Übersichtsarbeiten - OUP 12/2015

Konservative Optionen zur Beeinflussung der Beinachse bei medialer Gonarthrose: Was bringen Einlagen und Orthesen?

Auch die mangelnde Compliance kann die Ergebnisse klinischer Studien zum Effekt von „Unloader braces“ beeinflussen. Ein Problem valgisierender Orthesen ist oft die Compliance der Patienten [3, 6, 7, 42, 43]. In einer prospektiv randomiserten Studie lag die Compliance in der „Unloader brace“-Gruppe bei nur 45 % [43]. Grund für die schlechte Compliance sind Passungenauigkeiten, die zu Druck- und Scheuerstellen im Bereich der Kondylen führen können (Abb. 4) sowie ein fehlender Therapieeffekt [6].

Zusammenfassend liegt also hinreichend biomechanische und klinische Evidenz vor, um den klinischen Einsatz valgisierender Orthesen bei Patienten mit Genu varum und medialer Gonarthrose zu rechtfertigen. Damit sind valgisierende Orthesen eine Therapieoption, die bei unikompartimentellen Gonarthrosen sogar von der OARSI (Osteoarthritis Research Society International) empfohlen werden [27]. Bei der Orthopaedic Research Society beträgt der wissenschaftliche Empfehlungsgrad 76 % [33].

Weitere Anwendungsgebiete valgisierender Orthesen sind der sogenannte „Brace-Test“, mit dem der Effekt einer Beinachsenkorrektur vor einer operativen Intervention (Umstellungsosteotomie) getestet werden kann und ihr Einsatz in der postoperativen Therapie nach Interventionen am hyalinen Gelenkknorpel [30].

Einlagen mit lateraler
Erhöhung

Auch Einlagen mit lateraler Erhöhung sollen die mechanische Achse der unteren Extremität nach lateral verlagern (Abb. 5 und 6).

Die Ergebnisse biomechanischer Studien hinsichtlich des Effekts von Einlagen sind jedoch widersprüchlich [7, 10, 13, 17, 19]. Jones et al. [19] konnten zeigen, dass lateral erhöhende Einlagen das Knie-Adduktionsmoment um ca. 8 % reduzieren und die Geh-Geschwindigkeit erhöhen. Auch Fu et al. [13] und Hinman et al. [17] konnten einen Effekt von Einlagen auf das Knie-Adduktionsmoment nachweisen. Nach Angaben von Duivenvorden et al. [6] lässt sich mit lateral erhöhenden Einlagen nur eine geringe Reduktion von 4 % erzielen. Nach 6 Wochen Tragedauer war dieser Effekt aber nicht mehr nachweisbar [7]. Im Gegensatz zu diesen Studien stehen Angaben von Fantini Pagani et al. [10]. Die Autoren konnten zeigen, dass Einlagen mit lateraler Erhöhung keinen Einfluss auf das Knie-Adduktionsmoment haben.

Auch ein systematisches Cochrane Review kommt zu widersprüchlichen Ergebnissen hinsichtlich des Effekts lateral erhöhender Einlagen [6]. In dieses Review konnte nur eine Studie mit geringer Qualität eingeschlossen werden, in der Einlagen mit einer Kontrollgruppe ohne Einlagen verglichen wurden [6]. In dieser Studie hatten Patienten, die mit einer Einlage versorgt wurden, nach 9 Monaten weniger Schmerzen (VAS) im Vergleich zu Patienten ohne Behandlung. Die Ergebnisse von 3 weiteren Studien konnten gebündelt werden (n = 358, moderate-Studienqualität). In diesen Studien wurden Patienten mit lateral erhöhenden Einlagen mit Patienten verglichen, die mit einer neutralen Einlage versorgt wurden. Es bestand nur geringe Evidenz für einen Effekt auf Schmerz (NAS), Steifigkeit (WOMAC) und Funktion (WOMAC) nach 12 Monaten [6]. In einer dieser Studien war der Gebrauch von nichtsteroidalen Antirheumatika in der Gruppe, die mit lateral erhöhenden Einlagen versorgt waren, verringert [6]. Aufgrund dieser Ergebnisse kommen die Autoren dieses Reviews zu der Schlussfolgerung, dass moderate Evidenz besteht, dass lateral erhöhende Einlagen keinen Effekt auf klinische Symptome wie Schmerz, Steifigkeit und Funktion haben [6]. In einer weiteren Metaanalyse konnte nur ein klinischer Effekt für lateral erhöhende Einlagen gefunden werden, wenn diese mit einer Kontrollgruppe ohne Behandlung verglichen wurden [31]. War die Kontrollgruppe eine neutrale Einlage, blieb der Effekt aus [31].

Zwei prospektive randomisierte Studien haben den Effekt von lateral erhöhenden Einlagen mit Orthesen verglichen [2, 43]. In beiden Studien kam es mit beiden Hilfsmitteln zu einer Verbesserung der Symptome und es bestand kein Unterschied zwischen Einlage und Orthese. Beide Autoren sehen Einlagen als alternatives Hilfsmittel im Vergleich zur Orthese. Arzanpour et al. [2] konnten weiterhin zeigen, dass sich die Gehgewindigkeit und die Schrittlänge durch die Anwendung lateral erhöhender Einlagen verbessern.

Positive Prädiktoren für den Einsatz von Einlagen waren leichte Athrosestadien [17, 41, 43] und Adipositas [35]. Ein Vorteil von Einlagen mit lateraler Erhöhung ist in der hohen Compliance der Patienten im Vergleich zu valgisierenden Orthesen zu sehen [6, 43].

ZSusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Angaben im Schrifttum zum biomechanischen und klinischen Effekt lateral erhöhender Einlagen widersprüchlich sind. Daher ist die wissenschaftliche Evidenz für den Einsatz von Einlagen vage. Wahrscheinlich lässt sich bei leichten Arthrosestadien und leichten Varusfehlstellungen ein biomechanischer und klinischer Effekt erzielen.

Fuß-Sprunggelenkorthesen

Eine biomechanische Studie konnte zeigen, dass durch eine zusätzliche Stabilisierung des Sprunggelenks die Effektivität von Einlagen mit lateraler Erhöhung deutlich verbessert werden kann [38]. In dieser Studie hatte die alleinige Applikation einer lateral erhöhenden Einlage keinen biomechanischen Effekt. Die zusätzliche Applikation einer Orthese, die das obere Sprunggelenk stabilisierte, führte jedoch zu einer signifikanten Reduktion des Knie-Adduktionsmoments. Damit konnte gezeigt werden, dass die Stabilität im oberen Sprunggelenk ein Faktor ist, der die Wirkung von Einlagen mit lateraler Erhöhung unterstützt.

Diese Studie führte zur Entwicklung einer Orthese, die im Bereich des Fußes und Sprunggelenks ansetzt, um die Beinachse zu korrigieren (Abb. 7 und 8). Diese Orthese besteht aus einem Fuß- und Unterschenkelteil, welche über ein Gelenk miteinander verbunden sind. Das Gelenk ist ausschließlich in der Sagitalebene frei beweglich. In der Frontalebene werden OSG und USG rigide überbrückt. Durch den lateralen Gegenhalt am Unterschenkel soll der Varuswinkel des Kniegelenks reduziert werden und der Vektor der Bodenreaktionskraft von medial nach lateral verlagert werden (Abb. 8). Auf diese Weise kann das Knie-Adduktionsmoment verringert werden. Außerdem wird über eine Limitierung der Eversion Einfluss auf eine pathologische Tibiarotation genommen.

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6