Übersichtsarbeiten - OUP 01/2021

Heterotope Ossifikationen im Bereich des Ellenbogens
Ursachen, Diagnostik und Therapie

Die klinisch führende Symptomatik, welche die Lebensqualität des Patienten mit HO vermehrt beeinträchtigt, ist die Bewegungseinschränkung, ggf. begleitet von Schmerzen, Schwellung oder einer Begleitneuritis/-neuropathie bei kompromittierenden Ossifikationen [1]. Besteht klinisch der Verdacht einer HO am Ellenbogengelenk, so sollten die bekannten bildgebenden Verfahren wie in anderen Gelenken zum Einsatz kommen. Dabei ist zu beachten, dass die HO stadienhaft verläuft. Daher werden frühe Läsionen nicht in der Röntgen- bzw. CT-Diagnostik sichtbar, da sie noch nicht mineralisiert sind. In Bezug auf Präzision und Früherkennung ist die MRT Diagnostik dem konventionellen Röntgen überlegen. In der MRT können bereits ca. 3 Wochen früher als durch Röntgendiagnostik leicht inhomogene Signalalterationen mit einer höheren Intensität als Fett und umgebendem diffusem Begleitödem in T2 gewichteten Sequenzen identifiziert werden. Jedoch sind in Frühstadien auch Verwechslungen mit Entzündungsreaktionen möglich. In jedem Fall zeigt die MRT, wie auch die CT, im Rahmen der Planung einer operativen Entfernung der HO die genaue Lagebeziehung zu wichtigen anatomischen Strukturen [2, 17, 23]. Durch die Skelettszintigrafie ist die Darstellung der HO sogar 4–6 Wochen früher als im Röntgen möglich und es kann durch einen abbildbaren Rückgang der Stoffwechselaktivität, d.h. normwertigen szintigrafischen Befund nach ca. 12 Monaten, eine Ausreifung der HO dargestellt werden. Die Szintigrafie ist jedoch aufgrund der hohen Strahlenbelastung und Kosten kein Standardverfahren in der Diagnostik der HO [17]. Es gibt weitere (für die HO) experimentelle Verfahren wie die SPECT/CT, welche helfen soll, durch präoperative Diagnostik die postoperative Prognose von Patienten nach Resektion der HO vorauszusagen [25]. Die Ultraschalldiagnostik stellt eine weitere sensitive Methode dar und zeichnet sich durch eine fehlende Strahlenbelastung sowie breite Verfügbarkeit aus. Bettseitig kann die Ultraschalldiagnostik als Monitoringverfahren genutzt werden. Wang et al. beschrieb Kriterien im Ultraschall, womit die Rehabilitationsmaßnahmen von Patienten mit posttraumatischer HO, je nach Fortschreiten und Ausprägung der Ossifikationen, durch regelmäßige Ultraschalluntersuchungen individuell angepasst werden können [45]. Dies benötigt jedoch einen geübten Untersucher. Eine laborchemische Diagnosestellung anhand von Calcium, Phosphor oder alkalischer Phosphatasewerte ist nicht zuverlässig möglich [38]. Insgesamt ist die Röntgen- bzw. CT-Diagnostik noch immer das Standardverfahren [29].

Für die HO im Bereich des Ellenbogens gibt es u.a. die Klassifikation nach Ilahi, welche die Einschränkung des Bewegungsausmaßes von Extension und Flexion, bezogen auf das Capitulum humeri, beschreibt [14]. Die Klassifikation von Hastings und Graham bietet eine Einteilung nach radiologischen und klinischen Befunden [15] (Tab. 1).

Prophylaxe und Therapie

Bei bestehenden Ossifikationen bleibt in der Regel nur die chirurgische Resektion mit anteilig nachteiliger Zugangsmorbidität. Aufgrund dessen nimmt insbesondere die Prophylaxe einen großen Stellenwert ein. Die zugrundeliegenden zellulären, biochemischen und mechanischen Prozesse der HO Ausbildung sind weiterhin noch nicht vollständig verstanden und Gegenstand laufender Forschungsbemühungen, um effektivere prophylaktische Maßnahmen und Therapien zu entwickeln [35].

Prophylaxe (NSAR, Bisphosphonate, Bestrahlung)

In der Primär- und Sekundärprophylaxe (nach chirurgischer Entfernung von HO) sind NSAR wirksam. Sie nehmen Einfluss auf die mesenchymalen Stammzellen sowie den Prostaglandin Stoffwechsel [26]. Die Wirksamkeit ist mit den meisten Studien im Bereich des Hüftgelenks, insbesondere bei Hüftendoprothesen, für nicht-selektive NSAR (z.B. Indometacin) und selektive COX2-Inhibitoren bewiesen [20]. Hingegen besteht im Bereich der Ossifikationsprophylaxe für das Ellenbogengelenk eine unklare Datenlage, die zumindest zu einer wirksamen Gabe von NSAR bei primärer und sekundärer Anwendung tendiert. Sun et al. zeigten eine signifikante Reduktion der Rezidivrate bei der Anwendung mit Celecoxib. Hierbei wurden 152 Patienten aufgrund einer HO assoziierten posttraumatischen Ellenbogensteife mit einer chirurgischen Arthrolyse und Resektion der HO behandelt. 77 Patienten davon erhielten postoperativ für 28 Tage 200 mg Celecoxib täglich. In der Gruppe mit Celecoxib zeigte sich neben der signifikant geringeren Rezidivrate von HO nach 3, 6 und 9 Monaten postoperativ ein signifikant verbesserter Bewegungsumfang [42]. Indometacin ist der am häufigsten in der Literatur beschriebene Vertreter der NSAR zur Prophylaxe von heterotopen Ossifikationen, u.a. am Ellenbogengelenk [42]. Bezüglich der Einnahmedauer finden sich keine einheitlichen Angaben zur Dosis (meistens 75 mg täglich) oder Therapiedauer (10–42 Tage) [6, 24–27]. Hinsichtlich der Reduktion von HO durch Indometacin nach distaler Bizepssehnenrekonstruktion ist die Studienlage uneinheitlich. Costopoulos et al. zeigte im Rahmen einer retrospektiven Studie eine signifikante Reduktion der Ausbildung einer HO bedingten radioulnaren Synostose. Hierbei erhielten 104 der 112 Patienten Indometacin in einer Dosis von 75 mg pro Tag für 10–42 Tage [8]. Einschränkend muss hier erwähnt werden, dass die demographischen Parameter bzgl. Gruppengröße (104 vs. 8 Patienten) sowie das ungleiche Matching der operativen Zugangswahl (NSAR Gruppe: „1- und 2-incision“, ohne NSAR Gruppe: nur „2-incision“ Technik), als bekannter Risikofaktor für die HO, Limitationen in der Studie aufweisen. Hudson et al. widerlegen in ihrer Analyse die Wirksamkeit von Indometacin (Dosis unbekannt, medikamentöse Behandlung 10 Tage vor und 6 Wochen nach der Operation) in der Ausbildung von HO nach angewandter „2-incision“ Technik bei Bizepssehnenrekonstruktion. Hundertneun der 146 eingeschlossenen Patienten erhielten kein Indometacin, 37 in oben genannter Art und Weise eine prophylaktische Gabe. In der Gruppe der Patienten ohne Indometacin entwickelten 5,5 % eine HO, in der Gruppe mit Indometacin sogar 13,5 % [18]. Zwar zeigten die Patienten der Studie von Costopolous et al. keine Nebenwirkungen von Indometacin [8], doch sind allgemeine Kontraindikationen wie entzündliche Darmerkrankungen oder Niereninsuffizienz stets vor der Gabe von NSAR zu evaluieren. Aufgrund des Risikos einer gastrointestinalen Komplikation und vor dem Hintergrund seiner Studienergebnisse empfiehlt Hudson et al. daher keine Indometacin Gabe nach Bizepssehnenrekonstruktion [18]. Eine weitere bekannte Nebenwirkung der NSAR ist ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko, welches vor allem den selektiven COX2 Hemmern zugeschrieben wird. COX2 Hemmer haben jedoch den Vorteil geringerer gastrointestinaler Nebenwirkungen [5]. Aufgrund des deutlich erhöhten relativen Risikos für gastrointestinale Komplikationen bei Indometacin (Relatives Risiko 4,14) wäre die Gabe von Celecoxib (Relatives Risiko 1,45) oder Ibuprofen (Relatives Risiko 1,84) bei entsprechenden Risikopatienten zu favorisieren [30]. Umfassende Studien fehlen jedoch derzeitig, um auch Coxibe und Ibuprofen im klinischen Alltag gleichsam zu Indometacin im Bereich des Ellenbogens zu verwenden. Auch wenn NSAR in vielen Studien zu einer Reduktion der HO führen, so sollte bei Risikopatienten abgewogen werden, da die Anwendung von NSAR in mehreren Studien zu einer verzögerten Knochenheilung führte. Andererseits gibt es auch Studien mit konträren Aussagen [34].

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