Übersichtsarbeiten - OUP 06/2014

Kitesurfen – sportmedizinische Aspekte, Risikofaktoren und Verletzungen

K. Kristen1, S. Syré2, M. Humenberger2

Zusammenfassung: Kitesurfen ist eine ca. 1995 entstandene Segelsportart. Das Segel des Kitesurfers ist der Kite – ein spezieller Lenkdrachen, der über 4 jeweils 20–25 m lange Leinen gesteuert wird. Obwohl die Risiken dieser Sportart in den Medien häufig hervorgehoben werden, sind nur wenige Studien über Verletzungen und assoziierte Überlastungssyndrome publiziert. Die Autoren haben in den Jahren 2002–2013 die medizinische Betreuung der
Athleten im Rahmen der World Pro Tour am Austragungsort Podersdorf/Österreich durchgeführt. Verletzungen der Athleten und ihre Therapie wurden dokumentiert und ausgewertet. Des Weiteren wurde 2013 eine Befragung anhand eines Fragebogens durchgeführt.

Die Rate der schweren Verletzungen im Wettkampf ist seit 2002 deutlich rückläufig, die Rate der leichten Verletzungen blieb nahezu unverändert. Die Entwicklung der Verletzungsmuster zeigt eine Zunahme der Verletzungen im Bereich der Schulter, was in Relation zu den hoch bewerteten Rotationssprüngen im Wettkampf gebracht werden kann. Risikofaktoren für schwere Verletzungen und Todesfälle sind, wie ein Review zeigte, der Kontrollverlust über den Kite und das verspätete Abkoppeln der Surferin/des Surfers vom Kite.

Schlüsselwörter: Kite, Kitesurf, Verletzung, sportmedizinische
Betreuung, Review

Zitierweise
Kristen K, Syré S, Humenberger M: Kitesurfen – sportmedizinische Aspekte, Risikofaktoren und Verletzungen.
OUP 2014; 6: 306–311 DOI 10.3238/oup.2014.0306–0311

Abstract: Kitesurfing is a sailing sport invented around 1995. The sail of the kitesurfer is steered by 4 lines of 20–25 m of length. Although the risks of kitesurfing are often reported in media, only a few scientific publications, analyzing kitesurf injuries and risk factors, have been published. The published data is more than 10 years old. But the sport has grown and changed since. The authors performed as sport medicine specialists on site treatment of all the kitesurf athletes during the annual world cup stop in Podersdorf/Austria from 2002–2013. The athletes’ injuries and all therapeutic interventions were documented and analyzed. A questionnaire was completed in 2013.

The rate of severe injuries during competition has decreased from the beginnings in 2002. The rate of mild injuries, allowing the athletes to continue to compete, has remained stable. A chronologic follow-up showed an increasing rate of shoulder injuries. This finding is related to high scoring of handle pass maneuvers with rotation during competition. A review showed the loss of kite control and the inability of the kitesurfer to release/detach from the kite being the main risk factors over years for severe injuries and fatalities.

Keywords: kite, kitesurf, injury, sports medicine, review

Citation
Kristen K, Syré S, Humenberger M: Kitesurfing – injuries and sports medical aspects.
OUP 2014; 6: 306–311 DOI 10.3238/oup.2014.0306–0311

Vorstellung der Sportart

Kitesurfen ist eine Wassersportart, die Surfen mithilfe des Windantriebs eines Lenkdrachens erlaubt. Bereits nach einer kurzen Lernphase von einigen Tagen ist das Gleiten auf dem Wasser auch in hohen Geschwindigkeiten möglich, Sprünge von mehreren Metern Höhe können erreicht werden. Zusammengesetzt aus dem englischen „Kite“ als Bezeichnung für Drache oder Lenkdrache und „Surfen“ in Anlehnung an Wellenreiten und Windsurfen hat sich die Bezeichnung Kitesurfen oder Kiteboarding durchgesetzt.

Neben dem Schweben auf dem Wasser ermöglicht die Integration des Lenkdrachens einen Vertikalantrieb, der in spektakulären Sprungmanövern auch im flachen Wasser genutzt wird (Abb. 1), was das rege Interesse an der Sportart erklärt. Die Dauer der Flugphasen beträgt oft mehrere Sekunden, in die verschiedenste Tricks und Bewegungselemente eingebaut werden können. Bedenken um die Sicherheit anderer Wassersportler und Strandgäste haben in den letzten Jahren zunehmend zu Verboten und Einschränkungen geführt.

Aktuell wird Kitesurfen weltweit an vielen Binnenseen sowie in den Küstenregionen betrieben. Angaben über die Zahl der aktiven Sportler liegen nicht vor, da dieser Sport kaum Vereinsstrukturen aufweist und somit nur indirekte Rückschlüsse über Verkaufszahlen und Anzahl der Teilnehmer an Kitesurf-Kursen möglich sind. Das Alter der Sportler liegt zwischen 10 und 75 Jahren mit einem Höhepunkt zwischen 20 und 50 Jahren. Kitesurfen wird überwiegend, ähnlich wie Segeln und Windsurfen, von Männern ausgeübt. Die Wachstumsrate dieser Sportart lag 2000–2010 bei 20–50 % pro Jahr. Da das Material gut transportiert werden kann, hat sich ein Kitesurf-Tourismus auch in exotischen Regionen stark entwickelt. Als Landsportart – mit Ski oder Snowboard ausgeübt, ist die Entwicklung in weitaus geringerem Ausmaß geschehen [1].

Fahrstile

Beim Kitesurfen lassen sich grob 3 verschiedene Fahrstile unterscheiden:

Race: Zeitrennen entlang eines vorgegebenen Kurses,

Freestyle:

– Old-School: hohe Sprünge mit langen Flugphasen,

– Wake-Style: viele Rotationselemente,

Wave: Kitesurfen in der Welle.

Die Wettkampfdisziplin Freestyle entwickelte sich durch ein hohes Scoring von Rotationssprüngen in Richtung Wakeboarden mit komplexen Elementen, vergleichbar mit Bewegungsabläufen aus dem Geräteturnen. Die Disziplin Race/Kursrennen gelangte erst 2012 nach der vorübergehenden Nominierung als olympische Disziplin in den Fokus des Renngeschehens.

Das Verletzungsrisiko wird beim Wake-Style am größten eingeschätzt, da hier die meisten Rotationselemente mit möglichem Kontrollverlust der Kite- und Boardsteuerung eingebaut werden (Abb. 2).

Sportgerätetechnologie

Wie jede Segelsportart ist auch beim
Kitesurfen ein hoher technischer Aufwand erforderlich. Das Kitesurf-Material umfasst folgende Bestandteile:

Power-Kite

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