Übersichtsarbeiten - OUP 10/2012

Medikamentöse Therapie bei älteren Patienten mit orthopädischen Leiden

Das erhöhte Sturzrisiko unter NSAID wird von Burkhardt entweder als zentrale Wirkung, oder als krankheits-assoziierte Unsicherheit diskutiert [5]. In einer großen Kohortenstudie von Salomon und Mitarbeitern aus dem Jahr 2010, wurde unter anderem festgestellt, dass es unter nichtsteroidalen Antirheumatika zu kardiovaskulären Ereignissen kam, wobei hier die NSAID günstiger als die Coxibe abschnitten, und diese wiederum günstiger als die Opioide. Untersucht wurden Patienten aus 2 Bundesstaaten mit einer retrospektiven Datenerhebung der Medicare von 1999–2005. Das mittlere Alter der Patienten betrug 80 Jahre und es wurden 4280 Patienten pro Kohorte untersucht. In allen Kohorten fand sich eine Komorbidität von 32 % Diabetes, 22 % KVA, 70 % Hypertonie, 65 % Hyperlipidämie und 25 % der Patienten erhielten PTI´s [21].

Bei den genannten Substanzen kam es zu gastrointestinalen Blutungen häufiger unter NSAID und Opioiden, weniger häufiger dagegen zu Blutungen unter Coxiben. Die Blutungen betrafen sowohl den oberen, als auch den unteren Gastrointestinaltrakt. Das Sturz- und damit verbunden Frakturrisiko war unter Opioiden deutlich höher als unter Coxiben und NSAID, die all-cause-mortality war unter Opioiden höher als unter NSAID, am geringsten unter Coxiben.

Die untersuchten Opioide trafen nicht alle Opioide, sondern die in den USA gebräuchlichen Opioide, nämlich Codein, Hydrocodon, Oxycodon, Propoxyphen und Tramadol. Nicht untersucht wurde beispielsweise Buprenorphin. In einer landesweiten Untersuchung in Dänemark im Jahre 2000 wurde das Frakturrisiko in Zusammenhang mit Morphin und anderen Opiaten untersucht. In dieser Fallkontrollstudie von Vestergaard (Veröffentlichung 2006) fanden insgesamt 10.015 Patienten Eingang. Die Kontrolle umfasste 12.108 Patienten. Die verwendeten Opiate waren Morphin, Fentanyl, Methadon, Oxycodon, Nicomorphin, Ketobemidon, Tramadol und Codein. Alle waren mit einer erhöhten Frakturrate korreliert. Buprenorphin, Pethidin, Dextro Propoxyphene und die Kombination Acetylsäure und Codein zeigten diese Korrelation nicht. Insbesondere Buprenorphin, als WHO Stufe III-Präparat, hatte kein erhöhtes Frakturrisiko zur Folge[24].

Praktische Umsetzung

Um in dieser komplexen Situation eine angemessene, sichere und erfolgversprechende Therapie für den Patienten umsetzen zu können, müssen die Besonderheiten des alten Patienten, Vulnerabilität, Multimorbidität und Multimedikation erfasst, bewertet und berücksichtigt werden. Dazu ist ein Assesment umzusetzen, welches diese Punkte umfasst, zum einen anamnestisch zum anderen aber auch in der Untersuchung.

Schmerzassessment

Auch bei alten Patienten ist eine strukturierte Schmerzanamnese und Untersuchung notwendig. Vom alten Patienten wird der Schmerz häufig als normales, zum Altern oder zur Krankheit gehörendes Symptom gesehen. Es wird mehr über die Folgen geklagt, also die schmerzbedingten Auswirkungen wie Schlaflosigkeit, Funktionsverluste und andere Symptome. Da der chronische Schmerz ein komplexes Phänomen darstellt, ist die einfache Erfassung der Schmerzstärke eine zwar notwendige, aber allein nicht ausreichende Methode. Die dem Schmerz zugrunde liegende Ursache, die Auswirkungen auf den Verlust der körperlichen und psychischen Integrität, sowie funktionelle und soziale Beeinträchtigung müssen erfasst werden.

Neben dem deutschen Schmerzfragebogen steht ein strukturiertes Interview für geriatrische Schmerzpatienten des Arbeitskreises Alter und Schmerz der DGSS zur Verfügung. Es stehen Materialien zur Verfügung zur Erfassung der Schmerzlokalisation, Intensität, Dauer, Schmerzverstärkung und -linderung, schmerzbedingter Behinderung, Depressivität und Selbsteffizienz. Ferner eine ergänzende Fremdanamnese mit Angaben zur Medikation, zur bisherigen Behandlung und zur Wohnsituation. Ein Problem sind die im Alter auftretenden kognitiven Leistungseinbußen. Aus diesem Grund zählt der Erhebungsbogen Mini-Mental State Exemination (MMSE) zu den Materialien des Interviews. Da von alten Menschen verbale Ratingskalen besser verstanden werden, nutzt das Interview verbale Ratings für Schmerzstärke, Leiden und Hoffnung.

Allgemeine Anamnese

Gefragt wird nach:

Operationen

Internistische Erkrankungen,

Medikation

Vegetative und psychosomatische Symptome

Symptome, die auch als Nebenwirkungen von Medikamenten auftreten können

Biographische Anamnese

Sie soll Einblicke in die psychologischen und sozialen Zusammenhänge der Schmerzproblematik geben.

Körperliche Untersuchung

Sie umfasst die Inspektion, Palpation und Funktion des neuromuskulären und muskuloskelettalen Systems.

Die Frailty kann bestimmt werden durch [7] :

- Gewichtsverlust

- Bestimmung der Kraft des Händedrucks

- Verminderung der Ausdauer (Selbstreport)

- Bestimmung der Gehgeschwindigkeit

- Messung der körperlichen Aktivität in Kcal/Woche

Das Sturzrisiko kann abgeschätzt werden durch:

- Timed up and go Test (steigendes Sturzrisiko ab Werten von > 20 sec.)

Spezifische Schmerzanamnese

- Erfassung der Schmerzlokalisation in einem Körperschema

- Erfragen und evtl. durch Angehörige oder Pflegekräfte ergänzte Beantwortung folgender Fragen

o Wann trat der Schmerz erstmals auf?

o In welcher Situation?

o Hauptschmerzlokalisation?

o Ausstrahlung?

o Wird der Schmerz tief oder oberflächlich empfunden?

o Schmerzqualität?

o Schmerzintensität?

o Häufigkeit und Schmerzdauer?

o Gibt es einen Tagesrhythmus?

o Begleitsymptome?

o Was verstärkt, was lindert den Schmerz?

o Welche Schmerzmedikamente nimmt der Patient ein, verschriebene und frei erhältliche?

Zur Erfassung der Wirksamkeit von Maßnahmen ist ein Schmerztagebuch sinnvoll, bei alten und hochaltrigen Patienten sollte auch folgendes erfasst werden:

- Schmerzintensität

- Schmerzmedikamente

- Auswirkung der Behandlung auf die Schmerzen

- Erfassung der Nebenwirkungen durch die Mediakation

- Auswirkung auf körperliche und psychische Aktivitäten

Auswahl der Medikamente und Kontrollen

Die Therapie muss das Nebenwirkungs- und Interaktionspotenzial der Medikation berücksichtigen. Hier spielen vor allem die Medikation zur Behandlung kardiovaskulärer Erkrankungen eine große Rolle. Beispielsweise finden sich unter tNSAR und Cyclooxigenase-2-Inhibitoren eine Verschlechterung der Blutdruckeinstellung oder die Ausbildung von Ödemen. Das impliziert die Auswahl möglichst sicherer Medikamente, und dabei kann die Priscus-Liste eine Hilfe sein [17].

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