Arzt und Recht - OUP 03/2014
Keine unbegrenzte Befreiung vom Notfalldienst – Wegfall auch bereits durch Rechtsänderung
Liegt ein Befreiungstatbestand vor, eröffneten (jedoch) § 14 Abs. 2 Satz 1 BO und § 6 Abs. 1 Satz 1 NDO der für die Befreiung zuständigen Stelle bei ihrer Entscheidung Ermessen. Der Anspruch der Ärztin auf fehlerfreie Ausübung könne (zwar) durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgesichert werden. Die Bejahung eines Anordnungsanspruchs setzt jedoch voraus, dass mit einer für die Ärztin positiven Entscheidung der für die Befreiung zuständigen Stelle im Hauptsacheverfahren zu rechnen ist (Ermessensreduzierung auf Null) oder bei offenen Erfolgsaussichten und entsprechender Dringlichkeit der Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Gunsten der Ärztin zwecks Vermeidung irreparabler, schwerwiegender Nachteile geboten ist.
An diesen Voraussetzungen fehle es. Dass das der Antragsgegnerin eingeräumte Ermessen dahingehend reduziert wäre, die Ärztin vollständig vom Notfalldienst zu befreien, sei im Beschwerdeverfahren weder dargelegt noch glaubhaft gemacht worden. Die für die Befreiung zuständigen Stelle habe im Beschwerdeverfahren ausgeführt, der Ärztin sei ein solidarischer Beitrag zum Notfalldienst in Form der Finanzierung eines Vertreters zuzumuten, solange die persönlichen Umstände nicht gleichzeitig zu einer Einschränkung der Praxistätigkeit mit den damit verbundenen wirtschaftlichen Einbußen führten.
Die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Zumutbarkeit einer Vertreterbestellung sei grundsätzlich nicht zu beanstanden:
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urteile vom 06.02.2008, Az. B 6 KA 13/06 R = ArztR 2009, 107 sowie vom 11.06.1986, Az. 6 RKa 5/85 = ArztR 1987, 5; vgl. auch Landessozialgericht NRW, Beschluss vom 07.09.2011, Az. L 11 KA 93/11 B ER), habe ein Kassenarzt den Notfalldienst, der für ihn auch eine Entlastung darstellt, zumindest solange gleichwertig mitzutragen, wie er in vollem Umfange kassenärztlich tätig ist. Es sei nicht geboten, einzelne Kassenärzte zu Lasten ihrer Kollegen von kassenärztlichen Pflichten freizustellen, wenn sie im Übrigen ihrer beruflichen Tätigkeit uneingeschränkt nachgingen, also die wirtschaftlichen Möglichkeiten des freien Berufes voll nutzten und deshalb wirtschaftlich nicht schlechter, eventuell sogar besser gestellt seien als ihre Kollegen, auf deren Kosten sie die Freistellung begehrten. Es sei daher mit den Grundsätzen des Kassenarztrechts vereinbar, wenn die Freistellung von der gemeinsamen Aufgabe des Notfalldienstes nicht allein von den gesundheitlichen Verhältnissen des Kassenarztes, sondern auch davon abhängig gemacht werde, ob die gesundheitlichen Verhältnisse sich nachteilig auf die allgemeine berufliche Tätigkeit des Arztes auswirkten und ihm auf Grund seiner Einkommensverhältnisse (des Honorarumsatzes) nicht mehr zugemutet werden könne, den Notfalldienst auf eigene Kosten von einem Vertreter wahrnehmen zu lassen.
Diese Erwägungen seien auf den von der für die Befreiung zuständigen Stelle sicherzustellenden Notfalldienst grundsätzlich übertragbar, zumal dieser zwecks Vermeidung unnötiger Doppelstrukturen zulässigerweise gemeinsam mit der Kassenzahnärztlichen Vereinigung organisiert werde und insoweit eine gleichförmige Verwaltungspraxis sinnvoll erscheine. Der Frage, ob ein Arzt etwa wegen einer Behinderung oder Erkrankung seine Praxistätigkeit eingeschränkt hat und infolge dessen Einkommenseinbußen hinzunehmen hatte, könne daher im Rahmen der von der für die Befreiung zuständigen Stelle zu treffenden Ermessensentscheidung Bedeutung zukommen. Allerdings bedürfe es mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG und aus Gründen der Verhältnismäßigkeit stets der Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls. Ob sich die dauerhafte Versagung einer Befreiung wegen der wirtschaftlichen Zumutbarkeit einer Vertreterbestellung als ermessensfehlerhaft erweist (vgl. Verwaltungsgericht Karlsruhe, Urteil vom 08.12.2011, Az. 9 K 262/11), könne vorliegend dahinstehen.
Dies zugrunde gelegt, sei gegenwärtig nicht ersichtlich, dass das der für die Befreiung zuständigen Stelle eingeräumte Ermessen dahingehend reduziert wäre, die Ärztin vom Notfalldienst zu befreien. Dass ihr wegen der behaupteten krankheitsbedingten Reduzierung ihres Praxisumfangs eine zumindest vorübergehende Vertreterbestellung nicht zugemutet werden kann, sei nicht glaubhaft gemacht worden. Die Ärztin habe auch im Beschwerdeverfahren weder substantiiert vorgetragen noch belegt, in welchem Umfang sie ihre Praxistätigkeit krankheitsbedingt eingeschränkt hat. In ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 03.05.2013 heißt es hierzu, dass sie seit ihrer Karzinomoperation im Jahre 2007 in aller Regel wöchentlich nicht mehr als 60 Stunden arbeite, weil sie dazu nicht mehr in der Lage sei. Seither erbringe sie die umfangreichen Verwaltungstätigkeiten und die intellektuell anspruchsvolle Behandlungsplanung fast ausschließlich während der Praxisöffnungszeiten. Auf eine krankheitsbedingt erfolgte eingeschränkte Praxistätigkeit lasse dies insbesondere unter Berücksichtigung der von der Ärztin in ihrem an die Antragsgegnerin gerichteten Schreiben vom 02.11.2011 geschilderten familiären Belastungen (2 Kinder und pflegebedürftige Schwiegereltern) nicht schließen. Die Erklärungen in der eidesstattlichen Versicherung stünden im Übrigen im Widerspruch zu ihren Angaben im Schriftsatz vom 23.04.2013, wonach sie lediglich auf eine Gesamtarbeitszeit von 24 Stunden komme. Die von der für die Befreiung zuständigen Stelle angeforderten Abrechnungsunterlagen hat die Ärztin ebenso wenig vorgelegt.
Von der Verpflichtung zur Vorlage der angeforderten Unterlagen sei aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht deshalb abzusehen, weil die Ärztin – ohne dass es der Vorlage entsprechender Unterlagen bedurfte – von der Antragsgegnerin für das Jahr 2012 von der Teilnahme am Notfalldienst befreit wurde. Auf das Erfordernis zur Vorlage von Abrechnungsunterlagen im Falle eines Antrags auf Verlängerung der Befreiung vom Notfalldienst sei die Ärztin im Bescheid vom 16.12.2011 ausdrücklich hingewiesen worden.
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.07.2012,
Az. L 11 KA 39/12 B ER
Zum Sachverhalt
Umstritten ist, ob der als Facharzt für Anästhesiologie in einer Gemeinschaftspraxis zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Antragsteller vom ärztlichen Notfalldienst zu befreien ist.