Übersichtsarbeiten - OUP 10/2012

Medikamentöse Therapie bei älteren Patienten mit orthopädischen Leiden

K. Böhme1, H. Schwarz2, W. Siebert3

Zusammenfassung: Degenerative Veränderungen im muskuloskelettalen Bereich spielen bei alten Patienten, die dem Orthopäden zugewiesen werden, eine große Rolle. Die Gruppe der Menschen, die sich im dritten (ab 65 Jahre) und dem vierten (älter 80 Jahre) Lebensabschnitt befinden, leidet häufig unter Schmerzen des muskuloskelettalen Apparates. Dies zeigt auch die Altersverteilung der Belegung einer orthopädischen Klinik (Vitos Orthopädische Klinik Kassel), die einen Gipfel im alten und hochaltrigen Bereich aufweist: 2417 der 5508 stationären Patienten sind älter als 65 Jahre und 570 älter als 80 Jahre, also mehr als 10 %.

Naturgemäß leiden die in einer orthopädischen Klinik aufgenommenen Patienten zum einen häufig unter Gelenkveränderungen wie Arthrosen und Arthritiden, zum anderen unter Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule, die im Alter durch degenerative Veränderungen entstehen, aber auch durch Instabilität und Spinalkanalstenosen.

Während bei Arthrosen, insbesondere Arthrosen der Hüften und der Kniegelenke, neben konservativ-physikalischen Maßnahmen und medikamentösen Therapien auch der Gelenkersatz eine große Rolle spielt – der für den Patienten nicht nur eine Schmerzlinderung, sondern auch eine Mobilitätssteigerung bedeutet – ist insbesondere bei degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule eine erfolgreiche Therapie oft ungleich schwieriger.

Ein Schwerpunkt der Behandlung auch in der anschließenden ambulanten Behandlung dieser Schmerzprobleme ist der medikamentöse Ansatz.

Schlüsselwörter: Vulnerabilität, Multimedikation, Multimorbidität, Sturz, Fraktur, FRID, Coxibe, NSAR, Opioide

Abstract: Degenerative changes in the musculoskeletal system play a major role in older patients who are assigned to orthopaedist. The group of people who are in the third (aged 65 and over) and the fourth (over 80 years) stage of life often suffer from pain of the musculoskeletal system. This is also shown in the age distribution of the patients of an orthopaedic clinic (Vitos Orthopädische Klink in Kassel) which has a peak in the old and very old ranges of patients: 2417 of 5508 hospitalized patients are older than 65 years and 570 are older than 80 years, which is more than 10%.

Naturally patients accepted into an orthopaedic hospital frequently suffer either from degenerative changes of the joints such as arthritis and arthritis, or from pain in the spinal region associated with age-related degenerative changes, but also with instability and spinal stenosis.

While with arthritis, especially osteoarthritis of the hip and knee joints, joint replacement – in addition to conservative physical therapy and drug treatments – plays an important role for the patient as it does not only relieve pain but also results in increased mobility, successful treatment in particular for degenerative changes of the spine is often much more difficult.

One focus of the treatment of these problems in the subsequent outpatient treatment is the pain medication approach.

Keywords: frailty, multimedication, multimorbidity, fall, fracture, frid, coxibe, NSAIDs, opioids..

Besonderheiten der alten
und hochaltrigen Menschen

Die Gruppe der alten und hochaltrigen Patienten muss aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. Zum einen ist die Komorbidität und damit oft verbundene Multimedikation zu berücksichtigen, zum anderen nimmt die Vulnerabilität beim alten Menschen im Verlauf des Alterns zu – unabhängig von Organerkrankungen in unterschiedlichem Ausmaß.

Frailty

Die Vulnerabilität wird mit dem Begriff der „Frailty“ oder als Frailty-Syndrom beschrieben. Fried und Mitarbeiter haben 2001 praktisch umsetzbare Kriterien zur Erfassung des Phänotyps beschrieben. Durch Beurteilung der körperlichen Reduktion, Verminderung der Kraft, verminderte Ausdauer und Reduktion der körperlichen Aktivitäten kann die Einschränkung der Fitness und damit die Frailty erfasst werden [14]. Fried und Mitarbeiter konnten zeigen, dass mit dem Grad der Frailty die Mortalität steigt.

In einer 2011 von Drey und Mitarbeitern veröffentlichten Untersuchung konnte dargestellt werden, dass eine größere Zahl von Erkrankungen bei vom Frailty-Syndrom betroffenen Patienten vorlag als bei nicht betroffenen Patienten. Im Median fanden sich 3 Erkrankungen bei betroffenen Patienten und 2 Erkrankungen bei nicht betroffenen Patienten. Die Osteoarthritis war die häufigste Erkrankung. Ebenfalls signifikant häufiger waren chronische Herzerkrankungen bei der vom Frailty-Syndrom betroffenen Patienten [7]. Während nicht vom Frailty-Syndrom betroffene Patienten im Median 4 Medikamente einnahmen, wurden betroffenen Patienten 6 Medikamente verordnet, wobei mehr Analgetika, NSAR und Opioide eingenommen wurden [7].

Komorbidität

Die oben schon beschriebene Komorbidität der Patienten wird durch die Zahlen des Statistischen Bundesamtes 2008 bestätigt. Den Zahlen ist zu entnehmen, dass die Diagnosen bei Patienten, die älter als 65 Jahre alt sind, neben Frakturen des Femurs und Arthrosen des Kniegelenks vor allem kardiovaskuläre Erkrankungen, Herzinsuffizienz, Hirninfarkt, Hypertonie und Angina Pectoris umfassen. Während die muskuloskelettalen Erkrankungen einen Gipfel zwischen dem 65. und 85. Lebensjahr aufweisen, nehmen Verletzungen kontinuierlich mit dem Alter zu. Ebenfalls kontinuierlich zunehmend ist die Prävalenz der Hypertonie, die in der Altersgruppe zwischen 60 und 79 Jahren bei bis zu über 80 % liegt [22].

Multimedikation

In einer Untersuchung an alten Patienten in Schmerzzentren, geriatrischen Einrichtungen und allgemeinmedizinischen Praxen von Basler und Mitarbeitern wurde schon 2003 gezeigt, dass die Gesamtzahl aller eingenommenen Medikamente bei 7,31 lag, davon ärztlich verordnete Schmerzmittel einschließlich Koanalgetika 1,85 und sonstige ärztlich verordnete Medikamente 5,04. Diese Zahlen untermauern die von Drey gefundenen Werte. Diese Verhältnisse sind bei der analgetisch medikamentösen Therapie beim alten Patienten zu berücksichtigen.

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4