Übersichtsarbeiten - OUP 06/2014

Kitesurfen – sportmedizinische Aspekte, Risikofaktoren und Verletzungen

Nicht die Kraft, sondern die Technik ist das entscheidende Kriterium dieser Sportart. Für die Boardkontrolle ist ein hohes Maß an Balancegefühl erforderlich, die höchste Anforderung stellt allerdings die Kontrolle des Kites im Wind dar. Ausreichend Kenntnis über Wetter und Witterungsbedingungen sowie Einschätzungsvermögen hinsichtlich der Windkraft gilt als Voraussetzung. Ebenso sollte der Sportler gute Schwimmkenntnisse haben, sich mit dem Surfrevier vertraut machen und Sportregeln beachten, um Kollisionen zu vermeiden. Als körperliche Grundvoraussetzungen sollten mindestens 2 Klimmzüge durchführbar sein. Zwingend vorauszusetzen sind auch regelmäßige Materialchecks sowie Vertrautheit mit den Safety-Release-Mechanismen für Notsituationen [11].

Wirbelsäule

Die Lendenwirbelsäule ist hohen Rotations- und Biegebelastungen ausgesetzt, da der Zug des Drachen über Arme und Trapez auf die Beine übertragen wird. Die axiale Belastung der Lendenwirbelsäule wird durch den Zug des Kite nach schräg oben reduziert. Die Halswirbelsäule wird besonders beim Anfänger stark beansprucht, da diese die Position des Drachen am Himmel über eine „Kopf im Nacken“-Position kontrollieren. Bei Schleuderstürzen mit hoher Geschwindigkeit sind Peitschenschlagverletzungen der HWS nicht zu vermeiden. Verstärkend wirkt dabei, dass der Schultergürtel durch das Halten des Drachens über die Stange fixiert ist. Instabilität oder degenerative Veränderungen der Wirbelsäule sind als relative Kontraindikation für die Sportausübung anzusehen.

Schultergelenke

Durch die hohe und oft ruckartige Zugbelastung an den Armen kann es sogar bei muskulär gut stabilisierten Schultergelenken zu Subluxationen und Luxationen kommen. Dies kann im Wasser ohne Fremdhilfe zu äußerst kritischen Situationen führen. Die aktuelle Entwicklung im Kitesurf-Wettkampfsport mit „Handle-pass“-Manövern (die Stange wird während eines Sprungs hinter dem Rücken von einer Hand in die andere übergeben – ein Trick aus dem Wasserski-Trickfahren) hat zu einer deutlich erhöhten Inzidenz von Schulterverletzungen bei den Spitzensportlern geführt. Ein kräftiger Schultergürtel und eine gute schulterstabilisierende Muskulatur sind Voraussetzung für die Durchführung dieser Elemente.

Todesfälle

Schwere Verletzungen und tödliche Unfälle brachten den Sport in die Medien. Viele professionelle Kitesurfer berichten bei der Frage nach Verletzungen in ihrer Laufbahn über lebensgefährliche Situationen. Selbst durchtrainierten Sportlern gelingt es manchmal nicht, sich rechtzeitig von einem außer Kontrolle geratenen Kite zu trennen. Die Safety-Leash stellt das letzte Sicherheitselement beim Kitesurfen dar und erlaub es dem Kiter, sich vollkommen vom Schirm zu trennen. Um dies auch in Gefahrensituationen schnell und sicher durchführen zu können, sollte die Safety-Leash vorne am Trapez befestigt werden.

Abgesehen von einem Fallbericht [12] sind die Analysen von Iossi mit einem Datensatz aus den USA und Exadaktylos mit einer Analyse aus Südafrika die einzigen greifbaren Studien mit statistischem Charakter [13, 14]. Aus 3 tödlichen Unfällen in den USA im Jahr 2005 konnte bei einer geschätzten Zahl von 50.000 Aktiven ein Risiko von 6–12 Todesfällen pro 100.000 Aktive kalkuliert werden [15].

Für jeden Todesfall stehen ca. 100 bis 1000 nicht-tödliche Unfälle. Viele Kitesurfer haben kritische Situationen erlebt oder kennen Sportler, die sich – teilweise auch schwer – verletzt haben. Genaue Entwicklungen bei tödlichen Unfällen konnte eine Analyse [16] aus den weltweit berichteten Todesfällen 2006 zeigen. Die Daten wurden als Case Report erfasst. Die Auswertung der Todesursachen zeigte folgende Risikofaktoren:

  • 1) Erfahrene Kitesurfer scheinen ein höheres Risiko zu haben (> 4 Jahre Erfahrung 42 %).
  • 2) Altersdurchschnitt 39 Jahre (18–61), ältere Kitesurfer sind gefährdet.
  • 3) Die meisten Unfälle geschehen in Ufernähe beim Start (23 %) und der Landung (31 %).
  • 4) Kitesurfer wurden hochgeschleudert (67%).
  • 5) Starke Windböen (67 %), durchschnittliche Windsituation 28 Knoten (12–50).
  • 6) Auflandiger Wind (58 %).

Zusammenfassend zeigt diese exemplarische Analyse, dass Kitesurf-Erfahrung nicht vor schweren Unfällen schützt, sondern – im Gegenteil – zu Überschätzung und Unachtsamkeit führen kann. Faktoren wie Wind und Wetter sowie spezielle lokale Gegebenheiten müssen erkannt und beachtet werden. Besonders das Starten und Landen stellen potenziell gefährliche Situationen dar. Auf ausreichenden Sicherheitsabstand (mind. 1,5 Leinenlängen) zu jeglichen Hindernissen muss geachtet werden. Darüber hinaus müssen alle Vorkehrungen getroffen werden, um im Notfall den Kite sofort vom Körper trennen zu können.

Fremdgefährdung

Der Kite sowie die gespannten Leinen können in der Hand eines ungeübten oder verantwortungslosen Sportlers zur Gefährdung für andere Wassersportler und Strandgäste werden [1]. Vorfahrtsregeln wurden für diesen neuen Sport beispielsweise von VDWS (Verband Deutscher Windsurfing und Wassersportschulen) aufgestellt und vom bestehenden Wasserrecht abgeleitet [11]. Häufig werden den Kitesurfern spezielle Areale zugeteilt. Einige Gewässer sind bereits mit einem Kitesurf-Verbot belegt worden.

Zusammenfassung

Die vorliegende Studie untersucht sportmedizinische Aspekte, Risikofaktoren und Verletzungen der Trendsportart
Kitesurfen anhand der Datenauswertung von insgesamt 12 Jahren Surfworldcup-Betreuung am österreichischen Standort Podersdorf. Insgesamt erfolgten 418 Arzt-Konsultationen durch die Athleten während des Wettkampfs. Schwere Verletzungen traten selten auf, insgesamt fanden sich 27 % der Sportverletzungen und Überlastungserscheinungen an der oberen Extremität. Vor allem am Schultergelenk zeigt sich eine steigende Verletzungstendenz, was mit den ständig in Weiterentwicklung befindlichen Handle-pass-Tricks einherzugehen scheint. Verletzungen im Bereich der Halswirbelsäule und Rippen zeigen insgesamt rückläufige Tendenz.

Kitesurfen erschließt im Wassersport eine 3. Dimension: Durch den Zug des Lenkdrachens nach oben wird durch Windkraft ein Dahingleiten auf dem Wasser ermöglicht. Die Reichweite der Kites bringt einen hohen Platzbedarf mit sich, was die Kitesurf-Reviere in Mitteleuropa auf wenige Plätze reduziert. Ein verantwortungsloser Umgang mit dem Material kann eine Gefahr für den Sportler und Unbeteiligte darstellen [1].

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