Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2015

Knöcherne Deformitäten des Oberen Sprunggelenks beim operativ behandelten idiopathischen Klumpfuß
Übersicht zu Systematik, Prophylaxe und therapeutischen OptionenSurvey of different forms, prophylaxis and therapeutical options

Nach Stevens und Otis [5] ist bei 66 % aller operativ vorbehandelten Klumpfüße eine supramalleoläre Valgus-Fehlstellung zu beobachten. Mosca [6] nennt einen Wert von 86° des Tibia-Gelenkflächen-Winkels als Grenze des Normalen. Supramalleoläre Varus-Deformitäten treten dagegen beim idiopathischen Klumpfuß nicht auf. Besonders ausgeprägt sind Valgus-Deformitäten in Fällen postoperativer Überkorrektur zu beobachten [7]. Eine Wachstumslenkung durch medialseitige Epiphyseodese [8, 9] (Abb. 7) und/oder supramalleolär varisierende Tibia-Osteotomie (Abb. 8) mit Fibula-Osteotomie ist nicht selten indiziert.

Das supramalleoläre Valgus-Fehlwachstum scheint eng assoziiert mit einer Destabilisierung der medialen Säule im Sinne einer Mittel-Vorfuß-Supination, auch einschließlich eines „dorsal bunion“ [7]. Wird der mediale Tarso-Metatarsalstrahl nicht in ausreichender Weise stabilisiert, sind rein supramalleoläre Korrekturen unter Umständen nicht erfolgreich, wie das Beispiel in Abbildung 9 zeigt. Abbildung 10 demonstriert einen Fall im gleichen Lebensalter, in dem durch Stabilisierung talocalcanear und im Bereich des medialen Fußstrahls im Verbund mit supramalleolärer Korrektur eine günstige Entwicklung am Oberen Sprunggelenk eingeleitet werden konnte.

5. Impingement-Phänomene

Bei älteren Klumpfuß-Kindern und Erwachsenen werden – insbesondere wiederum bevorzugt bei Überkorrekturen – nicht selten Schmerzen am ventralen OSG-Spalt oder fibulo-calcanear angegeben, die im Sinne eines knöchernen Impingement zu deuten sind (Abb. 11 und 12) und nicht mit einer beginnenden Gelenk-Arthrose verwechselt werden sollten. Diese Problematik scheint mit der Ausformung des Corpus tali eng assoziiert. Bleibt das Höhenwachstum des Talus zurück, so ist die Gefahr von anterioren oder lateralen Impingement-Phänomenen erhöht.

Ein anteriores Impingement durch horizontal ausgerichtete Talus-Position kann durch aufrichtende, den Talus flektierende talocalcaneare Korrektur, in schweren Fällen durch Lambrinudi-Arthrodese unter Aufgabe des Chopart-Gelenks, und supramalleolär durch ventralbasige Keilentnahme korrigiert werden (Abb. 11). Das fibulo-calcaneare Impingement erfordert eine talocalcaneare Interpositionsarthrodese und zusätzlich eine ausreichende Pronation des Mittel-/Vorfuß-Abschnitts zur Vermeidung valgisierend auf das Obere Sprunggelenk einwirkender Kräfte in der Standbeinphase (Abb. 12).

Diskussion

Im Rahmen der Klumpfuß-Behandlung sollten Entwicklung und Reifung des Oberen Sprunggelenks neben der Korrektur der subtalaren Kontraktur vermehrt Beachtung finden. Inwieweit die dargestellten knöchernen Veränderungen primär der Klumpfuß-Deformität zuzuordnen und daher nicht zu beeinflussen sind, oder inwieweit sie als iatrogen im Sinne einer Behandlungsfolge anzusehen sind, ist im Einzelfall schwer zu beurteilen.

Zwei Fragestellungen erscheinen relevant:

  • 1. Welche Primär-Behandlung trägt am ehesten zu einer ungestörten Entwicklung des Oberen Sprunggelenks bei?
  • 2. Welche sekundären Behandlungsmöglichkeiten ergeben sich bei den dargestellten Problemstellungen am Oberen Sprunggelenk?

Da sich die Behandlungs-Konzepte in den letzten Jahrzehnten erheblich gewandelt haben, erscheint ein Vergleich zumindest ansatzweise möglich. Bis in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts wurde vielfach ein rein dorsales Release zur Korrektur der Spitzfuß-Komponente etwa im 4. Lebensmonat durchgeführt. In der Folgezeit waren umfangreichere peritalare Release-Eingriffe meist im 2. Lebenshalbjahr verbreitet. Die hier dargestellten Beobachtungen betreffen ausschließlich primär-operativ vorbehandelte Patienten mit idiopathischem Klumpfuß. Seit etwa 10–15 Jahren hat sich die primär überwiegend konservative Behandlung nach dem Ponseti-Konzept durchgesetzt, bei der bereits mit etwa 5–8 Lebenswochen die Equinus-Komponente durch perkutane Tenotomie behandelt wird.

Zur möglichst ungestörten Ausformung der tibiotalaren Gelenkflächen mit einem möglichst großen Bewegungsradius und ohne Entwicklung eines negativen tibialen „slope“ erscheint eine sehr frühe, schonende und nachhaltige Korrektur der primären Equinus-Komponente beim idiopathischen Klumpfuß vorteilhaft, wie es das Ponseti-Konzept bietet. Radler u. Mitarb. [10] beschreiben klinisch eine Dorsalextension von im Mittel 28,6° nach Tenotomie und eine Zunahme des tibiocalcanearen Winkels von 16,9° durch die Tenotomie bei einer Gruppe von 87 nach Ponseti behandelten Klumpfüßen. Allerdings ist nach eigenen Erfahrungen mit einem Rückgang dieser primär guten Dorsalextension insbesondere nach Absetzen der Denis-Browne-Schienung zu rechnen. Cooper und Dietz [11] fanden eine klinisch gemessene Dorsalextension von im Mittel nur 6° in ihrer Langzeit-Studie von Ponseti selbst behandelter Patienten. Eine deutliche Abflachung der Talus-Rolle beschreiben sie in nur 18,3 % der Fälle. Diese Befunde deuten in die Richtung, dass das Ponseti-Behandlungs-Konzept die Equinus-Komponente wirksam korrigiert, die Bemühungen zur Aufrechterhaltung einer ausreichenden Dorsalextension z.B. durch großzügigere Indikation zur Re-Tenotomie oder längerfristige (dynamische) Nachtschienung allerdings möglicherweise zu verstärken sind.

Al-Aubaidi und Mitarb. [2] beschreiben bei ventraler temporärer Epiphyseodese bei im Mittel 7 Jahre alten Klumpfuß-Kindern eine Änderung des Gelenkflächen-Winkels („slope“) von im Mittel 13° nach einer mittleren Beobachtungszeit von 22 Monaten, der aber eine klinische Verbesserung der Dorsalextension von durchschnittlich lediglich 2° gegenüberstand. Trotzdem erscheint die temporäre ventrale Epiphyseodese als Teilmaßnahme bei knöchern bedingter Einschränkung der Dorsalextension durchaus geeignet, zumindest einer weiteren Verschlechterung entgegenzuwirken.

Die sekundär kaum behandelbare supramalleoläre Außenrotations-Fehlstellung wurde insbesondere nach unvollständiger Korrektur des talocalcaneo-navicularen Komplexes bei rein dorsalem Release beobachtet (vgl. Abb. 3). Sie scheint weitgehend vermeidbar durch operativ (peritalares Release) oder konservativ erreichte vollständige Korrektur der subtalaren Fußplatte. Sonographische Verlaufsbeobachtungen in der Talonavicular-Region während der Ponseti-Behandlung konnten zeigen, dass eine volle Korrektur konservativ erreicht werden kann mit einer leichten Tendenz zum Korrektur-Verlust nach Absetzen der Denis-Browne-Schienung [12]. Insofern erscheint die Ponseti-Primärbehandlung geeignet, einer iatrogenen supramalleolären Fehlrotation am Oberen Sprunggelenk entgegenzuwirken. Allerdings ist zu beachten, daß die Denis-Browne-Schienung erst nach vollständiger subtalarer Derotation begonnen werden darf.

Die Ursachen der nach Stevens und Otis [5] häufigen supramalleolären Valgus-Deformität bleiben unklar. Sie wird bei Zuständen persistierender leichter Rückfuß-Varus-Fehlstellung beobachtet, kann aber auch als Überkorrektur der exakt korrigierten peritalaren Gelenke missdeutet werden und ist bei der tatsächlichen Überkorrektur besonders häufig anzutreffen [7]. Nach eigenen Beobachtungen ist ein Zusammenhang mit einer Hypermobilität und Destabilisierung des medialen Fußstrahls nicht selten und kann bis zu einer Umformung der medialen Talusschulter führen (vgl. Abb. 9).

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