Übersichtsarbeiten - OUP 06/2016

Kalkar-geführte Kurzschäfte in der Hüftendoprothetik – eine Übersicht

Die dritte Gruppe fasst die schenkelhalsteilerhaltenden Kurzschäfte zusammen, zu welcher auch die kalkar-geführten Schäfte der neuesten Generation gehören. Diese ermöglichen durch eine spezielle Implantationstechnik eine große Variabilität. Hierbei spielt eine individuelle Resektionshöhe am Schenkelhals ebenfalls eine Rolle. Im Rahmen der präoperativen Planung kann die Resektionshöhe individuell festgelegt werden, um so das Offset und die Beinlänge wieder zu rekonstruieren [2, 15]. Auch die Positionierung des Implantats ist damit variabel. Intraoperativ positionieren sich diese Schäfte entlang des medialen Kalkars in entsprechender Varus- oder Valgus-Position (Abb. 1). Eine tiefe Osteotomie bedingt eine valgische Positionierung, während für eine varische Positionierung eine hohe Resektion notwendig ist [6, 10]. Die Krafteinleitung erfolgt meist metaphysär, teilweise ist auch eine diaphysäre Verankerung mitvergesellschaftet. Beispiele für frühe schenkelhalsteilerhaltende Kurzschäfte sind Pipino (1978, Link) und C.F.P. (1999, Link). Die neueste Generation der schenkelhalsteilerhaltenden Schäfte sind allesamt Vertreter der kalkar-geführten Kurzschäfte: Nanos (2004, Smith&Nephew); Minihip (2007, Corin); Optimys (2010, Mathys).

Vorteile von kalkar-
geführten Kurzschäften

Einer der Hauptvorteile von kalkar-geführten Kurzschäften ist eine deutlich Weichteil- und Muskel-schonendere Implantationstechnik im Vergleich zu konventionellen Geradschäften [9] sowie die Schonung des Trochanters (Abb. 2). Nach einer kurzen Lernkurve, so ist unsere Erfahrung, ist die Implantation gerade in Verbindung mit minimalinvasiven Zugängen deutlich komplikationsärmer und einfacher. Durch das speziell abgerundete Design können diese Schäfte unter vollständiger Schonung des Trochanter major und der dort ansetzenden Muskulatur entlang des Kalkars in einer Round-the-corner-Technik in das proximale Femur eingebracht werden [2]. (Abb. 3) Vor allem die Abduktorenmuskulatur kann somit vollständig erhalten und postoperatives Hinken vermieden werden. Zusätzlich sinkt die Gefahr von intraoperativen Trochanterfrakturen [16] (Tab. 1).

Der zweite entscheidende Vorteil ist in der Variabilität der Positionierung dieser Gruppe von Implantaten begründet. Durch die, in Abhängigkeit der Resektionshöhe, mögliche Varus- bzw. Valgus-Position, kann eine große Bandbreite von CCD-Winkeln und damit unterschiedlicher Hüftanatomien besser individuell adressiert werden [17] (Abb. 1). Durch optimalen Erhalt von Offset und Beinlänge ist eine exzellente klinische Funktion zu erreichen [2, 6, 18]. Babisch [19] zeigte 2012 mittels digitaler Planung jeweils an einer normal konfigurierten, einer varischen und einer valgischen Hüfte, wie präzise Beinlänge und Offset mit verschiedenen Kurzschäften wiederhergestellt werden können. Im Ergebnis konnten die Schäfte Optimys (Mathys), MiniHip (Corin) und Fitmore (Zimmer) dabei insgesamt am besten abschneiden.

Auch bei veränderter Anatomie des proximalen Femurs wie z.B. einer kongenitalen Anomalität, einer Dysplasie sowie nach Trauma oder vorhergehenden Operationen können Kurzschäfte aufgrund der variablen Positionierung bzw. der kürzeren Länge durchaus von Vorteil sein. Einer erheblichen Antetorsion des Schenkelhalses kann ein konventioneller Geradschaft nicht gerecht werden [20] (Abb. 4). Bei einliegendem Marknagel und nach Plattenosteosynthesen des proximalen Femurs kann möglicherweise ein Kurzschaft die einzig denkbare Wahl darstellen.

Die größte Ungewissheit herrscht aktuell noch im Hinblick auf mittel- und langfristige Ergebnisse dieser Implantatgruppe. Die Verkleinerung der Verankerungsfläche im proximalen Femur schürt nach wie vor die Sorge, dass sich im Verlauf Mikrobewegungen bis hin zu aseptischen Lockerungen ergeben könnten. Biomechanische Studien der Universität in Ulm konnten für einige Kurzschäfte zeigen, dass sie diesbezüglich den klassischen Geradschäften ebenbürtig und teilweise sogar überlegen sind [21]. In vitro untersucht wurden Mikrobewegungen, Schaft-Tilt in mehreren Ebenen und die Rotationsstabilität der Schäfte: CLS (primär Allopro jetzt Zimmer), CBC (Mathys), Mayo (Zimmer), Fitmore (Zimmer) und Optimys (Mathys). Neuere Untersuchungen hinsichtlich des Migrationsverhaltens kalkar-geführter Kurzschäfte zeigen eine mögliche initiale Sinterung im femoralen Knochen unter Belastung mit einer sekundären Stabilisierung nach den ersten Wochen ohne Hinweise auf Osteolysen oder aseptische Lockerungen [22, 23, 24].

Indikationen für
kalkar-geführte Kurzschäfte

Die Indikationen für insbesondere die neueste Generation der kalkar-geführten Kurzschäfte sind in den letzten Jahren immer weiter ausgeweitet worden, von zunächst ausschließlich jungen und aktiven Patienten bis hin zu älteren Patienten mit eingeschränkterer Knochenqualität sowie zu übergewichtigen Patienten. Klare Grenzen von Indikationen und Kontraindikationen bestehen derzeit, auch auf Grund der zum Teil noch dünnen wissenschaftlichen Datenlage, für den klinischen Alltag nicht. Entsprechend unseren Erfahrungen, können einige kalkar-geführten Kurzschäfte eine große Variation an anatomischen Gegebenheiten (vaurs-valgus- und andere primäre oder sekundäre Deformitäten des proximalen Femurs, Dysplasie) bedienen (Abb. 4) im Sinne einer recht großen „safe zone“, sodass sie mittlerweile für die meisten Patienten und Indikationen angewendet werden können. Sie können aber die über viele Jahrzehnte bewährten konventionellen Standardschäfte nicht komplett ersetzen.

Die Rheumatoide Arthritis stellt aus unserer Sicht keine Kontraindikation dar. Bezüglich aseptischer Hüftkopfnekrosen konnten neuerliche Untersuchungen zeigen, dass eine Versorgung mittels Kurzschaft unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist [25]. In Grenzfällen kann zur zusätzlichen Diagnostik der Ausdehnung der Nekrosezone eine Magnetresonanztomografie (MRT) durchgeführt werden. Bei einer Nekrose, die bis in den Bereich des proximalen Femurs reicht, scheint uns der Kurzschaft nach heutigem Wissensstand eher nicht geeignet zu sein. Allerdings ist bekannt, dass die Standzeit bei Hüftkopfnekrosen insgesamt verkürzt ist [26].

Altersgrenzen werden seitens der Hersteller für Kurzschäfte nicht angegeben. Dies deckt sich mit unserer klinischen Erfahrung. Eigenschaften wie Knochenqualität, Aktivitätsniveau sowie das Nebenerkrankungsprofil der Patienten sollten hierbei berücksichtigt werden. Beispielsweise kann sich gerade bei Patienten hohen Alters mit schweren kardio-vaskulären Nebenerkrankungen, aber noch guter Knochenqualität, die Wahl eines Kurzschafts aufgrund der einfacheren und schnelleren Operationstechnik positiv auf das Ergebnis auswirken. Die intraoperative Fraktur wird bei älteren Patienten häufiger gesehen. Da dies bei den Kurzschäften nach unserer Erfahrung seltener auftritt, kann die Indikation im Einzelfall auch bei älteren Patienten weiter gestellt werden. Bei deutlich eingeschränkter Knochenqualität und ausgeprägter Osteoporose sollte aus unserer Sicht jedoch auf ein zementiertes Implantat zurückgegriffen werden. Aus den Registern (Schweden 2008, Australien 2010) wissen wir, dass die zementierten Standardimplantate bei Patienten etwa ab dem 75. Lebensjahr die längeren Standzeiten erzielen [27].

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