Übersichtsarbeiten - OUP 01/2016

Klassifikation der Tuberculum majus-Frakturen
Abriss- vs. AbscherfrakturAvulsion-fracture vs. shear-fracture

Typ II: Charakterisiert durch eine intakte superiore Facette, größere kraniokaudale Fragmentgröße und bevorzugt Auftreten nur eines einzigen Fragments (Abb. 2).

Es resultiert:

Typ I : Abrissfraktur mit nicht intakter superiorer Facette

Typ I a: einfragmentär

Typ Ia1: undisloziert

Typ Ia2: disloziert

Typ I b: mehrfragmentär (signifikant häufiger mit Luxation)

Typ I b1: undisloziert

Typ I b2: disloziert

Typ II: Abscherfraktur mit intakter superiorer Facette

Typ II a: einfragmentär (signifikant häufiger ohne Luxation)

Typ IIa1: undisloziert

Typ IIa2: disloziert

Typ II b: mehrfragmentär

Typ II b1: undisloziert

Typ II b2: disloziert

Es lassen sich 2 Frakturtypen in Abhängigkeit vom Pathomechanismus erkennen (Abb. 3a-b). Diese Frakturtypen des Tuberculum majus sind gekennzeichnet durch die Struktur der superioren Facette und die Anzahl der Fragmente.

Diskussion

Zu den Mechanismen, die zu Tuberculum-majus-Frakturen führen, gibt es kontroverse Ansichten [2]. Erörtert werden Anprall-, Abscher-, und Abrissmechanismen. Anprallverletzungen ereignen sich, wenn das Tuberculum majus gegen das Akromion oder das obere Glenoid prallt, wie dies bei einem Sturz direkt auf die Schulter möglich wird. Diese Verletzungen sind typischerweise als undislozierte Trümmerbrüche beschrieben. Abscherverletzungen ereignen sich, wenn der proximale Humerus nach vorne gezwungen wird, wie bei einer vorderen Schulterluxation. Die Kraft der Rotatorenmanschette mag der nach anterior gerichteten Kraft auf den proximalen Humerus entgegenwirken, was in einem Abriss des Tuberculum majus resultiert und zu einer Fragmentverschiebung führt, wenn das Tuberculum majus vom Humeruskopf abschert [13]. Bei den vorderen Schulterluxationen ist ein posterosuperiorer Schädigungsmechanismus beschrieben. Dieser bedeutet, dass es bei maximaler Abduktion, Extension und Außenrotation des Arms zu einem Anschlagphänomen zwischen hinterem oberen Pfannenrand und Rotatorenmanschettenansatz am Tuberculum majus kommt, was zu Frakturen führen kann [11]. Während eines Sturzes auf den ausgestreckten Arm entsteht dazu durch einen reflektorischen Zug an den Rotatoren eine Tuberculum-majus-Fraktur [15]. Auch der alleinige Zug an den Rotatoren könne das Tuberculum majus abreißen [14]. Bei einem bröckeligen Ausriss handelt es sich um eine Abscher-/Ausriss-Fraktur des knöchernen Ansatzes der Supra- und Infraspinatussehne und diese verhält sich ähnlich einer Rotatorenmanschettenruptur [41].

Bei der Abduktion und Außenrotation während der Luxation entstehe eher eine Tuberculum-majus-Fraktur als eine Hill-Sachs-Läsion, wenn der Zug der Außenrotatoren eine Impressionsfraktur durch einen Abschermechanismus gegen das Glenoid in eine Abrissfraktur verwandle [21]. Eine weitere Hypothese [38] besagt, dass die Verschiebung des luxierten Humeruskopfs nach anterior die Rotatorensehnen, die am Tuberculum majus ansetzen, ausreichend dehne, sodass es zu einem Abriss des Tuberculum majus komme. Niedrigere Kräfte am Tuberkulum, entweder durch einen direkten Schlag auf das Tuberculum oder durch plötzliche Retraktion der Rotatorenmanschette, können eine kaum dislozierte Fraktur bedingen, die häufig initial bildgebend übersehen werden. In einer neueren Untersuchung von Bahrs [2] lag der Anteil der Tuberculum-majus-Frakturen einer vorderen Schulterluxation bei über der Hälfte der Patienten. Dabei hatte die Mehrheit keine oder eine Fragmentverschiebung nach inferior, sodass ein Impingement des Tuberculum majus gegen das Acromion für den wahrscheinlicheren Mechanismus gehalten wurde. Alternativ könne das Tuberculum majus am anteroinferioren Glenoid anschlagen, was dann entweder in einer Hill-Sachs-Läsion oder Tuberculum-majus-Fraktur entsprechen könne von unterschiedlicher Fragmentgröße sekundär nach dem Abscheren während der Luxation. Dabei sei das genaue Ausmaß der Fraktur durch die Außenrotationsstellung des Humeruskopfs bestimmt. Im Gegensatz zu Jakob [21] wird dem Zug der Rotatoren keine wesentliche Rolle zugeschrieben, aufgrund des Fehlens von posterioren und superioren Dislokationen der Frakturfragmente in der Untersuchung von Bahrs [2].

Bei dieser Untersuchung war signifikant, dass Tuberculum majus-Frakturen bei der Schulterluxation häufiger disloziert waren. Auffällig war weiterhin, dass das Dislokationsausmaß nach der Schulterluxation auch von größerem Ausmaß war bei einem mittleren Wert von 5,81 mm im Vergleich zu 3,17 mm. Außerdem zeigte sich signifikant häufiger eine nicht intakte Kontur der superioren Facette des Tuberculum majus bei den betroffenen Patienten mit Schulterluxation, während die isolierten Frakturen eine intakte Kontur boten. Im Weiteren existierten signifikant häufiger mehrfragmentäre Frakturen im Rahmen der Schulterluxationen. Das kraniokaudale Ausmaß des Fragments bei Frakturen im Rahmen der Schulterluxation besaß einen grundsätzlich geringeren Wert mit einem Durchschnitt von 23,36 mm im Gegensatz zu den isolierten Frakturen mit 31,36 mm. Dislozierte Frakturen traten aber signifikant häufiger mit einer nicht intakten Kontur der superioren Facette des Tuberculum majus auf und waren signifikant häufiger mehrfragmentär. Bezüglich der superioren Facette des Tuberculum majus bestand ein signifikanter Zusammenhang zu den Merkmalen Fragmentanzahl und betroffenem Anteil des Tuberculum majus. Mehrfragmentäre Frakturen waren häufiger mit einer nicht intakten Facette verbunden. Eine nicht intakte superiore Facette konnte man häufiger bei den Frakturen feststellen, die das komplette Tuberculum majus involvierten. Letztlich waren nach statistischer Auswertung 2 vorherrschende morphologische Typen anhand der erhobenen CT-Befunde zu beobachten, mit dem Hauptunterscheidungskriterium der Intaktheit der superioren Facette des Tuberculum majus:

Typ I

CT morphologisch charakterisiert durch eine nicht intakte Kontur der superioren Facette des Tuberculum majus und meist geringer Fragmentgröße. Eine weitere Differenzierung kann in ein- und mehrfragmentäre Frakturen mit und ohne Dislokation erfolgen, dies nach der Schulterluxation als Abrissfraktur.

Typ II

CT morphologisch charakterisiert durch eine intakte glatte Struktur der superioren Facette des Tuberculum majus und ein größeres Fragment. Auch hier kann eine Unterteilung in ein- und mehrfragmentäre Frakturen mit und ohne Dislokation erfolgen, dies als Abscherfraktur.

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