrauben-Stab-System. 5 Patienten entwickelten während des weiteren Wachstums eine neuerliche Skoliose; 6 Revisionsoperationen waren erforderlich.

Alle erneut operierten Patienten zeigten bei der letzten Nachuntersuchung ein hervorragendes Ergebnis. Trotz Revisionsoperation war die Fusionsstrecke wesentlich kürzer als eine Korrekturoperation in höherem Alter sie erfordern würde. Wir nehmen daher das Risiko einer evtl. erforderlichen Revisionsoperation in Kauf, für ein optimales Ergebnis. Bis auf den Fall mit Infekt zeigten alle Patienten, die eine Reoperation erhielten, bei der letzten Nachuntersuchung ausgezeichnete Ergebnisse im operativ versorgten Bereich. Trotz Reoperation war die Fusionslänge kürzer als die, die bei Korrekturoperation im späteren Lebensalter notwendig gewesen wäre. Daher akzeptieren wir das Risiko einer möglichen Reoperation, um ein hervorragendes Ergebnis mit minimaler Fusionsstrecke am Ende des Wachstums zu erzielen.

Diskussion

Kongenitale Skoliosen werden durch Fehlbildungen der Wirbelsäule verursacht, die zu einer Imbalance des Wachstums führen. Diese Fehlbildungen werden in Formationsstörungen und Segmentationsstörungen unterteilt. Eine häufige Ursache kongenitaler Skoliosen sind einfache Halbwirbel, eine unilaterale Formationsstörung. Diese Halbwirbel besitzen, von nicht-segmentierten oder inkarzerierten Formen abgesehen, ein nahezu normales Wachstumspotenzial und führen so zu einer zunehmenden Deformität. Durch seine keilförmige Struktur wird die Statik der gesamten Wirbelsäule kompromittiert. Insbesondere in Phasen mit beschleunigtem Wirbelsäulenwachstum (zwischen erstem und 5. Lebensjahr und während des pubertären Wachstumsschubes [24]) führt dieses asymmetrische Wachstum zu asymmetrischen Lastverteilungen in den benachbarten Wirbeln, sodass sich auch diese keilförmigen Deformierungen entwickeln. Die Primärkrümmung wird zunehmend strukturell. Um den Rumpf im Gleichgewicht zu halten, bilden sich neben der primären Krümmung sekundäre Gegenkrümmungen aus. Diese Sekundärkrümmungen sind zunächst flexibel, werden aber mit zunehmendem Alter ebenfalls strukturell.

Die operative Korrektur bei älteren Kindern erfordert aufgrund der bereits eingetretenen Rigidität wesentlich aufwändigere Eingriffe mit Osteotomien, die auch mit einem höheren neurologischen Risiko verbunden sind. Auch müssen die dann bereits strukturellen Sekundärkrümmungen in die Fusionsstrecke einbezogen werden. Die längere Fusionsstrecke verursacht entsprechende funktionelle Beeinträchtigungen.

Angesichts dieser Nachteile zeichnete sich in den letzten Jahrzehnten eine Tendenz zur frühen Operation auch bei sehr jungen Kindern ab. Nur durch die frühe Operation mit vollständiger Korrektur des deformierten Teils der Wirbelsäule kann das normale Wachstum der gesunden Teile der Wirbelsäule gewährleistet werden.

Die ideale operative Methode zur Halbwirbelresektion und Korrektur von angeborenen Skoliosen sollten die folgenden Anforderungen erfüllen:

Vollständige Korrektur der Fehlstellung sowohl in der Frontal- als auch in der Sagittalebene

Kurzstreckige Fusion

Besonders bei der wachsenden Wirbelsäule ist es von höchster Bedeutung, das fusionierte Segment so kurz wie möglich zu halten. Jede Fusion über den verformten Teil hinaus sollte vermieden werden, damit das normale Wachstum der nicht betroffenen Teile der Wirbelsäule nicht behindert wird. Eine kurze Fusionsstrecke erhöht zwar das Risiko der Notwendigkeit einer erneuten Operation im Verlauf des weiteren Wachstums. Um das Wachstum der Wirbelsäule aber möglichst wenig zu stören, sollte dies akzeptiert werden.

Stabilität

Die Versorgungsart sollte durch ihre Stabilität eine frühe Mobilisierung ermöglichen. Besonders bei sehr jungen Kindern hemmt jede Art der Immobilisierung und das langfristige Tragen einer Orthese die normale motorische Entwicklung. Methoden mit Ruhigstellung in einem Gips ohne Instrumentierung oder dorsalem Haken-Stab-Systeme erfüllen nicht diese Anforderung. Die weichen knöchernen Strukturen der hinteren Elemente bei Kleinkindern bieten nicht genügend Stabilität für Haken-Systeme.

Zugang

Bei kleinen Kindern sollte der Zugang so atraumatisch wie möglich sein. Der vordere Zugang insbesondere transthorakal kann pleurale Verwachsungen generieren.

Sicherheit

Eine Verletzung des Myelons muss soweit als möglich ausgeschlossen werden können. Der Chirurg sollte daher insbesondere während des Korrekturmanövers die neuralen Strukturen kontrollieren können.

Auf der Basis dieser Anforderungen an eine ideale Operationsmethode wurde 1991 in unserem Hause die beschriebene Technik von Jürgen Harms entwickelt. Der Halbwirbel wird schonend über einen rein dorsalen Zugang entfernt. Die transpedikuläre Instrumentation bietet eine sichere Verankerung auch bei sehr kleinen Kindern mit noch weichem Knochen. Diese stabile Fixierung ermöglicht durch die Einleitung adäquater Korrekturkräfte eine ausgezeichnete Korrektur sowohl in der frontalen als auch in der sagittalen Ebene. Insbesondere können auch Kyphosen durch Anwendung geeigneter Kompressionskräfte korrigiert werden. Die dorsale Instrumentation wirkt durch das Zuggurtungsprinzip auch während des weiteren Wachstums lordosierend. Zudem erlaubt die hohe Stabilität der transpedikulären Fixierung eine kurze Fusionsstrecke, die das weitere Wachstum der Wirbelsäule nicht wesentlich beeinträchtigt. Mehrsegmentale Fusionen sind nur bei Fällen mit zusätzlichen Fehlbildungen wie Bar-Bildung und Rippensynostosen oder ausgeprägter Kyphose notwendig. Die stabile Fixation ermöglicht auch die frühe Mobilisation ohne langfristige Orthesenversorgung.

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