Übersichtsarbeiten - OUP 03/2020

Indikationen und Technik einer kombinierten MPFL- und Trochleaplastik

Lars Victor von Engelhardt, Jörg Jerosch

Zusammenfassung:

Bei der Trochleadysplasie weist das femorale Gleitlager eine ungünstige Formund damit eine
gestörte Funktion während der Kniebewegung auf. Mit weniger als 3 % ist ein solcher Befund in der Normalbevölkerung selten. Hingegen ist diese knöcherne Formstörung bei Patienten mit einer Instabilität der Kniescheibe mit einer Häufigkeit von über 85 % ein häufiger Befund. Besteht eine höhergradige knöcherne Formstörung, so sollte sie im Rahmen einer Stabilisierung adressiert werden. Ansonsten zeigen sich, bspw. bei isolierten Verfahren einer Bandrekonstruktion oder einer Bandplastik, nicht nur schlechte klinische Ergebnisse mit anhaltenden Instabilitätsbeschwerden, auch kommt es vergleichsweise früh zu einer Abnutzung sowie zu einer symptomatischen Früharthrose des Kniegelenkes. Bereits bei der Erstluxation der Patella kommt es in über 90 % zu Rupturen und im Weiteren zu einer zunehmenden Insuffizienz des medialen patellofemoralen Ligamentes (MPFL). Bereits hierauf basierend, erscheint die MPFL-Rekonstruktion sinnvoll. Darüber hinaus führt eine effektive Korrektur der knöchernen Deformität zu einem nach medial und dorsal verlagerten Gleitweg. Diese Verlagerung der mechanischen Position der Kniescheibe zieht eine weitere Erschlaffung bzw. Insuffizienz des MPFL nach sich. Auch vor diesem Hintergrund ist die MPFL Rekonstruktion als zusätzlicher OP-Schritt während einer Trochleaplastik wesentlich, um zu einem guten klinischen Outcome zu kommen. Hierbei sollte die MPFL-Rekonstruktion im Sinne einer individuell zu dosierenden Bandplastik eine optimale Weichteilbalancierung sicherstellen. In diesem Artikel beschreiben wir unsere empfohlenen Indikationen zu unserer Methode einer balancierten MPFL- und Trochleaplastik. Unsere Follow-up-Ergebnisse zu diesem Verfahren sowie ähnlicher Techniken aus der Literatur erlauben eine Einschätzung des Erfolges einer kombinierten
MPFL- und Trochleaplastik.

Schlüsselwörter:
Trochleadysplasie, mediales patellofemorales Ligament, patellofemorale Instabilität

Zitierweise:
von Engelhardt LV, Jerosch J: Indikationen und Technik einer kombinierten MPFL- und Trochleaplastik.
OUP 2020; 9: 158–165 DOI 10.3238/oup.2019.0158–0165

Summary: In trochlear dysplasia the femoral groove shows an inconvenient shape and a disordered function during knee motion. A frequency of less than 3 % within this bony deformity is a frequent finding in patients with recurrent patellar instability. In cases showing a higher grade of deformity, it should be addressed during a stabilization surgery. If, for example, isolated procedures such as a medial patellofemoral ligament (MPFL) repair or reconstruction surgeries are performed, bad clinical outcomes with ongoing instability complaints as well as an early wearing and symptomatic early-onset osteoarthritis of the knee can follow. Following the first patellar dislocation, the MPFL is torn in more than 90 % of cases. Based on this fact, an MPFL reconstruction seems reasonable. Moreover, an effective correction of the bony deformity leads to a more medial and dorsal position of the trochlear groove. This shift of the mechanical position of the patella is followed by a further sagging and insufficiency of the MPFL. Considering these circumstances, an additional MPFL reconstruction as a second surgical step is essential to reach a good clinical outcome. The MPFL reconstruction should be performed as an individually adjusted ligament surgery to ensure an optimized soft tissue balancing. In this article, our method of a combined balanced MPFL- and trochleoplasty and our recommended indications for this technique are described. Our Follow-up results to this procedure as well as to similar techniques in the literature may allow an estimation of the success of a combined MPFL- and trochleoplasty.

Keywords: trochlea dysplasia, medial patellofemoral ligament, patellofemoral instability

Citation: von Engelhardt LV, Jerosch J: Indications and technique of a combined trochleoplasty and MPFL reconstruction. OUP 2020; 9: 158–165 DOI 10.3238/oup.2019.0158–0165

Lars Victor von Engelhardt: Universität Witten/Herdecke, Fakultät für Gesundheit und Sportklinik, Endocenter u. Orthopädische Praxis Damme

Jörg Jerosch: Johanna-Etienne-Krankenhaus, Abteilung für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin, Neuss

Der Patient mit der instabilen Kniescheibe

Bei einer Patellainstabilität wird die Kniescheibe von den Betroffenen oft als “springend, “Pudding-ähnlich“ usw. beschrieben. Bei einem Teil der Patienten kommt es mehrmals täglich, bei anderen eher selten zu einem meist schmerzhaften Herausspringen der Kniescheibe. Neben der ständigen Sorge um eine Luxation und dem damit verbundenen plötzlichen Wegsacken, mitunter auch mit Sturzereignissen, bestehen sowohl belastungsabhängig als auch in Ruhe Schmerzen sowie Reizzustände im betroffenen Knie. Sport, insbesondere Ballsportarten, sind kaum mehr möglich, auch der Alltag ist eingeschränkt [28]. Im Verlauf entwickeln sich zunehmende Knorpelschäden und schließlich bereits in den jungen Jahren das Vollbild einer Arthrose [16, 20, 41, 43]. Somit geht auch das klinische Bild, insbesondere im Rahmen einer konservativen Therapie oder aber auch im Verlauf einer Stabilisierung unter Belassung einer Trochleadysplasie, von anfänglichen Instabilitätsbeschwerden zunehmend in das Bild einer Arthrose über [16, 20, 41]. Die psychischen Folgen dieser schmerzhaften und funktionellen Beeinträchtigung können in Einzelfällen recht ausgeprägt sein [28]. Wichtig für eine adäquate Einordung der psychischen Problematik ist, dass es sich keineswegs um ein subjektives Instabilitätsgefühl, sondern um eine bildgebend und klinisch sicher verifizierbare Instabilität handelt. “Ein mangelndes Vertrauen in das Knie“ ist somit kein Ausdruck von psychischen Problemen, sondern Folge der zugrundliegenden Pathologie.

Pathophysiologie der Patellainstabilität

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