Übersichtsarbeiten - OUP 10/2012

Medikamentöse Therapie bei älteren Patienten mit orthopädischen Leiden

Die Altersverteilung der Erkrankungen spiegelt sich in der Verordnungshäufigkeit wider, sowohl von Analgetika als auch von Medikamenten zur Behandlung kardiovaskulärer Grundkrankheiten (siehe Abbildung 1) [6].

Arthrose

Bei der medikamentösen Schmerztherapie der Arthrose spielen nichtsteroidale Analgetika, traditionelle und Cox-2-Blocker eine große Rolle. Aber gerade diese haben in unterschiedlichem Maße Nebenwirkungen, sowohl im gastrointestinalen als auch im kardiovaskulären Bereich.

Nach den Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft zur Behandlung degenerativer Gelenkerkrankungen aus dem Jahr 2008 und den Empfehlungen des AGS-Panel von 2009 ergibt sich aus der Bewertung der Literatur folgendes Bild [1, 2]: Sowohl die nicht spezifischen traditionellen NSAID als auch die selektiven Cyclooxigenase-2-Inhibitoren (Coxibe) werden in ihrer Wirkstärke als vergleichbar angesehen. Beide Substanzgruppen weisen ein kardiovaskuläres Risiko auf, wobei Naproxen als traditionelles NSAID günstiger abschneidet als die Übrigen. Im gastrointestinalen Bereich werden die Coxibe als günstiger bewertet.

Eine vergleichbare Bewertung kann aus der umfangreichen Untersuchung von Solomon und Mitarbeitern gezogen werden, die eine Bewertung von Risiken für folgende Vorkommnisse untersuchten: kardiovaskuläre Ereignisse, gastrointestinale Erkrankungen, Frakturen, Notfall-Krankenhauseinweisungen, Todesfälle bei Notfalleinweisung und Gesamttodesfälle. Untersucht wurden die in den USA gebräuchlichen Opioide und NSAID [21].

Das AGS-Panel favorisiert bei höherem kardialem Risiko Acetylsalicylsäure plus Naproxen und bei höherem gastrointestinalem Risiko spezifische Cyclooxigenase-2-Inhibitoren und PPI vor dem Einsatz von Opioiden und anderen Substanzen.

Dennoch ist der Einsatz von NSAID kritisch abzuwägen, da in einer Untersuchung aus Italien 23,5 % aller Einweisungen einen Zusammenhang mit Nebenwirkungen durch NSAID aufwiesen [10]. Eine dänische Untersuchung von Gislason et.al. konnte eine erhöhte Sterblichkeit bei Personen mit Herzinsuffizienz nachweisen, die alle NSAID betraf, also tNSAR und Cyclooxigenase-2-Inhibitoren, selbst Ibuprofen und Naproxen waren in höheren Dosen betroffen [15].

Die Empfehlungen der Europäischen Zulassungsbehörde EMA (vormals EMEA) sind in den obigen Diagrammen dargestellt, die Warnhinweise sind als relative Kontraindikationen zu werten [9]. Die Therapie sollte so kurz wie nötig durchgeführt werden – und mit Dosen die so niedrig wie möglich sind.

Neuropathische und
gemischt neuropatisch
nozizeptive Schmerzen am Beispiel Rückenschmerz

In der Abbildung 1 sind die Kooanalgetika, Antidepressiva und Antikonvulsiva nicht dargestellt, die zur Behandlung der neuropathischen Schmerzkomponenten notwendig sind. Sie spielen aber eine große Rolle, da gerade Rückenschmerzen oft eine ausgeprägte neuropathische Komponente aufweisen. Hierzu liegen Daten aus einer Studie von Freyenhagen et.al. vor. Die Untersuchung wurde mit dem validierten Fragebogen zur Erfassung neuropathischer Schmerzen durchgeführt. Dabei ergab sich folgende Wahrscheinlichkeit neuropathischer Schmerzkomponenten [12, 13], s. Tabelle 1.

Es ist also ersichtlich, dass bei alten Menschen mit Rückenschmerzen oft eine Kombination von verschiedenen Analgetika und Koanalgetika notwendig ist. Die Therapie von Nervenschmerzen erfolgt gemäß den Leitlinien nach Dworkin et.al. 2007. Als First-Line-Medikation nach Sicherung der Diagnose gelten TCA (Amitriptylin oder Clomipramin) oder SSNRI Duloxetin oder Venlafaxin) sowie Calciumkanalliganden, (Gabapentin oder Pregabalin). Bei akuten Schmerzen oder akuter Schmerzexazerbation und neuropathischem Tumorschmerz werden in erster Linie Opiate eingesetzt, entweder allein oder in Kombination mit der Erstlinien-Medikation [8]. NSAR spielen bei neuropathischen Schmerzen keine Rolle! Der Einsatz von NSAR oder Cyclooxigenase-2-Blockern ist bei nozizeptiven Schmerzkomponenten mit obigen Empfehlungen gerechtfertigt.

Risiken der Therapie bei alten und hochaltrigen Patienten

Alte Menschen haben eine erhöhte Rate an unerwünschten Arzneimittelwirkungen wie Sturzgefahr, gastrointestinale Blutungen, kardiovaskuläre Ereignisse und delirante Syndrome. In einer Untersuchung von Schuler et al. im eigenen Patientenkollektiv zeigt sich, dass häufig Beschwerden wie Insomnie, Schmerzen, Appetitlosigkeit, Schwindel, Müdigkeit, Obstipation und Miktionsstörungen unter Analgetika auftreten. Dabei wird von den Autoren hervorgehoben, dass die Interpretation dieser Symptome schwierig ist, vor allen Dingen unter einer multifaktoriellen Betrachtungsweise, bezogen auf ein einzelnes Medikament, [19].

Sturz

Die Sturzgefahr spielt insbesondere bei alten Menschen eine große Rolle. Nach niederländischen Daten [4] kommt es im dritten Lebensabschnitt bei 30 % zu einem Sturz, bei 20 % der Menschen zu wiederholten Stürzen. Im vierten Lebensabschnitt geht man von einer Häufigkeit von 40–50 % aus. Die Daten in Deutschland werden jetzt erst erhoben.

Burkhardt hebt hervor, dass das Sturzrisiko beim alten Menschen auf multifaktoriellen Vorgängen beruht, also auch auf den Folgen der Erkrankungen, die zu einer speziellen Pharmakotherapie führen „... es kann nicht allein einem speziellen pharmako-dynamischen Vorgang (z.B. Rezeptorsystem) zugeordnet werden“ [5]. Zu den kritischen Substanzen, den Fall increasing drugs (FRID), gehören folgende Substanzen und Substanzgruppen:

Antidepressiva

riyklische ntidepressiva, TZA

elektive erotonin euptakenhibitoren, SSRI

elektive erotonin und oradrenalin euptakenhibitoren, SSNRI

oradrenerg pezifische erotonerge ntidepressiva, NaSSA

onminoxydase-Hemmer, Mao-Hemmer

Neuroleptika

D2-Antagonisten

Serotonin-Dopamin-Antagonisten

Benzodiazepine/Sedativa

Antihypertensiva

a-Blocker

ß-Blocker

CA-Antagonisten

ACE Hemmstoffe

Diuretika

Weitere das kardiale System beeinflussende Substanzen

Antiarrhythmika

Nitrate und andere Vasodilatantien

Digoxin

Sonstige

Anticholinergika

Antihistaminika

Antivertiginosa

orale Antidiabetika

Analgetika

Oipoidanalgetika

NSAR

Antikonvulsiva

Eine Vielzahl von Veröffentlichungen beschäftigt sich mit dem Sturzrisiko verschiedener Substanzen. Dabei wird deutlich, dass alle Klassen von Psychopharmaka das Risiko eines Sturzes und in der Folge einer Fraktur erhöhen. Dies trifft auch für SSRI zu. Das Risiko für Stürze respektive Verletzungen durch Benzodiazepine besteht unabhängig von der Wirkdauer. Diese Risiken bestehen sowohl bei ambulanten als auch stationären Patienten [11, 16, 20, 23]. Andere Autoren finden kein erhöhtes Sturzrisiko, auch wenn es unter Antihypertensiva durch Störung der Orthostase zu erwarten wäre [17]

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