Übersichtsarbeiten - OUP 03/2020

Indikationen und Technik einer kombinierten MPFL- und Trochleaplastik

Nach dem Zugang wird die Trochlea mit Langenbeck-Haken dargestellt. Ausgehend von der Knorpel-Knochen-Grenze erfolgt die Ablösung der osteochondralen Trochleafläche bis weit distal mit einem Meißel (Abb. 3b). Die Dicke des noch vorhandenen subchondralen Knochens sollte hier näherungsweise bei 2 mm liegen. Um einen genügend flexiblen osteochondralen Lappen zu erhalten, ist eine schonende Ausdünnung des subchondralen Knochens mit einer hochtourigen Diamantfräse nötig (Abb. 3d). Um den Knorpel hierbei nicht zu schädigen, erfolgt dies unter sanftem Anheben des Lappens bspw. mit einer anatomischen Pinzette und unter fortlaufender Spülung (Abb. 3d, 3e). Zwischenzeitlich wird die erzielte Flexibilität des Lappens palpatorisch überprüft. Ist ein ausreichend flexibler Lappen erreicht, beginnt die vertiefende Knochenabtragung. Während die flexible Knorpelschuppe nach anterior angehoben wird, kann die Vertiefung der subkortikalen Spongiosa sowohl mit Osteotomie-Meißel als auch mit einer Fräse vorgenommen werden (Abb. 3d, 3e). Damit wird zentral eine neue vertiefende Gleitrinne für die Patella geschaffen; die laterale Trochleakante sollte zur Schaffung eines möglichst großen lateralen Inklinationswinkels erhalten bleiben (Abb. 3d). Zudem sollte die neu geschaffene Furche die angestrebte Tiefe und Lage erreichen und harmonisch geformt sein. Insbesondere in Fällen mit einem erweiterten oder grenzwertigen TT-TG und/oder asymmetrischen Facetten kann die Abtragung proximal und auch nach distalen Abschnitten ein wenig nach lateral hin erfolgen. So kann die Gleitrinne ein wenig lateralisiert werden. Ein erweiterter TT-TG und eine Facettenasymmetrie sind somit effektiv adressiert. Hierunter erhoffen wir uns ein korrigiertes, eher gerades Gleiten zu erzielen und den Anpressdruck zu verbessern. Nun wird der osteochondrale Lappen unter Fingerdruck sanft in die neue Furche eingepresst, glatt anmodelliert, die harmonische Kontur überprüft und evtl. nachkorrigiert (Abb. 3g). Im nächsten Schritt erfolgt die Etablierung der Passagelöcher für das Vicrylband, mit welchem später der osteochondrale Lappen in das neue Bett der Trochlea gedrückt wird (Abb. 3f). Dies kann mit einem feinen Pfriem oder einem kleinlumigen Bohrer erfolgen. Proximal erfolgt das Eingehen mit dem Pfriem genau auf Höhe der Knorpel-Knochen-Grenze. Für die untere Fadenverankerung und transossäre Passage durch den Knorpel ist es wichtig, ausreichend weit distal und ein wenig lateral versetzt einzugehen, da der Verlauf des Bandes später der neu geschaffenen, leicht lateralisierten Gleitrinne entsprechen soll. Über eine ausreichend feste, scharfe sowie große Ösennadel erfolgt anschließend die Passage beider Bandenden nach lateral (Abb. 3f). Somit sind beide Bandenden an der Femuraußenseite, wo sie angezogen und verknotet werden können, vorgelegt. Anschließend erfolgt das schonende Einpressen des flexiblen osteochondralen Lappens in den vertieften Knochen. Über einen zunehmend angezogenen Knoten, ein wiederholtes Anpressen erfolgt die flächige Anmodellierung in der Tiefe und die finale Verknotung des Vicrylbandes mit weiteren Halbschlägen (Abb. 3g, 3h). Für die notwendigerweise enorm feste Verknotung auf dem in der Tiefe gelegenen Periost verwenden wir gerne einen arthroskopischen Knotenschieber. Gelegentlich wird, wenn bspw. nach lateral hin das Anpressen auf die laterale Kante intensiviert werden soll, auch ein zweites, nach kraniolateral laufendes Band vorgelegt und verknotet. Einige Kollegen stehen der Trochleaplastik eher kritisch gegenüber, da sie durch die Abhebung des osteochondralen Lappens und die Vicrylbandfixierung Schäden wie bspw. Nekrosen an den Gelenkflächen erwarten. Mehrfache eigene arthroskopische Nachuntersuchungen (Abb. 3i) sowie Publikationen von Blønd et al. und Schöttle et al. zeigen jedoch, dass das Vicrylband in kurzer Zeit vollständig resorbiert wird und v.a. keine Knorpelschäden im Bereich der versetzten und plastisch verformten Gelenkflächen auftreten [30; 7]. Zur histologischen Beurteilung konnten Schöttle et al. 2 osteochondrale Biopsien 6 und 9 Monate nach Trochleaplastik entnehmen. Neben einer histologischen Untersuchung zur Beurteilung der Knorpel-Knochen-Qualität erfolgte eine Konfokalmikroskopie zur Beurteilung der Lebens- und Funktionsfähigkeit der Knorpelzellen. Hier zeigte sich trotz der Abhebung und Ausdünnung des osteochondralen Lappens ein normaler histologischer Knorpel-Knochen-Befund mit einer entsprechenden Knochenneubildung in der Osteotomiezone. Insbesondere Knorpel- oder Knochennekrosen zeigten sich nicht [30].

Zur Sehnenentnahme erfolgt eine weitere kleine Inzision entweder über dem Pes anserinus oder über der medialen Kniekehle. Die Sehne wird je nach Größe des Kniegelenkes gekürzt und an beiden Enden über ca. 3 cm mit Whipstitch-Nähten armiert. Anschließend legen wir die Sehne in Vancomycinlösung ein. Mittlerweile besteht ausreichend Evidenz, dass dieser Schritt die Chance von infektiösen Komplikationen dramatisch reduziert und das Ergebnis einer Bandplastik nicht beeinträchtigt [22]. Daher raten wir bei allen Patienten mit einer Hamstring-Bandplastik zu dieser Infektprophylaxe. Wir empfehlen dies seit einigen Jahren und haben seither, trotz hoher Fallzahlen, keinen Infekt zu verzeichnen. Anschließend erfolgt die Zuwendung zur medialen Patellakante. Hier wird ein 2 cm langer, V-förmiger Knochenkanal gebohrt. Dazu wird einmal vom superomedialen Pol und einmal von der Mitte der medialen Facette möglichst steil aufeinander zugebohrt (Abb. 3h, 3i). Vor der Bohrung mit kanülierten Bohrern testen wir mit vorgelegten K-Drähten, ob die geplanten Bohrkanäle auch wirklich aufeinander treffen (Abb. 3a). Treffen sich die vorgelegten K-Drähte, hat auch die V-förmige Überbohrung im Bereich des Aufeinandertreffens keinen Versatz. Die Verwendung eines V-förmigen Bohrkanales mit möglichst vertikalen Schenkeln bietet unseres Erachtens einige Vorteile. So haben wir in all unseren bisherigen Fallserien keine Patellafraktur beobachten müssen. Dies ist bei anderen Techniken eine gar nicht so seltene Komplikation. In der Literatur finden sich meistens Querfrakturen, die regelmäßig entlang der eingebrachten Anker, PEEK-Schrauben etc. liegen [12, 34]. Dhinsa et al. beschrieben als Risikofaktor für Frakturen großlumige und horizontale Bohrungen [12]. In unserer Technik werden vornehmlich kleinlumige und v.a. möglichst vertikale Bohrungen ohne zusätzliches Verankerungsmaterial verwendet. Frakturen sowie die häufig symptomatischen Implantatlockerungen werden damit vergleichsweise sicher vermieden. Die Transplantat-Passage erfolgt über einen Shuttle-Faden, der mit einer mittelgroßen Ösennadel eingezogenen wird. Nach dem Durchzug der Gracilissehne wird die Passage zwischen den beiden Kapselblättern zum femoralen Insertionspunkt präpariert (Abb. 3c). Der femorale Insertionspunkt wird im seitlichen Röntgen entsprechend der Beschreibung von Schöttle et al. unter deckungsgleich eingestellten Kondylen aufgesucht und mit einem K-Draht markiert. Hier liegt der Insertionspunkt in einem gedachten Viereck vor der Tangentialen zur posterioren Kortikalis sowie zweier hierzu rechtwinkliger Linien durch das posteriore Ende der Blumensaat-Linie und dem Beginn des medialen Femurkondylus [31]. Von hier aus wird der K-Draht leicht aufsteigend bis zum lateralen Gegenkortex vorgebohrt. Die intraoperative röntgenologische Kontrolle des femoralen Insertionspunktes erachten wir als wichtig. Bspw. zeigte eine MRT Studie von Servien et al., dass fehlerhaft angelegte femorale Bohrtunnel bei einer MPFL-Plastik gar nicht so selten zu finden sind. In bis zu 35 % der Fälle liegen die Tunnel zu weit vorne und/oder proximal [33]. Weitere Untersuchungen zeigten, dass dies bei Kniebeugung messbar überhöhte Spannungen und Drücke im Retropatellargelenk nach sich ziehen kann [36]. In der Folge kommt es zu vorderen Knieschmerzen und Bewegungsdefiziten. Herschel at al. zeigten, dass die röntgenologische Festlegung der femoralen Insertion zuverlässiger ist als die palpatorische [17]. Basierend auf diesen Daten empfehlen wir sowohl die palpatorische, v.a. aber auch die röntgenologische Einbringung des Zieldrahtes. Nachdem der Draht eingebracht ist, wird dieser mit einem 7 mm-kanülierten Bohrer überbohrt, so dass ein gut 4 cm langer, blind endender Knochenkanal entsteht (Abb. 3l). Es erfolgt die Passage zweier Ösendrähte, die ausgehend vom blinden Ende des Tunnels divergierend durch das Femur von medial nach lateral laufen. Somit besteht zwischen den Austrittspunkten beider Ösendrähte am lateralen Kortex eine Knochenbrücke von mindestens 2 cm (Abb. 3k, 3l). Die beiden freien Enden des Gracilis-Transplantates werden ausgehend von der Patella zwischen den beiden Kapselblättern zum anatomischen medialen femoralen Insertionspunkt geführt und jeweils in die Fadenösen eingeführt. Durch Zug am lateralen Ende der Durchzugsdrähte werden die beiden Transplantatenden in den blinden Bohrkanal eingeführt und die Armierungen durch den lateralen Femurkortex gezogen (Abb. 3l). Im letzten Schritt werden die Fadenpaare auf dem lateralen Kortex zusammengeführt, angezogen und in der 30°-Flexionsstellung mit einem Nadelhalter temporär fixiert. Zu diesem Zeitpunkt sollte der Quadrantentest und die Testung der Transplantatspannung bei verschiedenen Beugegraden durchgeführt werden. Die Beugung sollte hierbei vollständig frei sein. Die Patella sollte auch in strecknahen Positionen nicht mehr luxierbar und gleichzeitig sollte eine begrenzte Verschieblichkeit gewährleistet sein. In unseren Händen sollte die Patellaverschieblichkeit in Streckung und in strecknahen Positionen ca. eine halbe Patellabreite betragen. Die Möglichkeit eine Überspannung zu korrigieren, kann im Rahmen der funktionellen Testung problemlos genutzt werden. Erst wenn das Gleiten der Patella in Funktion, der Quadrantentest und die Transplantatspannung in unterschiedlichen Beugegraden zufriedenstellend eingestellt ist, erfolgt die dauerhafte Verknüpfung (Abb. 3m). Hierdurch gelingt unserer Meinung nach eine individuelle Alignement-Anpassung sowie sichere Spannungseinstellung [42]. Aus unserer Sicht ist die Einstellung der MPFL-Spannung während der Operation ein wesentlicher Faktor, um zu einem guten Ergebnis zu kommen. Sowohl für den temporären Knoten als auch für die dauerhafte Verknotung nutzen wir zum Erzielen eines sicher und fest auf dem in der Tiefe gelegenen Periostes wiederum den arthroskopischen Knotenschieber. Entsprechend der Literatur scheint eine sichere intraoperative Einstellung der Transplantat-Spannung des MPFL hingegen nicht selbstverständlich [9, 39]. Beugelimitierungen und eine überhöhte Transplantat-Spannung mit entsprechend hohen Anpressdrücken auf das patellofemorale Gleiten sowie vordere Knieschmerzen sind somit keine Seltenheit. Aus genau diesen Gründen diskutiert Chouteau in einem aktuellen Review den Bedarf nach einer Operationstechnik, die ein solches Überspannen der MPFL-Plastik vermeidet [9]. Schaut man zudem in die Literatur, so ist es schwierig, die beste Technik zu finden, mit der das Transplantat während der Operation eingestellt und fixiert wird, um schließlich eine optimale Spannung zu erhalten. Thaunat und Erasmus empfehlen eine volle Extension sowie eine eher weiter distal angelegte femorale Insertion, um eine Überspannung während der Knieflexion zu verhindern [39]. Autoren weiterer Studien ziehen Techniken vor, die eine Transplantat-Verknüpfung bei 30°-45° Beugung vorsehen [4, 19, 23]. Wasiak et al. fixieren das Transplantat in 20° Flexion und verschieben sie ein wenig nach lateral, bevor sie diesen endgültig miteinander verknüpfen [47]. Weitere Autoren ziehen eine Position zwischen 60° und 90° Kniebeugung vor, weil diese eine präzisere Einstellung der Patella in den inferioren Teilen des trochlearen Gleitlagers zulässt [35]. Bei der Zusammenschau dieser Studien scheint es, dass die eine optimale Methode zur Spannungseinstellung der Transplantat-Fixierung noch nicht beschrieben wurde. In unseren Händen führt sowohl die Überprüfung des Quadrantentests als auch die Prüfung der Beugung häufig zu sinnvollen, feinen Nachjustierungen. Daher empfinden wir unsere Methode als äußerst zuverlässig. Erst wenn der Operateur mit der Beweglichkeit und Spannung der Kniescheibe zufrieden ist, folgt die endgültige Fixierung des Transplantates und schließlich der schichtweise Kapsel- und Hautverschluss (Abb. 3n). Somit erachten wir unsere individuell balancierte Technik, die eine sichere Testung und Einstellung der Transplantat-Spannung erlaubt, sowohl für die MPFL-Rekonstruktionen im Rahmen von Trochleaplastiken [44] als auch für die reinen MPFL-Plastiken [42] als eine logische und praktikable Lösung.

Klinische Ergebnisse

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