Übersichtsarbeiten - OUP 04/2018

Individualisierte Knieendoprothetik: der patientenspezifische Teilgelenkersatz

Für Patienten mit einer isolierten unikondylären Arthrose oder einer unikondylären Arthrose mit symptomfreier fokaler Arthrose in einem weiteren Kompartiment stellt die Versorgung mit einer sogenannten Schlittenprothese eine bei erfahrenen Operateuren minimalinvasive Therapieform mit schneller Rekonvaleszenz, guten funktionellen Ergebnissen und hoher Wahrscheinlichkeit eines „forgotten knees“ dar [5, 7, 8, 13, 15, 26, 27]. Diese Vorteile werden jedoch (u.a. aktivitätsbedingt) durch eine im Vergleich zu einer totalendoprothetischen Versorgung erhöhte Revisions- und Lockerungsrate erkauft. Dies wurde durch verschiedene Registerdaten und Veröffentlichungen belegt [17, 25, 32]. Aufgrund der Asymmetrie insbesondere des Tibiaplateaus zeigen sich gravierende Unterschiede zwischen medialem und lateralem Kompartiment. Diese Unterschiede werden von konventionellen unikondylären Prothesensystemen im Gegensatz zu den individuellen Prothesen in der Regel nicht berücksichtigt, das laterale Kompartiment wird meist als ein medial gespiegeltes Modell angeboten.

Die bikompartimentelle
Versorgung

Ist eine unikondyläre Versorgung wegen zusätzlicher retropatellarer Arthrose nicht mehr ausreichend, war bisher eine totalendoprothetische Versorgung üblich. Dabei wurde der Verlust eines gesunden Kompartiments und mindestens eines Kreuzbands in Kauf genommen. Diese Vorgehensweise steht im Gegensatz zu dem Bestreben nach Substanzerhaltung, die insbesondere bei jüngeren Patienten, bei denen mit Wechseloperationen gerechnet werden muss, wichtig ist. Zudem haben die Kreuzbänder propriozeptive Eigenschaften und spielen eine wichtige Rolle in der Kinematik des Kniegelenks, sodass der Erhalt vor allem für jüngere, ggf. auch sportlich aktive Patienten von großer Bedeutung ist. Da der Anteil an trikompartimentellen Arthrosen nur bei 30 %, der Anteil der bikompartimentellen Arthrosen jedoch bei 30–60 % liegt [11, 16, 30, 33], bekommt die bikompartimentelle Versorgung mehr und mehr Bedeutung. Durch dieses Vorgehen kann eine Opferung wertvoller Bandstrukturen und gesunder Kompartimente in vielen Fällen vermieden werden. Eine neuere, mit Hochgeschwindigkeits-Videoanalysen von verschiedenen Aktivitäten durchgeführte Studie von Wang et al., bei der eine Gruppe von 4 bikompartimentell (ConforMIS iDuo) versorgten Patienten mit 7 totalendoprothetisch (Zimmer®, Persona) versorgten Patienten und einer 12 Personen umfassenden Kontrollgruppe postoperativ über 6 Monate bei Ausführung von verschiedenen Aktivitäten hinweg verglichen wurde, belegte eine zum Teil deutlich größere Nähe zwischen der bikompartimentell versorgten Gruppe und der Kontrollgruppe als zwischen der totalendoprothetisch versorgten Gruppe und der Kontrollgruppe [31]. Bisher vorliegende Ergebnisse, die sich auf einteilige bikompartimentelle Systeme beziehen, sind unterschiedlich und z.T. kritisch ausgefallen: es zeigten sich u.a. persistierender Knieschmerz und Einschränkungen in der Funktion [20, 22]. Im Vergleich dazu vielversprechendere Ergebnisse wurden in jüngerer Zeit von bikompartimentellen 2-teiligen Systemen berichtet. Die bikompartimentelle Versorgung entspricht von der Operationszeit her einem Doppeleingriff, zudem bedarf es einiger Erfahrung, die 2 Implantate optimal zu orientieren.

Herstellung, Design und
Operationstechnik des individuellen Teilgelenkersatzes

Sowohl die Prothese als auch die zur Implantation und zur exakten Ausrichtung verwendeten Instrumente werden patientenindividuell anhand einer auf CT-Daten basierenden 3D-Rekonstruktion geplant und dann im 3D-Druckverfahren im CAD-CAM-Design hergestellt. Das Spektrum möglicher Versorgungen umfasst mediale und laterale unikondyläre Versorgungen (iUni, Abb. 1), mediale und laterale bikompartimentelle Versorgungen (iDuo, Abb. 2) und totalendoprothetische Versorgungen (iTotal), die sowohl kreuzbanderhaltend als auch kreuzbandsubstituierend ausgeführt werden können. Jede einzelne Planung erfolgt durch Ingenieure mithilfe eines Algorithmus, der die individuelle Oberflächengeometrie, die mechanische Beinachse, knöcherne Verluste und Osteophyten berücksichtigt. Hierbei ist klar zwischen den hier vorgestellten patientenindividuellen Instrumenten und Prothesen und den rein individuellen Schnittblöcken zu unterscheiden. Während bei ersteren sowohl individuell gefertigte Instrumente und Prothesen Verwendung finden, werden bei den individuellen Schnittblöcken ausschließlich Standardimplantate verwendet. Trotz des hierbei verwendeten individuellen Ansatzes wurde mittlerweile belegt, dass sich aus diesem Verfahren kein Vorteil ergibt [6, 28]. Die individuellen Prothesen unterscheiden sich in ihrer Bauform, den biomechanischen Eigenschaften und der Implantationstechnik von den Standardimplantaten. Sie müssen daher als Sonderprothesen mit OPS 5–822.91 kodiert werden.

Das individuelle Design ermöglicht eine optimale Passform sowohl bezüglich Abdeckung als auch bezüglich Rotation. Aus Überständen der Prothese resultierende Weichteilverletzungen, Schmerzen und Funktionseinschränkungen werden somit vermieden. Gleichzeitig können auch Unterstände vermieden und damit die Gefahr einer Sinterung der Prothese deutlich verringert werden. Eine Einbeziehung der anatomischen und der mechanischen Beinachse aus den CT-Daten ermöglicht eine annähernde Wiederherstellung der ursprünglichen Kinematik des Knies.

Für die OP stehen patientenindividuelle Schablonen und Instrumente, die Implantate und eine Planung in Form eines farbigen Ausdrucks (iView) zur Verfügung. Der farbige Ausdruck zeigt sowohl die zu entfernenden Osteophyten als auch die erforderlichen femoralen knöchernen Resektionen im Sinne einer true measured resection an. Eine optimale Passform der patientenindividuellen Schablonen setzt eine exakte Befreiung des Knochens von Knorpel und Osteophyten voraus. Die Entfernung der Osteophyten stellt das einzige notwendige release dar. Die Bandspannung kann mithilfe von 4 sogenannten Navigationschips (A – D), mit je 1 mm Dickenunterschied, adaptiert werden. Die Summe aus der Dicke des gewählten Navigationschips und der knöchernen Resektionshöhe ist immer gleich, sodass eine kleine Dicke des Navigationschips mit einer großen Resektionshöhe einhergeht und umgekehrt. Mithilfe des auf der Tibia exakt aufliegenden ausgewählten Navigationschips wird die eigentliche Resektionsvorrichtung angebracht. Coronare Ausrichtung, individuelles tibiales slope und Resektionshöhe werden so vorgegeben. In bisheriger Generation der individualisierten Teilgelenkersätze ist eine femorale knöcherne Resektion nicht erforderlich; die Implantate liegen subchondral auf. Alle Versorgungen sind zementiert. Femoral wird eine zusätzliche Verankerung und Rotationssicherung durch zwei pegs und multiple Zementretentionslöcher im subchondralen Knochen erzielt. Eine tibiale Verankerung und Rotationssicherung erfolgt durch 2 pegs, eine Finne sowie potenzielle Zementretentionslöcher. Die fixed bearing inlays sind in doppelter Ausführung als 6 mm Inlay realisiert. Für den Fall einer ungenügenden Bandspannung liegt ein 8 mm Inlay in einfacher Ausführung vor.

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