Übersichtsarbeiten - OUP 01/2016

Klassifikation der Tuberculum majus-Frakturen
Abriss- vs. AbscherfrakturAvulsion-fracture vs. shear-fracture

Richard Brill1, Ingrid Holzner2, Harald Hempfling3

Zusammenfassung

Hintergrund: Für ein Gutachten stellt sich die Frage, ob die Art einer Tuberculum-majus-Fraktur eine Aussage über deren Entstehung zulässt.

Patienten, Material und Methoden: Zwischen 2003 und 2011 konnten 97 Patienten der BG-Unfallklinik Murnau mit einer isolierten Fraktur des Tuberculum majus ausgewertet werden, dies nach Schulterluxations- bzw. Anprallmechanismen.

Ergebnisse: Die CT-Auswertung der Tuberculum-majus-Fraktur lässt 2 vorherrschende Typen erkennen mit dem Hauptunterscheidungskriterium des Zustands der superioren Facette des Tuberculum majus:
Typ 1 Abrissmechanismus: CT morphologisch charakterisiert durch eine nicht intakte Kontur der superioren Facette des Tuberculum majus beim Luxationsmechanismus als Abrissfaktor.
Typ II Abschermechanismus: CT morphologisch charakterisiert durch eine intakte glatte Struktur der superioren Facette des Tuberculum majus und ein größeres Fragment als Folge der direkten Krafteinwirkung.

Schlussfolgerung: Die Form und Art einer Tuberculum-
majus-Fraktur lässt eine Aussage über den Entstehungsmechanismus zu.

Schlüsselwörter: Tuberculum majus, Abrissfaktur, Abscherfraktur, Pathomechanik, Kausalität

Zitierweise
Brill R, Holzner I, Hempfling H. Klassifikation der Tuberculum-majus-Frakturen. Abriss- vs Abscherfraktur.
OUP 2016; 1: 040–045 DOI 10.3238/oup.2015.0040–0045

Summary

Background: The aim of our study was to analyse fractures of the greater tubercle and learn more about fractures aetiology and injury mechanism.

Patients, material and methods: Between 2003 and 2011 in the BG-Traumacenter Murnau 97 patients with an isolated tuberculum majus fracture after a shoulder dislocation or a direct trauma could be treated and evaluated.

Results: By detailed analysing of CT, fractureline, number and size of osseous fragments, we can identify two mean fracture types. The difference was the shape and integrity of the greater tubercle, especially the superior face: Type I: Bony avulsion of the insertion supera/infraspinatus. The foot print of supraspinatus and infraspinatus, tendon to bone insertion of greater tubercle is not intact. This kind of fracture recording to injury mechanism is a so called isolated fibrocartilaginar avulsion (more and small fragments). Type II: Shear force fracture of the greater tubercle. This kind of fracture normally is one big fragment and the humeral insertion is not touched, because of direct or indirect injury mechanism to proximal humerus.

Conclusion: The shape and type of a tuberculum majus fracture explained the traumatic mechanism.

Keywords: Tuberculum majus, avulsion fracture, shear fracture, pathomechanics, causality

Citation
Brill R , Holzner I, Hempfling H. Classification of Tuberculum majus fractures. Avulsion-fracture vs shear-fracture.
OUP 2016; 1: 040–045 DOI 10.3238/oup.2015.0040–0045

Einteilung

Eine Klassifikation der isolierten Tuberculum-majus-Fraktur existiert bisher nicht, lediglich Mutch [34] befasst sich mit der Fraktur des Tuberculum majus anhand von Röntgenbildern und Kim [24] unterscheidet zwischen proximalen Humeruskopffrakturen und isolierten Tuberculum-majus-Frakturen innerhalb der Klassifikation der proximalen Oberarmfrakturen [9, 36, 33, 17]. Alle Einteilungen der proximalen Oberarmfrakturen beruhen auf einem 4-Teile-Prinzip [19].

Etwa 14–20 % der proximalen Humerusfrakturen sind isolierte Tuberculum-majus- Frakturen [16, 2, 10, 27]. Sie ereignen sich bei Stürzen [18, 23, 12], mit direktem Schlag auf den seitlichen Anteil der Schulter [4] sowie Zug an den Rotatoren [14] bei sportlichen Aktivitäten [10, 37, 26, 42]. Der Anteil der Tuberculum-majus-Fraktur bei der Schulterluxation liegt über 50 % [2], andere Autoren nennen Zahlen von 15–30 % [15, 24].

Material und Methoden

Gesichtet wurden 219 Krankengeschichten der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Murnau aus dem Zeitraum vom 06.01.2003 bis zum 28.12.2011 anhand der ICD-10-Diagnose S 42.24 (Frakturen des proximalen Humerus: Tuberculum-majus-Fraktur). Zur statistischen Auswertung kamen alle Patienten, bei denen während der Akutdiagnostik computertomografische Aufnahmen entstanden. Diese Voraussetzung war letztlich bei 97 Patienten erfüllt. Angaben zum Geschlecht, Alter zum Unfallzeitpunkt, betroffene Seite, Vorhandensein einer Schulterluxation, Richtung der Luxation und/oder eine andere Unfallursache fanden in der Datenerhebung Berücksichtigung.

Voraussetzung für die Aufnahme in die retrospektive Studie war die Diagnose einer isolierten Tuberculum-majus-Fraktur mit oder ohne begleitende Schulterluxation, entsprechend Typ IV der Neer-Klassifikation bzw. Typ A1 der AO-Klassifikation.

Die Diagnose der isolierten Fraktur des Tuberculum majus erfolgte mittels CT, bei luxierter Schulter erfolgten vor dem CT die Reposition und die Bestätigung der erfolgreichen Reposition mittels Röntgen in 2 Ebenen. Das Gesamtkollektiv beinhaltete 97 Patienten. Folgende Kriterien der Tuberculum-majus-Fraktur wurden berücksichtigt:

  • Superiore Facette der Tuberculum majus intakt/nicht intakt
  • Beteiligung des Tuberculum majus (komplett/inkomplett)
  • Anzahl der Fragmente: 1, 2, 3 und mehr ab 2 mm Größe
  • Länge des größten Tuberculum-majus-Fragments in kraniokaudaler Aus-dehnung in mm
  • Dislokationsrichtung (kranial, kaudal, lateral, medial, ventral, dorsal)
  • Dislokation in mm, bei mehr Fragmenten anhand des stärksten Ausmaßes.

Eine Fragmentgröße von mindestens 2 Millimetern war Voraussetzung zur Unterscheidung zwischen 1, 2, 3 oder mehr Fragmenten. Die Richtung entsprach dem Schultergelenk in den Richtungen des Raums, d.h. kranial, kaudal, medial und lateral. Zusätzlich gab es noch ventral und dorsal, um die Richtung der Dislokation zusätzlich zu beschreiben und bei dazwischenliegenden Befunden die Verbindung aus beiden Dislokationsrichtungen bestimmen zu können. Die erhobenen Werte hinsichtlich der genannten Kriterien gingen in die statistische Auswertung ein.

Ergebnisse

Entsprechend der Computertomografie ergaben sich anhand der statistischen Auswertung der morphologischen CT-Kriterien 2 vorherrschende Frakturtypen:

Typ I: Charakterisiert durch eine nicht intakte superiore Facette, geringere kraniokaudale Fragmentgröße sowie signifikant häufigerem Auftreten von mehreren Fragmenten (Abb. 1).

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