Übersichtsarbeiten - OUP 05/2018

Mediale OSG-Bandinstabilität
Ätiologie, Diagnostik, OP-Technik und LiteraturübersichtEtiology, diagnostics, operative technique and literature overview

Joe Wagener MD1, Beat Hintermann MD1

Zusammenfassung: Pronations- und/oder Außenrotationsverletzungen führen zu einer medialen Bandinstabilität am oberen Sprunggelenk. Obwohl viele Behandlungskonzepte für die lateralen Bänder existieren, wird in der Literatur wenig über die Abklärung und Therapie der medialen Bandrupturen berichtet. Die hier vorgelegte Arbeit soll einen Überblick über diese Pathologie bieten, insbesondere in
Bezug auf die primäre Abklärung, die arthroskopische Evaluation und die daran angelegte chirurgische Stabilisierung.

Schlüsselwörter: OSG-Distorsion, mediale Bandinstabilität,
Deltoid, Bandrekonstruktion

Zitierweise
Wagener J, Hintermann B: Mediale OSG Bandinstabilität. Ätiologie, Diagnostik, OP-Technik und Literaturübersicht.
OUP 2018; 7: 278–284 DOI 10.3238/oup.2018.0278–0284

Summary: Pronation and/or external rotation injuries lead to a medial ligament instability of the ankle joint. Although many treatment options for the lateral ligaments exist, little is reported in the literature about the investigation and treatment of medial ligament injuries. The aim of the present overview is to provide an update on the pathology, clinical presentation and surgical treatment of this instability pattern.

Keywords: ankle sprain, medial ankle ligament instability,
deltoid, ligament reconstruction

Citation
Wagener J, Hintermann B: Medial ankle instability. Etiology,
diagnostics, operative technique and literature overview.
OUP 2018; 7: 278–284 DOI 10.3238/oup.2018.0278–0284

1 Klinik für Orthopädie und Traumatologie des Bewegungsapparates, Liestal, Schweiz

Ätiologie

Die OSG-Distorsion stellt mit etwa 10–30 % eine sehr häufig auftretende Sportverletzung dar. In 3–5 % aller Fälle ist solch eine Verletzung in Notfallstationen in Großbritannien Grund des Besuchs, was deren hohen sozioökonomischen Stellenwert verdeutlicht [3, 14].

Im Fokus der Forschung sowie auch in den Richtlinien der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V.) steht dabei immer noch der Außenbandkomplex. Eine epidemiologische Studie der National Collegiate Athletic Association in den USA hat gezeigt, dass akute isolierte Verletzungen des medialen Seitenbands mit 0,79 auf 10.000 Sportler-Expositionen selten sind [11]. Trotzdem sind in mehreren MRT-Studien mediale Seitenbandverletzungen nach OSG-Distorsionen in bis zu 50 % der Fälle nachweisbar [9, 10, 13, 16]. Es ist bekannt, dass sich aus solchen Distorsionen in 20 % der Fälle im Verlauf eine chronische Sprunggelenkinstabilität entwickeln kann. Unter anderem konnten auch arthroskopische Studien zur chronischen Instabilität eine Inzidenz von 40 % für Begleitverletzungen am medialen Bandapparat zeigen [5, 6]. Bei den Malleolar-Frakturen finden sich im Rahmen arthroskopischer Diagnostik in etwa 40 % Rupturen des Ligamentum deltoideum als Begleitverletzung [8]. Hier sind vor allem 2 Mechanismen beschrieben, welche zu einem Riss des Deltabands führen können: Pronations-Eversions- Verletzungen sowie Supinations-Außenrotationsverletzungen gemäß der Lauge-Hansen-Klassifikation [12].

Neben den akuten und chronischen Traumafolgen muss hier zudem die chronische Insuffizienz des medialen Bandapparats bei progredienten Planovalgus-Deformitäten erwähnt werden, welche allerdings nicht Gegenstand des hier vorgestellten Themenblocks ist.

Anatomie

Obwohl mehrere anatomische Varianten des Deltabands beschrieben sind, beziehen wir unsere Definition der Anteile auf eine Arbeit von Boss et al. [1] und Pau Golano et al. [7]: Wir unterscheiden 4 oberflächliche und 2 tiefe Anteile des medialen Bandapparats (Abb. 1).

Oberflächliche Anteile:

Tibiospring (TSL)

Tibionaviculare (TNL)

Oberflächliches posteriores Tibiotalares Band (STTL)

Tibiocalcaneares Band (TCL)

Tiefe Anteile:

Tiefes posteriores tibiotalares Band (PTTL)

Anteriores tibiotalares Band (ATTL)

Funktion

Das Ligamentum deltoideum ist der wichtigste Stabilisator gegen Rotations- und Valgus-Stress am oberen Sprunggelenk sowie gegen Eversion im unteren Sprunggelenk. Zu Verletzungen desselben führen Pronations- und/oder Außenrotationstraumata.

Die vorliegende Arbeit soll eine Aktualisierung zur klinischen Untersuchung, Diagnostik und Behandlung dieser komplexen und häufig noch unterschätzten Verletzung des medialen Bandkomplexes am oberen Sprunggelenk geben.

Klinische Untersuchung

Patienten mit einer akuten Verletzung des medialen Bandapparats berichten häufig über ein Pronations-Eversions-Trauma. Eine Vollbelastung in der akuten Phase ist häufig nicht mehr möglich und es werden Schmerzen im Bereich des anteromedialen Gelenkspalts angegeben. Neben der Schwellung perimalleolär findet sich in den meisten Fällen eine Druckdolenz für das Lig. deltoideum insbesondere auf Höhe des anteromedialen Gelenkspalts. Im weiteren Verlauf kommt es zu einem medialen, nach plantar auslaufenden Hämatom mit begleitendem Instabilitätsgefühl des Patienten.

Noch differenzierter beschreiben Patienten mit chronischen medialen Instabilitäten ein „giving-way“ medial oder antero-medial, insbesondere beim Bergablaufen oder Treppen abwärts gehen. Bei den chronischen Instabilitäten kann die schmerzhafte Palpation des antero-medialen Gelenkspalts als pathognomonisch bezeichnet werden. Hier ist neben dem verletzten Bandapparat vor allem die Synovialitis im Gelenk schmerzauslösender Faktor, was bei der Arthroskopie dieser Gelenke verdeutlicht wird.

Eine Bandinstabilität kann mittels verschiedener manueller Tests verifiziert werden. Dies ist bei einer akuten Verletzung oft erst einige Tage danach möglich, da in der Akutphase die Testung zu schmerzhaft ist.

  • Varus-Valgus-Stresstest: Eine vermehrte Aufklappbarkeit unter Varus-Valgus-Stress kann im Vergleich zur Gegenseite objektiviert werden.
  • Vorderer Schubladentest: Eine anteriore Translation oder Extrusion des Talus kann im Vergleich zur Gegenseite objektiviert werden.

Ist eine Vollbelastung möglich, zeigt sich typischerweise eine vermehrte Pronationsstellung des betroffenen Fußes, die jedoch mit Aktivierung des Tibialis-posterior-Muskels verschwinden kann.

Kommt es infolge dieser medialen Bandinsuffizienz zur chronischen Überlastung der Tibialis-posterior-Sehne, kann dies in einer sekundären Dysfunktion der Sehne resultieren. Typischerweise zeigen sich dann palpatorische Schmerzen entlang der Sehne sowie ein Kraftverlust für die Supination.

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