Übersichtsarbeiten - OUP 09/2018

Mobile Health
Wie das Potenzial für O&U richtig nutzen?How to make use of the potential for orthopaedics and traumatological surgery?

Urs-Vito Albrecht1

Zusammenfassung: Apps sind beliebt, denn sie sind günstig, leicht zu bekommen und einfach zu bedienen. Es handelt sich hierbei um auf individuelle Bedürfnisse zugeschnittene Software, die einen schnellen Zugriff auf
Gesundheitsinformation und -dienstleistungen ermöglicht, ohne lästige Terminabsprachen oder Wartezeiten, ohne
Anreise. Vom professionellen Blickwinkel der Orthopäden und Unfallchirurgen aus gesehen ergeben sich ebenfalls Vorteile: Die Technologie kann zur Intensivierung des Patientenkontakts genutzt werden und eine Diagnostik in lebenstypischen Situationen ermöglichen. Die Therapie wird individueller begleitet. Der folgende Beitrag möchte Teilaspekte bezüglich der Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps zur Unterstützung von Abwägungsprozessen für den Fachbereich Orthopädie und Unfallchirurgie exemplarisch vorstellen und Perspektiven des Fachs zur Mitgestaltung am Digitalisierungsgeschehen anbieten.

Schlagwörter: mHealth, Gesundheits-Apps, Smartphone,
Tablet PC

Zitierweise
Albrecht UV: Mobile Health – Wie das Potenzial für O&U richtig nutzen? OUP 2018; 7: 428–431 DOI 10.3238/oup.2018.0428–0431

Summary: Mobile apps are popular because they are inexpensive, easy to get and simple to use. They are software tailored to individual needs and provide quick access
to health information and services, without the hassle of making appointments or long waiting times, and without the need to go anywhere. From the professional perspective of orthopedic surgeons and trauma surgeons, there are also advantages: The technology can be used to improve patient contact and to enable diagnostics in typical everyday situations. Therapy becomes more personalized. The following contribution aims not only at presenting some aspects of the opportunities and risks of health apps for the support of
assessment processes in the field of orthopedics and trauma surgery, but also at offering perspectives on the subject‘s contribution to shaping the digitization process.

Keywords: mHealth, health apps, smartphone, tablet PC

Citation
Albrecht UV: Mobile Health – How to make use of the potential for orthopaedics and traumatological surgery?
OUP 2018; 7: 428–431 DOI 10.3238/oup.2018.0428–0431

1 Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik, Medizinische Hochschule Hannover

Was ist Mobile Health?

Bei „Mobile Health” (auch: „mHealth”, „mobile Gesundheit”) geht es vorrangig um die Nutzung mobiler Informations- und Kommunikationstechnologie im Gesundheitskontext. Letzterer wird bei Mobile Health sehr weit gefasst und umfasst die Prävention, Diagnostik und Therapie aus dem medizinischen Bereich, aber genauso Aspekte der Fitness, Ernährung und Naturheilverfahren, die das körperliche und psychische Wohlbefinden fördern sollen. Gesundheits-Apps verdeutlichen hervorragend die Prinzipien der „mobilen Gesundheit”, die sich aus den technischen Möglichkeiten zur Befriedigung des menschlichen Bedürfnisses nach Mobilität und Gesundheitsinformation/-Versorgung zusammensetzt.

Die Technologie hilft, zeitliche und räumliche Schranken zu überwinden und bietet die gewünschten Informationen zu jeder Zeit am Ort des Geschehens an. Diese „Ungebundenheit” drückt sich gleichfalls im losgelösten Kontext von herkömmlichen Ladengeschäften, Produktionsstätten und vom Zahlungsverkehr aus. Vom Herstellungsgprozess bis zur Nutzung bietet „Mobile Health” Variabilität und Flexibilität, welche die Umsetzung komfortabler Anwendungsszenarien ermöglicht. Hier schwingt allerdings das Risiko der persönlichen Entfremdung und Beeinträchtigung von Persönlichkeitsinteressen mit.

Der folgende Beitrag möchte Teilaspekte bezüglich der Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps zur Unterstützung von Abwägungsprozessen für den Fachbereich Orthopädie und Unfallchirurgie exemplarisch vorstellen und Perspektiven des Fachs zur Mitgestaltung am Digitalisierungsgeschehen anbieten.

Gesundheits-Apps in Orthopädie und Unfallchirurgie

Mehr als 100.000 Gesundheits-Apps sind auf dem Markt verfügbar. Die genaue Anzahl ist unbekannt, da ein Zählen schwierig ist und die Betreiber der App-Stores hierzu keine Auskunft geben. Die Anzahl kann daher nur geschätzt werden. Sicher ist, dass sich einige Apps im medizinischen Bereich verorten lassen, wobei der weitaus größere Teil allerdings auf Fitness-Apps entfällt. Bei vielen der offensichtlich dem Bereich Orthopädie und Unfallchirurgie zuzurechnenden Apps stehen professionelle Anwender im Vordergrund. Hier finden sich medizinische Nachschlagewerke, Veranstaltungskalender und vereinzelt auch Anwendungen zu diagnostischen Fragestellungen. Fitnessbezogene Apps fokussieren auf medizinische Laien und haben vordringlich eine allgemeine Steigerung der Fitness, die Kräftigung der Muskulatur oder gezieltes Abnehmen zum Ziel. Apps mit orthopädischem Auftrag sind eher selten. Diese zielen nicht nur auf reines Training ab, sondern bieten physiotherapeutisch sinnvolle und leitlinientreue Trainingseinheiten. Sie halten zudem auch für Patienten relevante Informationen vor, dokumentieren den Genesungsfortschritt und versuchen, ihre Anwender „bei der Stange“ zu halten, um einen langfristigen Erfolg zu erreichen. Insbesondere für den Bereich „Rückenschmerz“ finden sich entsprechende Beispiele.

Wirksamkeit und Nutzen

Vieles klingt plausibel und Entwicklungen in die anvisierten Richtungen sind vielversprechend, doch ist der Erfolg nicht gewiss: Es gibt derzeit nur wenig wissenschaftliche Evidenz, die eine positive Auswirkung auf den Gesundheitszustand durch Gesundheits-Apps, speziell auch für orthopädisch relevante, therapeutisch orientierte Anwendungsfälle, hinreichend belegen kann. Dario et al. kamen in ihrer Metaanalyse verfügbarer Literatur jüngst zu dem Schluss, dass gegenwärtig verfügbare Telehealth- und App-basierte Ansätze im Kontext „Rückenschmerz“ keine Vorteile gegenüber konventionellen Therapieansätzen bieten und daher möglichst nur zusätzlich zu üblichen Maßnahmen eingesetzt werden sollten [5]. Apps, die einen fitnessorientierten Ansatz verfolgen, werden hingegen positiver bewertet, wenn auch die Therapietreue als ein Problem wahrgenommen wird, das den langfristigen Erfolg solcher Apps reduzieren oder verhindern kann [8]. Es finden sich auch Hinweise, dass manche Zielgruppen vielleicht gerade durch Apps erst die Chance erhalten, ohne „Gruppendruck“ entsprechende Angebote zu nutzen. Auch wird eher solchen Apps ein positiver Effekt bestätigt, die individuelle Aspekte der jeweiligen Teilnehmer berücksichtigen, beispielsweise indem sie spielerisch zur Nutzung animieren und so motivieren, individuelles Feedback zum Fortschritt geben oder auch in begrenztem Rahmen den Wettbewerb mit Freunden oder Gleichgesinnten erlauben, ohne hier jedoch den Anwender bei Misserfolgen in ein schlechtes Licht zu rücken [9]. Auf diese Weise lassen sich die den Apps zugeschriebenen Chancen zur Verbesserung der Partizipation an Gesundheitsprozessen nutzen und Patienten können so einen
Eigenbeitrag zur Verbesserung ihrer
Gesundheit leisten [1].

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