Übersichtsarbeiten - OUP 12/2015

Konservative Optionen zur Beeinflussung der Beinachse bei medialer Gonarthrose: Was bringen Einlagen und Orthesen?

Einlagen sollen über eine Eversion des Kalkaneus eine Valgusrotation der Tibia bewirken. Orthesen greifen hingegen meist direkt im Bereich des Kniegelenks an. Dabei applizieren diese Orthesen nach dem klassischen Drei-Punkt-Prinzip eine valgische oder varische Kraft um die mechanische Achse aus dem betroffenen Kompartiment zu verlagern [2, 15, 27, 28, 33]. Ein neues Konzept sind sogenannte Fuß-Sprunggelenk-Orthesen. Sie überbrücken in der Frontalebene das OSG und USG [11]. Durch einen lateralen Gegenhalt am Unterschenkel wird der Varuswinkel des Kniegelenks reduziert und der Vektor der Bodenreaktionskraft von medial nach lateral verlagert.

Ziel dieser Übersichtsarbeit ist es, die verschiedenen konservativen Maßnahmen zur Korrektur der Beinachse bei medialer Gonarthrose anhand von Angaben aus dem Schrifttum zu vergleichen.

Valgisierende Knieorthesen

Knieorthesen (unloader braces) können – nach dem Drei-Punkt-Prinzip – eine varische Kraft auf das Kniegelenk applizieren, um die mechanische Achse vom medialen Kompartiment nach lateral zu verlagern. Der Korrekturdruck wird meist über den kontralateralen Kondylus aufgebaut, um das schmerzhafte Kompartiment zu entlasten (Abb. 3). Die Krafteinleitung kann über Druckpunkte oder Zugelemente erfolgen (Abb. 3). Dabei werden konfektionierte von speziell angefertigten (custom made) Orthesen unterschieden.

Zahlreiche biomechanische Studien haben zeigen können, dass das Knie-Adduktionsmoment bei Patienten mit Genu varum und medialer Gonarthrose durch eine valgisierende Orthese signifikant reduziert werden kann [1, 2, 4, 5, 9, 10, 13, 18, 19, 22–24, 26, 29, 30, 32, 35, 36]. Dieser positive Effekt konnte sowohl für „Custom made braces“ [5] als auch für konfektionierte Orthesen gezeigt werden [10, 13]. Auch die Art der Krafteinleitung (Druckpunkte oder Zugelemente) hatte keinen Einfluss auf die Effekte der untersuchten Orthesen [10, 18, 36].

Der biomechanische Effekt der
Orthesen auf das Knie-Adduktionsmoment erreichte in einer Studie bis zu 32 % [26]. Dieser Befund hat klinische Relevanz, da Kemp et al. [20] gezeigt haben, dass ein Anstieg des Knie-Adduktionsmoments um ca. 20 % das Risiko für die Progression der Gonarthrose erhöht.

Nur 4 biomechanische Studien haben keinen Effekt valgisierender Orthesen auf das Knie-Adduktionsmoment nachweisen können [7, 8, 14, 16]. In
einer dieser Studien war zwar ein leicht reduziertes Knie-Adduktionsmoment nachweisbar. Der Unterschied war aber nicht signifikant [14]. In einer Studie wurde der Effekt valgisierender Orthesen bei gerader Beinachse untersucht [8] und in einer weiteren Studie waren die Schmerzen trotz fehlendem Effekt auf das Knie-Adduktionsmoment signifikant reduziert [16].

Drei Studien konnten zeigen, dass valgisierende Knieorthesen die Gehgeschwindigkeit und die Schrittlänge steigerten [1, 14, 37]. In einer Studie verbesserte sich die Gang-Symmetrie zwischen betroffenem Bein und der Gegenseite [37]. Weitere biomechanische Parameter, die sich durch Valgus-Bracing verbesserten, waren die Außendrehung des Fußes („foot progression angle”), die Gelenkwinkel der unteren Extremität und die Kraft [24].

Eine Studie konnte zeigen, dass Co-Kontraktionen des M. vastus lateralis, des M. biceps femoris, des M. vastus medialis und der medialen Beuger durch Valgus-Bracing vermindert werden können.

Die lateralen Co-Kontraktionen konnten jedoch auch durch eine neutrale Orthese vermindert werden [34]. Diese Befunde weisen darauf hin, dass der Effekt valgisierender Orthesen nicht nur durch eine Reduktion des Knie-Adduktionsmoments hervorgerufen wird. Möglicherweise wird durch die stabilisierende Wirkung der Orthese die notwendige Muskelkraft – und damit die Belastung – des Gelenks reduziert. Es ist lange bekannt, dass die Instabilität für die Entstehung der Arthrose, aber auch für die Symptome eine Rolle spielt [25, 39]. Als Konsequenz resultiert eine erhöhte Muskelaktivität mit Co-Kontraktionen antagonistischer Muskelgruppen [33, 34]. Durch diese Co-Kontraktionen wird das Gelenk zwar einerseits stabilisiert, andererseits aber auch vermehrt belastet.

Die Mitteilungen klinischer Ergebnisse bei Anwendung valgisierender Orthesen sind weniger eindeutig als die biomechanischen Ergebnisse. Ein systematisches Cochrane-Review [6] kommt zu widersprüchlichen Ergebnissen hinsichtlich des klinischen Effekts valgisierender Orthesen. Eine in dieses Review eingeschlossene Studie konnte keinen Effekt der Orthese auf Schmerz (VAS), Funktion (WOMAC) und Lebensqualität nachweisen. In 3 weiteren Studien konnte jedoch gezeigt werden, dass valgisierende Orthesen einen signifikanten Effekt auf diese 3 klinischen Faktoren (Schmerz, Funktion und Lebensqualität) haben. In dieses Cochrane-Review wurden nur kontrollierte randomisierte Studien eingeschlossen. Zahlreiche nicht-randomisierte Studien konnten bestätigen, dass valgisierende Orthesen bei Patienten mit Genu varum und medialer Gonarthrose Schmerzen (VAS) reduzieren und die Gelenkfunktion (WOMAC) verbessern [5, 13, 16, 18, 19, 24, 26, 32, 37].

Bisher sind wenige Faktoren bekannt, um geeignete Patienten für eine Brace-Therapie zu identifizieren. Gaasbeck et al. [14] konnten zeigen, dass der Braceeffekt bei höherem Varusmalalignement größer war als bei Patienten mit nur geringem Varusmalalignement. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch Brouwers et al. [3]. In dieser prospektiv randomisierten Studie war der Effekt des Braces vom Ausmaß der Varusfehlstellung abhängig [3]. Komistek et al . [21] konnten zeigen, dass bei adipösen Patienten, die mit einem Valgus-Brace versorgt waren, kein biomechanischer und klinischer Effekt zu erzielen war. Ein Grund für diese Beobachtung können Anpassungsschwierigkeiten der Orthese am adipösen Bein sein. Verschiedene Studien kamen zu dem Ergebnis, dass eher höhergradige Arthrosestadien (Grad 3–4 nach Kellgren und Lawrance) von einer Brace-Therapie profitieren als erst- bis zweitgradige Arthrosen [3, 40]. Weitere günstige prognostische Faktoren sind das Alter (< 60 Jahre) und die sekundäre Arthrose [3].

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