Übersichtsarbeiten - OUP 04/2018

Individualisierte Knieendoprothetik: der patientenspezifische Teilgelenkersatz

Generell ist eine individuelle bikompartimentelle Versorgung für jeden Patienten indiziert, ausgenommen davon sind Patienten mit einer trikompartimentellen Gonarthrose, einer Bandinstabilität oder einer Achsfehlstellung größer 15°, da hier Beinachse, Bandspannung und knöcherne Verluste nicht sicher abschätzbar sind.

Eigene Studienergebnisse
zum individuellen
Teilgelenkersatz

In einer zwischen 2014 und 2015 durchgeführten Studie wurden 44 patientenspezifische bikompartimentelle Prothesen (ConforMIS iDuo) bei 44 Patienten (25 Frauen, 19 Männer) implantiert. Die Eingriffe erfolgten in 2 Zentren durch 3 erfahrene Chirurgen. In jedem Fall war das mediale und das retropatellare Kompartiment betroffen. Der Western Ontario und McMaster University Osteoarthritis Index (WOMAC-Score), die visuelle Analogskala (VAS-Score) und Bewegungsumfang (ROM) wurden präoperativ erfasst und bis 1 Jahr postoperativ nachverfolgt. Der WOMAC score stieg dabei von 43 auf 79 an. Die nach dem VAS score quantifizierte Schmerzempfindung sank dabei von 5,7 auf 1,7 beim Gehen, und von 7,3 auf 2,8 beim Treppensteigen. Der Bewegungsumfang nahm von 122° auf 129° zu [29].

Im Rahmen einer 2013 initiierten und in 11 Zentren durchgeführten Multicenterstudie wurden 79 Patienten patientenspezifische bikompartimentelle Prothesen (ConforMIS iDuo) implantiert. Dabei wurde u.a. die Kniegelenksbeweglichkeit, der Knee-SocietyScore (KSS) und die Patientenzufriedenheit erfasst. Ein Jahr postoperativ stieg die Bewegungsamplitude von einem präoperativen Ausgangswert von 112° auf 129°. Gleichzeitig stieg der KSS von 67 auf 93 und die Patientenzufriedenheit nahm auf einer von 0 bis 40 reichenden Skala von 13 auf 30 zu (Abb. 3 u. 4). Die 2-Jahres-Ergebnisse dazu befinden sich momentan im Review und werden in Kürze separat veröffentlicht.

Eine vergleichende Studie von einteilig ConforMIS iDuo versus 2-teilig DePuy Partial wurde auch von den Autoren begonnen.

Auch bezüglich der unikondylären Versorgung wurde eine randomisierte prospektive Studie mit Vergleich dreier verschiedener medialer Systeme (ConforMIS iUni, Biomet Oxford und DePuy Partial) durchgeführt. Alle 3 Systeme verbesserten signifikant sowohl die klinischen Ergebnisse als auch die Lebensqualität und die Scores (VAS, KOOS, KSS, sowie nach Rhee und nach Valderrabano) im Vergleich zu präoperativ erhobenen Werten. Hinsichtlich klinischer Befunde und Scores zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen den 3 Systemen, wobei das individualisierte System aber tendenziell besser abschnitt. Die Passform der Prothesen war für die individualisierten Prothesen signifikant genauer [1]. Es muss jedoch beachtet werden, dass hier bisher nur kurzfristige Jahresergebnisse vorliegen.

In einer amerikanischen Kohortenstudie ergab sich bei 89 % von 120 Patienten, die mit einer individuellen unikondylären Prothese versorgt worden waren, nach einem Jahr subjektiv ein „natürliches Gefühl“ im operierten Knie. Zudem waren die klinischen Ergebnisse und Revisionsraten im Vergleich mit anderen Kohortenstudien besser.

Die bisher vorliegenden Ergebnisse, die z.T. noch separat veröffentlicht werden, sind insgesamt sehr vielversprechend. Abschließende Aussagen können jedoch wegen noch fehlender Langzeitergebnisse nicht getroffen werden.

Diskussion

Ein Bedarf für eine Knieprothese entsteht zunehmend auch bei jüngeren Patienten. Bei vergleichsweise jüngeren Patienten sind die Ansprüche an die Belastbarkeit der Knieprothese im Allgemeinen höher als bei vergleichsweise älteren Patienten. Gleichzeitig nimmt der Informationsstand der Patienten, der auch durch den Wettbewerb der Knieprothesen durchführenden Kliniken und Prothesenhersteller beeinflusst wird, zu. Die Patienten treten daher bereits mit bestimmten Erwartungen und Forderungen nach bestimmten Versorgungen an die behandelnden Ärzte heran.

Vor dem Hintergrund, dass etwa 20–30 % der Patienten mit dem Operationsergebnis nicht zufrieden sind, gewinnt eine möglichst realistische Darstellung der Erfolgsaussichten und Risiken daher zunehmend an Bedeutung.

Die Verringerung der Zahl unzufriedener Patienten und des daraus resultierenden Bedarfs an Revisionen ist mit Blick auf den steigenden Bedarf an Knieprothesen ein wichtiges Ziel. Auch wenn diese Zahl durch einen Teilgelenkersatz deutlich reduziert werden kann, bleibt die Anpassung der Prothesen an die individuelle Situation eine prima facie naheliegende Option zur weiteren Verbesserung.

Allerdings muss auch der Nutzen naheliegender Konzepte über längere Zeiträume beobachtet und validiert werden, da In-vitro-Versuche letztlich immer nur eine Annäherung an die In-vivo-Situation darstellen können.

Die kritische Zurückhaltung vieler Endoprothetiker, die über eigene langjährige Erfahrungen verfügen, mag sich auf die noch fehlenden Langzeitergebnisse stützen, aber auch aus einer generellen Zurückhaltung gegenüber noch nicht Bewährtem und einem per se vorhandenem Zögern gegenüber einer Umstellung erklärbar sein.

Nicht übersehen werden sollte jedoch, dass die Entwicklung der Knieendoprothetik in den letzten Jahren immer mehr in Richtung individualisierter Versorgungen gegangen ist. Dies zeigt sich auch darin, dass fast alle namhaften Prothesenhersteller zumindest individualisierte Schnittblöcke oder neue, in Bezug auf ihre Größe feiner abgestufte Prothesensysteme anbieten, zu denen bisher keine oder sehr wenige vergleichende oder kontrollierende Studien publiziert worden sind. Für die Kombination individualisierter Schnittblöcke mit herkömmlichen Prothesen haben sich bisher keine Vorteile gezeigt [6, 28]. Dies darf jedoch nicht auf das in Gänze davon unterschiedliche Konzept einer Paarung von individuellen Schnittblöcken mit individuellen Prothesen übertragen werden.

Eine Ablehnung eines neuen Konzepts wegen fehlender prospektiv-randomisierter Vergleichsstudien käme dem Ende jeglichen medizinischen Fortschritts gleich. Die moderne Medizin zielte schon immer darauf ab, auf Erfahrungen aufzubauen, sich aber gleichzeitig nicht gegenüber neuen Entwicklungen zu verschließen. Letztlich basiert nicht nur die rasante Entwicklung der modernen Medizin, sondern die gesamte Zivilisation der Industrienationen auf den Prinzipien des Fortschritts, der Forschung und der Gewinnung neuer Erkenntnisse.

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