Übersichtsarbeiten - OUP 05/2023

Interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie (IMST)

Gerade verminderte dysfunktionale körperliche Leistungsfähigkeit durch Schonung bzw. ständiges ausgeprägtes Überforderungsverhalten lassen sich durch Pacing-Programme und Graded Activity oder Konfrontation („Exposure“) in Zusammenarbeit mit den Psychotherapeutinnen und -therapeuten korrigieren. Ebenso gilt dies für die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit, unterstützt durch Work Conditioning bzw. Workhardening.

Ergebnisse

Prospektive Studien zeigen für die IMST positive und langfristige Effekte hinsichtlich einer Verminderung der Beschwerden sowie der Krankheitssymptomatik und auch der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen für unterschiedliche Schmerzerkrankungen und Patientengruppen [11–12, 24–32].

Auch international belegen systematische Reviews und Metaanalysen die Effektivität multimodaler Schmerztherapieprogramme beim Rückenschmerz [33], Fibromyalgiesyndrom [26] und weiteren Schmerzsyndromen [34].

Erste Ergebnisse einer prospektiven multizentrischen Studie zur Effektivität bezüglich Schmerzintensität und Funktionsstatus bei chronischen vertebragenen Schmerzsyndromen mit multimodaler muskuloskelettaler Komplextherapie (OPS 8–977) mit besonderer Berücksichtigung manualmedizinischer und physiotherapeutischer Maßnahmen sowie psychotherapeutischer Beteiligung zeigen bei Abschluss der komplexen Behandlung signifikante Verbesserungen [35–36].

IMST ist aber auch bei spezifischen Schmerzsyndromen im Zusammenhang mit psychischen Faktoren effektiv. So zeigten sich bei verschiedenen neuropathischen Schmerzsyndromen hochsignifikante Verbesserungen bezüglich Schmerzintensität und Funktion [37]. Ebenso wird die IMST bei therapieresistenten chronischen Schulterschmerzen mit schmerzunterhaltenem Verhalten empfohlen [38] sowie beim chronischen Kopfschmerz.

Auch im Bereich chronisch-rheumatischer Beschwerden gibt es eine multimodale rheumatologische Komplexbehandlung (OPS 8–983) mit Berücksichtigung der Funktionseinschränkung und des Schmerzausmaßes zu Beginn und am Ende des stationären Aufenthaltes. Steht die Behandlung chronifizierter Schmerzsyndromen insbesondere myofaszieller Beschwerden, Fibromyalgie bzw. stabil eingestellter entzündlich-rheumatischer Erkrankungen mit deutlichen psychosozialen Faktoren im Vordergrund, sollte der IMST (OPS 8–918) der Vorzug gegeben werden.

Eine wirkliche Verbesserung der Versorgung chronisch Schmerzkranker dürfte nur durch eine flächendeckende Implementation multimodaler Schmerztherapieprogramme in das Gesundheitssystem erreicht werden. Dazu müssten die strukturellen und organisatorischen Voraussetzungen z.B. in Form eines Disease-Management-Programms (DMP Rückenschmerz) geschaffen werden, um die Behandlungsform bei nachgewiesenem Bedarf deutschlandweit und sektorenübergreifend einzusetzen.

Tagesklinische
(teilstationäre) Behandlung

In einer schmerztherapeutischen Tagesklinik werden Patientinnen und Patienten mit chronischen Schmerzen in einer festen Gruppe über einen Zeitraum von 3–4 Wochen mit einem interdisziplinären multimodalen Behandlungsprogramm behandelt, das heißt, die Behandlung findet werktags in eigenen Therapieräumen statt. Neben Gruppenbehandlungen finden auch Einzelbehandlungen und -gespräche statt. Für die Pausen zwischen den Anwendungen steht ein Ruhe- und Rückzugsraum zur Verfügung. Die Fahrt zur Klinik und nach Hause erfolgt in Eigenregie der Patientin/des Patienten.

Inhaltlich finden auch hier die Kriterien der interdisziplinären multimodalen Schmerztherapie ihre Anwendung. In Abgrenzung zur vollstationären Behandlung muss eine psycho-physische Leistungsfähigkeit vorliegen, die eine behandlungstägliche An- und Abreise zulässt. Entscheidend für die Aufnahme in eine teilstationäre Behandlung sind weniger die Schmerzdiagnosen, sondern vielmehr das Fehlen wesentlicher Mobilitätseinschränkungen, bedingt durch eine kardio-pulmonale Leistungseinschränkung oder auch beeinträchtigende somatische oder psychische Komorbiditäten. Medikamentenentzüge, insbesondere von Opiaten, sind für eine tagesklinische Behandlung weniger geeignet. Zu beachten ist, dass es nicht immer harte Kriterien sind, die für die eine oder andere Behandlungsform sprechen, sondern dass die Übergänge fließend sein können und es immer wieder am Einzelfall orientierte Entscheidungen im Rahmen des Assessments geben muss.

Ein Vorteil der teilstationären Behandlung liegt im Gegensatz zur vollstationären Behandlung darin, dass behandlungstäglich eine Rückkehr in die gewohnten familiären und sozialen Bezüge stattfindet, sodass der Übertrag der therapeutisch intendierten Verhaltensänderungen der teilstationären Behandlung leichter gelingen kann. Andererseits kann im Rahmen einer vollstationären interdisziplinären multimodalen Schmerztherapie (IMST) gerade die zeitlich befristete Trennung aus einem problematischen privaten bzw. sozialen Umfeld vorteilhaft sein. Für die Behandlungsdauer können damit negative Einflussfaktoren aus dem ambulanten Umfeld der Patientinnen und Patienten minimiert werden, die einem Therapieerfolg entgegenstehen.

Die Zuordnung zu den Versorgungssektoren d.h. zur ambulanten oder tagesklinischen (teilstationären) oder stationären Behandlung erfolgt anhand der Ausprägung der Schmerzerkrankung, deren Chronizität und Komplexität sowie der daraus resultierenden Einschränkungen der Funktionsfähigkeit der Patientin/des Patienten in den verschiedenen Lebensbereichen und der durch Komorbiditäten verursachten Leistungseinschränkungen.

So kommen für eine ambulanten IMST in ersten Linie Patientinnen und Patienten in Frage, die noch eine vergleichbar kurze Schmerzgeschichte haben, eher chronifizierungsgefährdet sind bzw. sich in einem frühen Stadium der Chronifizierung (MPSS I/II) befinden, so dass die Erkrankung noch nicht zu umfassenden Veränderungen im Leben der/des Betroffenen geführt hat. Patientinnen und Patienten mit einer ausreichend stabilen psychischen wie auch physischen Belastbarkeit, die noch dazu in der Lage sind , ihren Alltag aufrecht zu erhalten und beruflichen Anforderungen gerecht werden, können in die ambulante IMST sozusagen berufsbegleitend eingeschlossen werden.

Vor allem aus gesundheitlich-ökonomischem Blickwinkel ist die dadurch gegebene Möglichkeit hervorzuheben, Patientinnen und Patienten mit erhöhtem Risiko einer Chronifizierung im ambulanten Bereich frühzeitig identifizieren und dieser Entwicklung wirksam entgegenzusteuern zu können [39].

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Hans-Raimund Casser

DRK Schmerz-Zentrum Mainz

Auf der Steig 16

55131 Mainz

hans-raimund.casser@drk-schmerz-zentrum.de

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